Frau Dr. Metelmann, warum sollte der Patient in der Zahnarztpraxis über die Darmkrebsfrüherkennung aufgeklärt werden? Wäre ein Internist nicht der bessere Ansprechpartner?
Dr. Philine Metelmann: Darmkrebs ist der häufigste Tumor in Deutschland, der Männer und Frauen gleichermaßen betrifft. Früherkennung kann Leben retten. Aber viel zu wenige Menschen gehen zur Früherkennung. Aufklären kann die Zahnarztpraxis natürlich nicht, aber wir können unsere Patienten motivieren, zum Darmkrebs-Screening zu gehen: zu den Experten, zu Internisten und Chirurgen.
Sie haben eine Motivationskampagne für die Zahnarztpraxis erarbeitet. Wie sieht die konkret aus?
Wie so eine Motivation konkret aussehen könnte, haben wir in einer Studie an der Universitätszahnklinik Greifswald untersucht, zusammen mit Professor Oesterreich, dem Darmkrebsspezialisten Professor Lerch und dem Psychologen Dr. Hannöver. In der Untersuchung haben wir festgestellt, dass Broschüren und Flyer im Wartezimmer unsere Patienten kaum erreichen.
Wichtig für die Motivation ist die persönliche Ansprache durch die behandelnde Zahnärztin oder den behandelnden Zahnarzt mit der ganzen Autorität und auf Grundlage der starken Vertrauensbeziehung: „Waren Sie schon zur Darmspiegelung? Sie sollten mal hingehen!“ Das ist für Patienten heute gar keine überraschende Frage. Zahnärzte fragen ja auch nach Blutverdünnern, Zuckerkrankheit, Bluthochdruck, Allergien.
Seit Oktober letzten Jahres werden ausgewählte Zahnärzte in Mecklenburg-Vorpommern für das Motivationsprogramm geschult. Wie wird das Programm von den Teilnehmern angenommen?
Der Schulung geht zunächst eine Feinabstimmung voraus, wie das Motivationsprogramm in den einzelnen Praxen denn aussehen soll. Hier scheint es große Unterschiede zu geben zwischen den Patienten in Praxen auf dem Lande und in größeren Städten. Diese Untersuchungen finden in ausgewählten Zahnarztpraxen statt. Die Rückmeldungen sind durchweg positiv.
Welches Berufsrollenverständnis haben Sie?
Zahnärzte sind Präventionsexperten. Und wir sind kampagnenfähig. Die Aktionen für gesundes Essen, regelmäßiges Zähneputzen und Kontrollbesuche zur Mundgesundheit konnten erfolgreich etabliert werden. Dieses Rollenverständnis teilen viele – vor allem jüngere – Berufskollegen.
Wie verläuft solch eine Schulung?
Zahnärzte brauchen natürlich keine Schulung, wie ein Patientengespräch zu führen ist. Aber wir schreiben gerade eine Handreichung, die Zahnärzte in der Praxis mit dem Grundlagenwissen über Darmkrebs und seine Früherkennung vertraut machen soll, und wie die konkrete Ansprache der Patienten besonders erfolgreich ist. Wir wollen den Zahnärzten eine Hilfestellung geben, wie sie den von Zahnärzten und Ärzten herausgegebenen Präventionspass zu einem wirkungsvollen Instrument in der Krebsfrüherkennung zu machen.
Ihr Motivationsprogramm bezieht sich auf die Darmkrebsfrüherkennung - sind weitere Bereiche denkbar?
Natürlich. Motivation für Darmkrebs liegt nahe. Der Tumor ist gut zu untersuchen. Eine Darmspiegelung kann auch gleich zur Therapie genutzt werden, wenn dabei Polypen, typische Frühstadien, abgetragen werden. Der von der Bundeszahnärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung erarbeitete Präventionspass umfasst verschiedenste Vorsorgeuntersuchungen. Ihn mit dem Hinweis auf das Darmkrebs-Screening zu überreichen, ist ein geeigneter Aufhänger.
Beim Thema Mundkrebs ist die Zahnarztpraxis übrigens nicht nur für die Motivation zuständig, zum Check-up beim Spezialisten zu gehen, sondern wir sind hier selbst als Experten gefordert. Mundkrebs in seinem Frühstadium zu erkennen und dann sofort eine Tumorbehandlung in der MKG-Chirurgie zu veranlassen, das ist eine wichtige Aufgabe der Zahnarztpraxis.
Haben Sie das Präventionsprogramm evaluiert?
Dafür ist es noch viel zu früh. Für eine Evaluation müssen wir wissen: Wie viele Patienten haben den zahnärztlichen Rat befolgt und sind deshalb zur Darmspiegelung gegangen? Wie viel häufiger ist dadurch Darmkrebs im frühen Stadium erkannt worden? Wie viel mehr Menschen sind dadurch vor Darmkrebs bewahrt worden? Und: Die Krankenkassen müssen sagen, was ihnen ein Erfolg wert ist. Wenn ein Patient nach Motivation durch seinen Hauszahnarzt zur Darmspiegelung geht, könnte die Krankenkasse dieses Gesundheitsverhalten belohnen, zum Beispiel indem sie die Kosten für eine PZR beim Hauszahnarzt übernimmt. Das wäre doch ein schönes gesundheitspolitisches Ergebnis aus unserem Programm: Prävention fördert Prävention.
Die Fragen stellte Navina Haddick.
Dr. Philine Metelmann ist Zahnärztin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Poliklinik für Kieferorthopädie an der Universität Greifswald. Mit ihrem Projekt „Prävention aus vielen Händen. Motivationskampagnen in der Zahnarztpraxis zur Teilnahme an der Darmkrebsfrüherkennung“ wurde sie von der Felix-Burda-Stiftung für den Förderpreis „Beste Präventionsidee“ nominiert. | privat
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