"Als kranke Ärzte sind wir oft schwierige Patienten", bekennt der Schweizer Allgemeinmediziner Dr. Bernhard Gurtner aus Wetzikon. "Es gibt unter uns Hypochonder, die bei geringsten Beschwerden auf sofortige und umfassende Abklärungen durch Topspezialisten drängen, und hartnäckige Verdränger, die eindeutige Symptome oder Befunde verleugnen und sich erst auf Druck der Angehörigen zu einer Konsultation bei einem Studienfreund bewegen lassen."
Ganz ähnlich klingt das Eingeständnis seiner deutschen Kollegin Dr. Cornelia Tauber-Bachmann im Fachblatt Medical Tribune: "Wir Ärzte gehören in der Regel zu den schwierigsten Patienten überhaupt. Entweder wissen wir alles besser und verwickeln unsere behandelnden Kollegen in wissenschaftlich spitzfindige Diskussionen oder wir misstrauen ihnen grundsätzlich und behandeln uns lieber selbst. Oder wir versuchen, unsere Erkrankungen schlichtweg zu ignorieren."
Ungeimpft, unsportlich, Kettenraucher
Wie liederlich der Umgang der Mediziner mit ihrer eigenen Gesundheit ist, wird auch in Studienergebnissen beschrieben. So hat eine Umfrage der Universität Los Angeles unter rund 4.000 Ärzten ergeben:
- Mehr als die Hälfte der Ärzte besaß keinen Impfschutz gegen Hepatitis und hatte sich auch gegen Grippe nicht geimpft.
- Jeder zweite Mediziner gab an, keinen Hausarzt zu haben.
- Die Hälfte der Ärztinnen hatte es unterlassen, ihre Brüste monatlich selbst zu untersuchen.
- Jeder fünfte Arzt trieb keinen Sport oder andere körperliche Aktivitäten.
Auch eine Umfrage unter Schweizer Allgemeinmedizinern erbrachte Ergebnisse, die den nachlässigen Umgang von Ärzten mit ihrer eigenen Gesundheit und ihre Scheu, Zunftgenossen zu konsultieren, belegen. Die Umfrage von Dr. Martin Schneider vom Universitätsspital Genf mit 1.784 teilnehmenden Schweizer Ärzten erbrachte folgende Ergebnisse:
- 90 Prozent der Ärztinnen und Ärzte behandelten sich selbst.
- 65 Prozent von ihnen gaben an, auch in den letzten sieben Tagen Medikamente genommen zu haben: 34 Prozent griffen zu Schmerzmitteln, 14 Prozent zu Beruhigungsmitteln und 6 Prozent zu Antidepressiva.
- Beinahe jeder Zweite (47 Prozent) hat im letzten Jahr keinen Kollegen trotz eigener Probleme konsultiert.
- Jeder dritte Teilnehmer (35 Prozent) gab an, dass es ihm Mühe macht, kollegiale Hilfe in Anspruch zu nehmen.
- Nur jeder fünfte Mediziner (21 Prozent) erklärte, einen Hausarzt zu haben.
Auch bei psychischen Problemen versuchen scheinbar viele von ihnen sich selbst zu therapieren. In einer anonymen Umfrage unter 790 Hausärzten in Rheinland-Pfalz erwies sich beinahe jeder vierte Mediziner (23 Prozent) als depressiv, fast jeder zehnte (9,4 Prozent) räumte ein, irgendeine psychische Erkrankung zu haben. Jeder sechste Arzt (17,4 Prozent) hatte sich deshalb im Verlauf des vergangenen Jahres selbst mit Psychopharmaka behandelt. Das gilt für alle Fachbereiche.
Wenig Vertrauen zu Kollegen
Obwohl die Gesundheitsschädlichkeit von Rauchen und zu viel Alkohol bewiesen ist, raucht nach einer Erhebung der Europäischen Gemeinschaft jeder vierte Arzt. Ganz anders in den USA, dort rauchen Umfragen zufolge nur noch drei Prozent der Mediziner. Hierzulande haben viele Mediziner zudem nachgewiesenermaßen ein Alkoholproblem. Laut Schätzungen sind in Deutschland 8.300 Ärzte alkoholabhängig.
Mit der seelischen Gesundheit vieler Ärzte steht es ebenfalls nicht gerade zum Besten: Mediziner werden öfter in psychiatrische Kliniken eingewiesen als Angehörige vergleichbarer Bevölkerungsgruppen. Auch die Selbstmordrate liegt bei ihnen etwa 2,5-mal so hoch wie zum Beispiel bei Rechtsanwälten oder Architekten. Für Ärztinnen werden besonders hohe Raten ermittelt. In der Umfrage unter Schweizer Allgemeinmedizinern bestätigten 43 Prozent der Ärzte, einen Kollegen persönlich gekannt zu haben, der Selbstmord verübt habe. Fast ein Drittel (28 Prozent) hatte bereits selbst eine suizidale Phase erlebt und 5 Prozent trugen sich aktuell mit Selbstmordgedanken.
Ärzte leben im Durchschnitt länger
Trotz aller Faktoren leben Ärzte im Durschnitt länger als Angehörige anderer Berufsgruppen. So schreibt der Medizinhistoriker Prof. Robert Jütte in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift: "Journalisten, Psychologen und Chemiker haben eine deutlich geringere Lebenserwartung als Ärzte, Ingenieure oder gar Geistliche, wie eine groß angelegte Studie des Schweizer Bundesamts für Statistik nachwies."
Für einen heute 60-jährigen Arzt in Deutschland beträgt die rechnerische Lebenserwartung 83,9 Jahre, für eine gleichaltrige Ärztin 87,1 Jahre - und liegt damit deutlich über der der Gesamtbevölkerung (79,5 bzw. 83,7 Jahre).
Quellen:
Schneider M. et al. SWISS MED WKLY 2007;137:121–126
Gurtner B. SÄZ/BMS. 2005;86:795
Tauber-Bachmann C. MT 16. 09. 2011
Unrath M. et al Dtsch Arztebl Int 2012; 109(11): 201–7.
Bovier p. et al. PrimaryCare 2005;5: Nr. 10
Jütte R. Dtsch Med Wochenschr 2013; 138: 2666–2670
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