Warum ist es für die angehenden Mediziner heute so schwer, ihre Vorstellungen von einer Vereinbarkeit von Beruf und Freizeit durchzusetzen? Eigentlich sind die Voraussetzungen doch optimal: Die Work-Life-Balance ist in der ganzen Berufswelt ein großes Thema, und der drohende Ärztemangel macht sie zu begehrten Nachwuchskräften.
Tim Vogel: Ich glaube nicht, dass es Ärztinnen und Ärzten in der heutigen Situation schwerer als anderen Generationen fällt, ihre Vorstellung von einer Vereinbarkeit von Beruf und Freizeit durchzusetzen. Im Gegenteil: Vergleicht man sie mit vorangegangenen Generationen, haben sich - nicht zuletzt dank des Engagements der Bundesvertretung der Medizinstudierenden e.V. (bvmd) - einige Fortschritte ergeben: Viele Krankenhäuser bauen beispielsweise ihre Kinderbetreuungen aus, man kann seine Facharztweiterbildung oder sein PJ mittlerweile in Teilzeit durchführen.
Dennoch haben Sie natürlich recht, dass der Optimierungsbedarf noch immer groß ist: 58 Prozent aller Medizinstudierenden und 73 Prozent der Ärzte und Ärztinnen empfinden nach einer Umfrage der bvmd den Konflikt zwischen Beruf und Freizeit als stark oder sehr stark. So ist es wichtig, dass die Work-Life-Balance nicht nur ein großes Diskussionsthema bleibt, sondern auch in den Schichtplänen, Kitaplätzen und Verhalten der leitenden Ärztinnen und Ärzten konsequent umgesetzt wird.
Deshalb setzt sich unserer Projekt Freundilie auch weiter für ein gesundes, menschliches und familienfreundliches Arbeiten als Arzt und Ärztin ein. Wir glauben, dass Arbeit nicht an der Präsenz, sondern an einer erfolgreichen Aufgabenerfüllung gemessen werden sollte. In diesem Sinne braucht es flexiblere Arbeitszeitregelungen. Gleichermaßen fordern wir auch eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Studium: Eine Kinderbetreuung im Studium sollte die Regel und kein Glücksfall sein.
Wie gehen Sie mit den Vorurteilen um, die über die Generation Y - faul, verwöhnt, unselbstständig, um nur drei zu nennen - kursieren?
Ich verbinde vor allem Adjektive wie kreativ, gut ausgebildet und ehrgeizig mit der Generation Why. Der Eindruck von Faulheit oder Unselbstständigkeit erschließt sich mir nicht. Vielmehr ist diese Generation dadurch geprägt, dass sie Dinge hinterfragt und diese nur macht, wenn sie für sie Sinn ergeben. Wir sind eine Generation, die sich der Möglichkeiten, die sich ihr ergeben, bewusst ist und diese sinnvoll nutzen möchte. Wenn man uns überzeugt hat, sind wir mit unser ganzen jugendlichen Energie, Kreativität und Leidenschaft dabei.
Männer in Teilzeit: Sind die Ärzte hier Vorreiter für die gesamte Gesellschaft? Wie ist das Echo - auch in den eigenen Reihen?
Ich finde es sehr positiv, dass Sie die Familienfreundlichkeit nicht als rein weibliches Thema abtun - das ist sie nämlich nicht. Ich persönlich kann mir gut vorstellen, auch in Teilzeit zu arbeiten, um mehr Zeit mit meinen Kindern oder für andere nebenberufliche Projekte zu haben. Wie dazu andere Ärztinnen und Ärzte oder Medizinstudierende denken, kann ich nur schwer einschätzen.
Ist die eigene Praxis für den Praktiker immer noch das heimliche Ideal, das die Karriere krönt?
Laut KBV-Berufmonitoring können sich immerhin 74 Prozent der Medizinstudierenden vorstellen, eine eigene Praxis als spezialisierter Facharzt beziehungsweise 37 Prozent als Hausarzt zu führen. Dabei ist die eigene Praxis aus meinem Eindruck heraus weniger ein krönendes Karriereziel sondern ein attraktiver Arbeitsplatz, bei dem man seine Arbeitsbedingungen selbst gestaltet.
So ist die Einteilung des Tagesablaufes und das selbstbestimmte Arbeiten sicher ein großer Anziehungsfaktor für junge Ärzte. Gleichzeitig wirken die hohe finanzielle Verantwortung und bürokratische Aufgaben abschreckend auf die eigene Praxisgründung. Es liegt an der Politik, diese Hindernisse aus dem Weg zu räumen, um auch in Zukunft die hausärztliche Versorgung über all im Land sicherzustellen und die Praxisgründung für junge Mediziner attraktiver zu machen. Denn durch Zwang lässt sich unsere Generation nicht begeistern - auch nicht für Allgemeinmedizin.
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