Zwischen Diabetes mellitus und der Parodontitis besteht eine bidirektionale Beziehung, wobei die Insulinresistenz und der systemische Entzündungsprozess das Bindeglied darstellen. Deshalb ist eine spezielle parodontologische Untersuchung des Diabetikers notwendig, zumal eine Therapie der Parodontitis auch die glykämische Kontrolle verbessert.
In der Mundhöhle kommen bis zu tausend verschiedene Keimarten vor. Während beim Gesunden anaerobe Stäbchen und Kokken überwiegen, ist die Bakterienflora in der Mundhöhle bei Patienten mit einer Parodontitis durch gram-negative anaerobe Stäbchen charakterisiert. In experimentellen Untersuchungen wurde gezeigt, dass bei fehlender Mundhygiene die Akkumulation von bestimmten Mikroorganismen innerhalb von zwei bis drei Wochen zu klinischen Entzündungsreaktionen in der Gingiva führt.
„Der bakterielle Biofilm, das heißt, die bakterielle Besiedlung der Zahnplaque, ist der Ausgangspunkt für die Gingivitis und Parodontitis", sagte Prof. Jörg Meyle, Ärztlicher Direktor des Zentrums für Zahn-, Mund- Kieferheilkunde der Universität Gießen. Die Parodontitis führt dann zur Beeinträchtigung der Kaufunktion und schließlich zum Zahnverlust mit den sich daraus ergebenden Störungen beziehungsweise Veränderungen der Ernährung.
Im Mittelpunkt der Pathogenese der Parodontitis stehen zunächst lokale Entzündungsreaktionen, die wiederum den bakteriellen Biofilm im Bereich der Zahnplaque ungünstig beeinflussen. Durch die vermehrte Freisetzung proinflammatorischer Zytokine wie Interleukin-1, Interleukin-6, TNF-alpha, PgE2, die in die Blutbahn ausgeschwemmt werden, wird eine systemische Inflammation induziert. „Diese wiederum führt zu einer Zunahme der Insulinresistenz und somit zu einem Typ 2 Diabetes", sagte Meyle. Der Diabetes mellitus selbst, genauer: die Hyperglykämie, lässt die Advance Glycation Endproducts (AGEs) ansteigen, die wiederum den lokalen und den systemischen Entzündungsprozess verstärken.
Untersuchungen haben gezeigt, dass bei Patienten mit einem Diabetes mellitus ein hyperinflammatorischer Monozyten-Phänotyp exsistiert, der für erhöhte lokale proinflammatorische Zytokin-Spiegel verantwortlich ist. Darüber hinaus induziert eine chronische Hyperglykämie einen proinflammatorischen Zustand in der gingivalen Mikrozirkulation, der sich durch eine gesteigerte vaskuläre Permeabilität auszeichnet.
Zusätzlich werden Leukozyten und Endothelzellen aktiviert. „Die Leukozyten-vermittelte mikrovaskuläre Schädigung trägt wesentlich zur parodontalen Gewebedestruktion bei Diabetikern bei", erläuterte Meyle. Auch habe man eine erhöhte Immunreaktivität für AGEs in der Gingiva von Diabetikern mit Parodontitis im Vergleich zu Nicht-Diabetikern nachweisen können. Darüber hinaus sei die Lokalkonzentration von Markern für den oxidativen Stress erhöht. Meyle: „AGEs in der Gingiva von Diabetikern sind Ausdruck von gesteigertem Stress und ein potenzieller Mechanismus für die beschleunigte Gewebedestruktion."
Parodontitis durch Übergewicht
Nicht erst der Typ 2-Diabetes, sondern bereits das Übergewicht ist ein eindeutiges Risiko für die Parodontitis - und zwar unabhängig von Alter, Geschlecht, Rasse und Rauchen. „Das eigentliche Bindeglied zwischen Übergewicht und parodontaler Erkrankung dürfte die Insulinresistenz sein", führte Meyle aus. Insgesamt hätten Diabetiker bei einer schlechten glykämischen Kontrolle ein etwa dreifach höheres Risiko, an einer Parodontitis zu erkranken.
Doch einerseits begünstigt der Diabetes mellitus die Parodontitis, andererseits führt eine unbehandelte Parodontitis zu einer Verstärkung der Insulinsresistenz und somit zu einer Verschlechterung der Blutzuckerwerte.
Angesichts dieser kausalen Zusammenhänge stellt sich die Frage, ob durch eine effektive Behandlung der Parodontitis die Stoffwechseleinstellung verbessert werden kann. „In einer entsprechenden Metaanalyse konnte dies weniger für den Typ 1- , jedoch für den Typ 2- Diabetes nachgewiesen werden", lautete Meyles Antwort. Bei Typ 2- Diabetikern konnte der HbA1c- Wert um 0,57 Prozent gesenkt werden - und zwar unabhängig von der antidiabetischen Therapie. Auch eine antibiotische Behandlung führte zu einer Senkung des HbA1c- Wertes um 0,27 Prozent.
"Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine Therapie der Parodontitis zu einer Verbesserung der glykämischen Kontrolle beitragen kann", bilanzierte Meyle. Aufgabe des Zahnarztes sei, bei Patienten mit einer Parodontitis die metabolische Kontrolle der Stoffwechselerkrankung abzufragen.
Der Typ 2- Diabetes ist eine chronisch progrediente Erkrankung, die einer ständigen Therapieanpassung bedarf, um das Risiko für mikro- und makrovaskuläre Folgeerkrankungen zu minimieren. „Nicht nur mikro- und makrovaskuläre Komplikationen, sondern auch die oralen Komplikationen wie Gingivitis und Parodontitis gilt es zu verhindern", sagte Prof. Petra-Maria Schumm-Draeger, Chefärztin der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Angiologie im Klinikum München-Bogenhausen.
Gefragt sei kein konservatives, sondern ein engagiertes proaktives Diabetes-Management. Die Mundgesundheit sei für Diabetiker von großer Bedeutung, nicht nur im Hinblick auf die Lebensqualität, sondern auch die Prognose, da der systemische Entzündungsprozess auch Gefäßkomplikationen induzieren könne. „Die Parodontitis wird jedoch von vielen Diabetikern nicht wahrgenommen, da sie keine Schmerzen verursacht", berichtete Schumm-Draeger. Die Folge sei eine verzögerte Diagnosestellung und eine verspätet einsetzende Behandlung.
Dass durch eine frühzeitige intensive Glukose senkende Therapie die vaskuläre Komplikationsrate und die Gesamtmortalität günstig beeinflusst werden kann, zeigen die Ergebnisse der UKPD-Studie. „Der signifikante Unterschied zwischen den konventionell und intensiv behandelten Diabetikern zeigte sich auch im weiteren Verlauf nach Beedingung der Studie", schilderte Schumm-Draeger die Untersuchung.
Das metabolische Gedächtnis
Zehn Jahre nach Ende der Studie lag die Inzidenz einer mikroangiopathischen Komplikation in der primär intensiv behandelten Patienten-Gruppe um 24 Prozent, die Rate an Myokardinfarkten um 15 Prozent und die Gesamtmortalität um 13 Prozent niedriger. „Dies spricht dafür, dass der Körper über ein metabolisches Gedächtnis verfügt", folgerte Schumm-Draeger. Auch in der Steno-2-Studie konnte durch eine intensivierte antidiabetische Therapie die kardiovaskuläre Ereignisrate um 55 Prozent reduziert werden.
Zwischen einer Parodontitis und der Hyperglykämie bestehen zahlreiche Wechselwirkungen im Sinne eines circulus vitiosus. „Eine schwere Parodontitis erhöht bei Diabetikern die Mortalität deutlich", so Schumm-Draeger. So sei das Risiko eines tödlichen kardiovaskulären Ereignisses bei fortgeschrittener Parodontitis um das 2,3-Fache und das Risiko für ein tödliches renales Ereignis sogar um das 8,5-Fache erhöht.
Interdisziplinär und ganzheitlich
Angesichts der zahlreichen Wechselwirkungen zwischen Parodontitis und Diabetes mellitus erfordert eine optimale Therapie der Stoffwechselerkrankung heute einen ganzheitlichen interdisziplinären Ansatz. „ Die Mundgesundheit muss in das Diabetes-Management mit einbezogen werden", so Schumm-Draeger.
Der Zahnstatus müsse anamnestisch erhoben und routinemäßig kontrolliert werden, am sinnvollsten mit einem standardisierten Fragebogen. Bei schlechtem Zahnstatus mit Zahnfleischbluten, Zahnlockerung und CRP-Erhöhung habe eine zeitnahe Überweisung zum Zahnmediziner zu erfolgen. Andererseits sollte auch das zahnärztliche Team an den Diabetes denken und eventuell ein Blutdruck-Screening durchführen.
Quelle dieses Beitrags sind Vorträge auf dem Deutschen Diabeteskongress 2012 in München.
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