Der Marathon geht weiter
Betrachtet man rückblickend das erste Jahr der schwarz-roten Gesundheitspolitik, wird deutlich, wie schnell und zielgerichtet Hermann Gröhe, das BMG und die Regierungsfraktionen den Koalitionsvertrag abgearbeitet haben.
Einige Formulierungen des Vertrags haben wörtlich Eingang in die Texte der Gesetzentwürfe gefunden. Zu nennen sind das 14. SGB-V-Änderungsgesetz, das GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz (GKV-FQWG), das Pflegestärkungsgesetz I, das Präventionsgesetz sowie das Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) – und dies alles im ersten Jahr der GroKo.
Umfassender, systemrelevanter hätten die Themen kaum sein können, betreffen sie die Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen wie Versorgungsstrukturen, die Pflegeversicherung und mit den Eckpunkten der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Krankenhaus direkt die Krankenhäuser in Deutschland. Dennoch, die Vorhaben reißen nicht ab. Erwartet werden ein E-Health-Gesetz, ein Gesetz zur Korruption im Gesundheitswesen, federführend ist das BMJV, eine weitere Pflegegesetzgebung, das Pflegeberufegesetz, Regelungen zur Palliativmedizin und Sterbehilfe und eine Gesetzgebung zum Bereich Pharma, noch stehen auch die parlamentarischen Verfahren für die vorliegenden Gesetzentwürfe aus. Der Gesetzgebungsmarathon geht also auch im nächsten Jahr weiter.
Für die Krankenkassen ändert sich durch die Rückkehr zu einer teilweisen Beitragssatzautonomie mit Hinweispflicht auf günstigere Wettbewerber einiges. Dies wird sich – und das haben Krankenkassen schon öffentlich angekündigt – auf die Satzungsleistungen, den wettbewerblichen Spielraum der Krankenkassen, und damit auch auf alle Leistungserbringer und Heilberufe auswirken. Dies könnte auch die Zahnärzteschaft betreffen. Unter einer sich abschwächenden Konjunktur bei dynamischer Ausgabenentwicklung könnten die Rücklagen der Krankenkassen schnell abschmelzen, der Fonds ist per Gesetz bewusst unterfinanziert. Das verheißt nichts Gutes.
Obwohl die Ausweitung der Pflegeleistungen, wie die Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs, vorbehaltlos positiv bewertet werden können, ist auch hier die Frage der Finanzierung nicht abschließend geklärt. Viele Pflegeexperten bezweifeln, dass sich die Leistungsausweitungen aus der Beitragssatzerhöhung finanzieren lassen.
Ähnlich verhält es sich mit der Krankenhausreform. Die vereinbarten zusätzlichen Mittel sind angesichts von Milliardendefiziten schnell „verpufft“, die Finanzierung der Krankenhausinvestitionen ist damit ebenfalls keineswegs gesichert. In der Präventionsgesetzgebung werden zwar alle Sozialversicherungsträger einbezogen, aber zahlen müssen nur Krankenund Pflegeversicherung.
Vieles, was im ersten Jahr nach einem großen Wurf aussieht, bedarf detaillierter Konkretisierung und Weiterentwicklung, so dass auch in den nächsten Jahren der Gesundheitspolitik bekannte Themen den politischen Alltag dominieren werden. Als problematisch erweisen sich schon jetzt viele Inkonsistenzen in der Gesundheitspolitik. Eine angekündigte Stärkung der Freiberuflichkeit bei gleichzeitiger Förderung der Angestelltentätigkeit zum Beispiel in MVZs, der Erhalt der freien Arztwahl und eine zentrale Terminvergabe sind nur schwer in Einklang zu bringen. Offensichtlich ist dies Absprachen der Koalitionäre zu Einzelpunkten geschuldet – die Sicherstellung der flächendeckenden, wohnortnahen Versorgung folgt anscheinend keinem einheitlichen politischen Konzept.
Das alte Mantra von Angela Merkel, dass Genauigkeit vor Schnelligkeit geht, kann zumindest in der Gesundheitspolitik heute keine Geltung mehr beanspruchen. Ein schlichtes Abarbeiten des Koalitionsvertrags scheint für den BMG nicht der Weisheit letzter Schluss zu sein, auch angesichts der „Niederlage“ bei den Präsidiumswahlen auf dem Bundesparteitag der CDU im vergangenen Dezember.
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