Ärztemangel

Die neuen Diagnostiker

Deutschland gehen die Ärzte aus. Bis 2020 müssen allein im ambulanten Bereich 51774 Ärzte ersetzt werden, darunter 23768 Hausärzte. Das geht aus der Arztzahlstudie von Bundesärztekammer (BÄK) und Kassenärztlicher Bundevereinigung (KBV) hervor. Das Problem: Viele junge Ärzte gehen ins Ausland, weil sich Familie und Beruf dort besser vereinbaren lassen. Wer bleibt, ist gefragt und entscheidet genau, wo er sich niederlässt. Unterversorgte Regionen stehen überversorgten gegenüber. Prompt warnt BÄK-Vize Frank Ulrich Montgomery vor einer „Wartelistenmedizin“. Ein Blick in die Länder zeigt: Not macht erfinderisch.

„Der Bedarf an medizinischen Leistungen sinkt nicht mit einer schrumpfenden Bevölkerungszahl. Das Gegenteil wird der Fall sein.“ betonte KBV-Chef Köhler bei der gesundheitspolitischen Diskussionsrunde „kbv kontrovers“ in Berlin. An erster Stelle gehe es darum, den Arztberuf attraktiver zu machen. Hintergrund: Momentan gehen zu wenig Jungmediziner in die Patientenversorgung. Die Allgemeinmedizin hat ein Imageproblem, gilt sie doch unter angehenden Ärzten eher als „uncool“. „Im Zeitraum 2003 bis 2008 haben sich knapp zwölf Prozent der Absolventen gegen eine Tätigkeit als Arzt entschieden oder sind direkt ins Ausland gegangen.“ so Köhler.

Fritz Schösser, Vorsitzender des Aufsichtsrates des AOK-Bundesverbandes in Berlin, vertrat jedoch die Ansicht, Deutschland brauche nicht mehr Ärzte, „sie sind nur falsch verteilt“. Versorgungslücken, vor allem im ostdeutschen ländlichen Raum stünden einer Überversorgung in attraktiven Regionen, wie rund um den Starnberger See oder in urbanen Zentren gegenüber. Schösser erwog, bundesweit Zubeziehungsweise Abschläge als regulierendes Instrument für neue Niederlassungen zu etablieren. Fest steht: Vorschläge und Instrumente, wie man die medizinische Versorgung in unterversorgten Gebieten sicherstellen kann, gibt es reichlich. Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) will dem Ärztemangel per Versorgungsgesetz den Garaus machen. Ein Demografiefaktor soll eingeführt und die Bedarfsplanungsbezirke verändert werden. Viele Akteure haben erkannt, dass Geld allein kein Garant für eine gesicherte Versorgung ist. Für sie geht es deshalb in erster Linie nicht um finanzielle Anreize und mehr Ärzte, sondern um strukturelle Reformen und die Bündelung vorhandener Kräfte. So sieht der Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek) die Zukunft der hausärztlichen Versorgung in strukturschwachen Gebieten vornehmlich in medizinischen Versorgungszentren (MVZ) gewährleistet, sollte es zukünftig tatsächlich weniger Niederlassungen in Einzelpraxen geben. Frauenfreundliche Arbeitszeiten und flexible Angestelltenverträge sind Vorteile, mit denen das MVZ-System beim medizinischen Nachwuchs punktet, erklärt vdek-Vorstandsvorsitzender Thomas Ballast. Für ihn ist der drohende Nachwuchsmangel nicht durch finanzielle Anreize zu lösen.

Versorgung im Verbund

Andere Stimmen plädieren für integrierte Versorgungsverbünde von Ärzten, Pflegekräften und anderen Gesundheitsberufen, die eine bedarfsgerechte medizinische Dienstleistung sicherstellen sollen. Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen konkretisierte diesen Vorschlag kürzlich in einem Positionspapier. Darin schlägt Dr. Harald Terpe, Obmann im Ausschuss für Gesundheit und gleichzeitig drogen- und suchtpolitischer Sprecher seiner Fraktion sogenannte Primärversorgungsteams als Basis für regionale Versorgungsverbünde vor.

Ganz wichtig sei es aus Sicht von Terpe, rechtliche Hürden für die Beteiligung nichtärztlicher Fachkräfte in Versorgungsteams abzubauen. Ein exemplarischer Versorgungsverbund der Zukunft ist, so Terpe, das baden-württembergische Projekt „Gesundes Kinzigtal“. Neue Wege werden in dem Projekt unter anderem dadurch beschritten, dass Patienten, Ärzte, Kliniken und Krankenhäuser, Pflegedienste, Vereine und natürlich die beteiligten Krankenkassen an einem Strang ziehen und somit die Idee der Integrierten Versorgung mit Leben erfüllen.

In sehr dünn besiedelten Gebieten in den neuen Bundesländern erwacht die längst totgesagte Gemeindeschwester zu neuem Leben, die bereits in der DDR zur hausärztlichen Entlastung im Einsatz war. Das von der Universität Greifswald entwickelte Konzept „AGnEs“ steht für „Arztentlastende, gemeindenahe, E-Health-gestützte, systemische Intervention“. Die „AGnESSchwestern“ sind mit Auto, Bildtelefon und internetfähigem Laptop ausgestattet. Der Hausarzt kann Routinearbeiten wie das Messen von Puls und Blutdruck, Blutabnahme oder die Kontrolle der Arzneimittel an die qualifizierten Fachkräfte delegieren und hat mehr Zeit für seine Patienten in der Praxis. In Mecklenburg-Vorpommern arbeiten derzeit nach Angaben des Sozialministeriums 25 „AGnEs-Schwestern“. „Wir könnten deutlich mehr Schwestern einsetzen“, sagt Gesundheitsministerin Manuela Schwesig (SPD). Aber die Bindung an nur einen Hausarzt und eine geringere Entlohnung als ursprünglich angekündigt, schränkten ihre Zahl ein. Zudem dürften sie nicht für mehrere Ärzte tätig sein. „Das ist nicht rentabel“, kommentierte Schwesig. Das Land warte darauf, dass das Bundesgesundheitsministerium die entsprechenden Rahmenbedingungen verbessere. Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt haben vergleichbare Modelle entwickelt. In Sachsen-Anhalt heißt die Gemeindeschwester „Verah“, was für „Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis“ steht. 319 von ihnen arbeiten bereits bei 302 Ärzten. Bei dem „Aktionsprogramm zur Stärkung der hausärztlichen Medizin und Versorgung“ in Nordrhein-Westfalen erhalten Mediziner bis zu 50 000 Euro, wenn sie sich in einer Kleinstadt oder Gemeinde niederlassen, in der die Gefährdung der hausärztlichen Versorgung droht. Die Pressestelle des nordrhein-westfälischen Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales bestätigte gegenüber den zm, dass die Fördersummen bis Jahresende Bestand haben. Dann liegt vielleicht auch schon der Röslersche Gesetzentwurf gegen den Ärztemangel vor.

www.kbv.de

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