Fortbildung „Alterszahnmedizin“

Prävention und Parodontitistherapie im höheren Lebensalter und bei Pflegebedarf

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Dirk Bleiel
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Die Häufung funktioneller Einschränkungen bis hin zur Pflegebedürftigkeit, die im höheren Lebensalter zu einer nachlassenden Mundhygiene und zum Abriss regelmäßiger zahnärztlicher Betreuung führt, sind Risikofaktoren für orale Erkrankungen. Welche präventiven Maßnahmen sind sinnvoll und welcher Erfolg kann unter schwierigen Bedingungen erwartet werden?

Die erfolgreiche präventionsorientierte zahnmedizinische Versorgung vergangener Jahrzehnte stellt uns heute vor die Aufgabe, die bis ins hohe Alter erhaltenen Zähne kontinuierlich zu versorgen. Im fortgeschrittenen Alter auftretende chronische allgemeine Erkrankungen und die damit einhergehende Einnahme diverser Medikamente, funktionelle Defizite, Ernährungsumstellungen und strukturelle wie sozioökonomische Faktoren stellen ein erhöhtes Risiko für Erkrankungen dieser erhaltenen Dentition und der Mundgesundheit im Gesamten dar. Orale Erkrankungen wie (Wurzel-)Karies oder Parodontopathien und deren Folgen haben umgekehrt einen negativen Einfluss nicht nur auf das Wohlbefinden und die Lebensqualität unserer Patienten, sondern auch auf die Gesundheit im Alter.

Schon die tägliche Durchführung von Mundhygiene in einer quantitativ und qualitativ ausreichenden Weise, die für den lebenslangen Erhalt einer stabilen Mundgesundheit notwendig wäre, stellt die Patienten, das Umfeld und die Zahnmediziner vor Herausforderungen. Epidemiologische Daten zeigen, dass eine defizitäre Mundhygiene und parodontale Erkrankungen gerade in der Gruppe der älteren Menschen mit Pflegebedarf hochprävalent sind. Diese Umstände gehen mit einer sinkenden Inanspruchnahme zahnärztlicher Versorgung einher. Zielgruppenspezifische zahnmedizinische Präventions- und Therapiekonzepte stehen bereits zur Verfügung. Zudem wächst in der Medizin und Pflege die Sensibilität für die Thematik des „gesunden Mundes“ als Teil eines gesund alternden Gesamtorganismus.

Univ.-Prof. Dr. Dr. Greta Barbe

Universitätsklinik Köln, Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie

Kerpener Str. 32, 50931 Köln

greta.barbe@uk-koeln.de

  • seit 2013: Wissenschaftliche Mitarbeiterin Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie, Sektion Parodontologie, Uniklinik Köln

  • 2016: Spezialisierung Alterszahnmedizin (DGAZ)

  • seit 2017: Oberärztliche Leitung AG Präventive Seniorenzahnmedizin

  • 2020: Habilitation im Fach Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde

  • seit 05/2023: Direktorin der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie Uniklinik Köln

Phasen des Alterns – Pflegebedarf

Um in den verschiedenen Phasen des Alterns eine vorausschauende Versorgung und Therapieplanung zu ermöglichen, ist die Kenntnis der unterschiedlichen Bedürfnisse und Möglichkeiten in diesen Phasen hoch relevant. Das chronologische Alter (Alter in Jahren) ist hierbei nur begrenzt aussagekräftig. Es gibt vitale Hochbetagte ohne alltagsrelevante funktionelle Einschränkungen und Jüngere, die aufgrund chronischer Erkrankungen bereits früh ihren Alltag nicht mehr allein bewältigen können. Das biologische Alter beschreibt die natürlichen Alternsveränderungen im Körper (Primäres Altern, Gerontologie) und das psychologische Alter die Handlungen und die Selbstwahrnehmung unserer Patienten. Zu diesen Facetten kommen chronische oder akute (Alters-)Erkrankungen (Sekundäres Altern, Geriatrie) [Schosserer et al., 2015]. Ebenso kann das subjektiv wahrgenommene Ausmaß einer Alterserscheinung bei dem einen mit stärkeren Einschränkungen als beim anderen verbunden sein.

Eine aus zahnmedizinischer Sicht sinnvolle Beschreibung der Phasen des Alterns gliedert sich in „gesunde ältere Personen“, „Vorgebrechlichkeit“, „Gebrechlichkeit“ und „Abhängigkeit“ [Nikolaus, 2000; Mendiratta et al., 2022]. Die Zuordnung zu einer Kategorie ergibt sich aus den eintretenden chronischen Erkrankungen und dem Eintreten mentaler, sozialer oder körperlicher Probleme. Ebenso relevant ist die Fähigkeit, Aktivitäten des täglichen Lebens auszuführen (funktionelle Kapazität) [Krohwinkel, 1998]. Zu diesen Aktivitäten gehören für die Zahnmedizin relevante Kriterien: kommunizieren, sich pflegen sowie essen und trinken können. Die Phasen stellen letztlich verschiedene chronische Abbauprozesse dar, wobei es sich zumeist eher um eine Deterioration (Verschlechterung) mit stabilen Zwischenphasen handelt, das Wiedererreichen einer Vorphase ist zwar möglich (etwa nach erfolgreicher Therapie einer akuten Erkrankung), stellt aber sicher nicht die Regel dar beziehungsweise ist mit einem höheren Rehabilitationsbedarf als in jüngeren Lebensphasen assoziiert. In der letzten Phase – der Abhängigkeit – sind mentale und soziale Einschränkungen die Regel, Behinderungen treten auf, die Aktivitäten des täglichen Lebens können nur mit Hilfe durchgeführt werden. Dies führt bei nicht wenigen Menschen zu einem Einzug in eine stationäre Pflegeeinrichtung. Dieser Wechsel erfolgt aktuell in immer späteren Lebensphasen („Häuslichkeit vor Pflege“).

Aufgrund der intensiven Kosten professioneller Pflege wurde staatlich das Konzept ambulant (Häuslichkeit) vor stationär (Pflege) etabliert. Von den knapp 82 Prozent ambulant versorgten Pflegebedürftigen werden über 70 Prozent von den Angehörigen versorgt, die im Vergleich zur professionellen Pflege meist weniger Pflegegeld erhalten. Die individuell sehr unterschiedlich ausgeprägte Multimorbidität in den späteren Alternsphasen führt zu einer hohen Anfälligkeit für Komplikationen (Vulnerabilität), wobei hier orale Pathologien eine erhebliche Rolle spielen [Halpern, 2020]. Besonders relevant für zahnmedizinische Überlegungen sind die Auswirkungen dieser Abbauprozesse auf die Mundhygienekompetenz und -durchführung sowie die Möglichkeiten, eine regelmäßige zahnärztliche präventiv-orientierte Betreuung organisieren und in Anspruch nehmen zu können [Niesten et al., 2017].

Der Begriff der Pflegebedürftigkeit ist in Deutschland durch das Elfte Sozialgesetzbuch (SGB XI) definiert. Es enthält unter den Paragrafen 14 und 15 genaue Beschreibungen, wann ein Mensch als pflegebedürftig gilt und wie dies beurteilt wird [SGB IX, 2023]. Laut Pflegeversicherungsgesetz (PflegeVG) gelten alle Menschen als pflegebedürftig, die nach bestimmten Kriterien in ihrer Selbstständigkeit eingeschränkt sind und für voraussichtlich mindestens sechs Monate pflegerische und betreuerische Hilfen benötigen. Pflegebedarf ist hierbei als individuelles Bedürfnis zu verstehen, das sich im Kontext der Multimorbidität, Gebrechlich- und Abhängigkeit im entsprechenden Pflegegrad darstellt.

Epidemiologie defizitärer Mundhygiene und Parodontitis

Es ist durchaus eine Besonderheit, epidemiologische Daten älterer Menschen und insbesondere derjenigen mit Pflegebedarf in Deutschland in der DMS V zur Verfügung zu haben. Die Mehrzahl der internationalen epidemiologischen Untersuchungen stellten eher repräsentative Daten „jüngerer“ Senioren-Populationen in den Fokus [Jordan et al., 2016]. Wenn auch die DMS V selbst nun bereits einige Jahre alt ist und aktuell die Datenerhebung für die DMS VI stattfindet, ist nicht davon auszugehen, dass sich die gezeigten Trends maßgeblich verändern werden. Eine weitere Verschiebung parodontaler Erkrankungen in noch höhere Lebensalter wäre möglich. Bereits in der DMS V wurde deutlich, dass die tägliche Durchführung der notwendigen Mundhygienemaßnahmen mit zunehmendem Alter und zunehmendem Pflegebedarf defizitärer wird. Viele 75- bis 100-jährige Menschen mit Pflegebedarf waren nicht mehr selbst in der Lage, ihre Zähne und Zahnprothesen eigenständig zu pflegen, und benötigten Unterstützung bei der täglichen Mundhygiene (Abbildung 1).

Eine reduzierte Mundhygienefähigkeit spiegelt sich unter anderem in dokumentierten Sondierungsblutungen (Bleeding on Probing – BoP) bei etwa 65 Prozent der älteren Senioren mit Pflegebedarf wider. Wenn auch die Prävalenz von parodontalen Erkrankungen in der Gesamtbevölkerung zurückgegangen ist, ist die Erkrankungslast im höheren Lebensalter massiv und hat sich in den vergangenen Jahrzehnten vom mittleren ins höhere und höchste Lebensalter verlagert. So gibt es bei den jüngeren Senioren (65- bis 74-jährig) einen rückläufigen Trend im Vergleich zur DMS IV bei der Parodontitis trotz einer zunehmenden Zahl erhaltener Zähne, bei den 75- bis 100-Jährigen und Menschen mit Pflegebedarf sind aber über 80 Prozent von moderater oder schwerer Parodontitis, gemessen an der CDC/AAP-Klassifikation, betroffen (Abbildung 2).

Parodontitis bei älteren Patienten

Aus – teils bereits älteren – Untersuchungen wissen wir, dass sich die parodontale Erkrankung im höchsten Lebensalter hinsichtlich der Ätiopathogenese und der mikrobiellen Veränderungen nicht maßgeblich unterscheidet von einer parodontalen Erkrankung in jüngeren Lebensphasen [Haffajee et al., 1998]. Die aktuelle Evidenz zu Prävalenzen der Parodontitis bei älteren Menschen und insbesondere Assoziationen zum Eintritt chronischer Erkrankungen und damit einhergehendem Pflegebedarf ist rar, was teilweise an den multifaktoriellen Zusammenhängen und Einflussfaktoren liegt. Die anerkannten Zusammenhänge zwischen Plaque, inflammatorischer Veränderung, Attachmentverlust treffen nach aktuellem Stand des Wissens auch auf die höchsten Lebensphasen zu.

Interessant sind hier wissenschaftliche Diskussionen darüber, in welchem Ausmaß es einen spezifisch altersbedingten Attachmentverlust unabhängig von parodontalen Erkrankungen gibt. Ältere longitudinale Untersuchungen weisen darauf hin, dass das Altern an sich eher für einen moderaten Attachmentverlust verantwortlich ist, der für sich alleine nicht klinisch relevant erscheint und nur wenige Millimeter im höheren Lebensalter ausmachen würde [Löe et al., 1986; Löe et al., 1992]. Untersuchungen verschiedener Alterspopulationen deuten zudem darauf hin, dass zumindest ein Teil des neu aufgetretenen Attachmentverlusts im höheren Alter eher durch gingivale Rezession oder Retraktion (in Verbindung mit einem gewissen Knochenabbau) als alleinig durch entzündungsbedingt erhöhte Sondierungstiefen beeinflusst ist [Papapanou et al., 1991] (Abbildung 3). Letztlich zeigt dies, dass parodontale Erkrankungen beziehungsweise Attachmentverluste keine „automatisch“ eintretenden Erscheinungen des höheren Lebensalters sind, sondern eher eine Kombination aus Phasen aktiver Destruktion, wobei die verlangsamten Umbau-/Regenerationsprozesse im Alter in Kombination mit einer sich reduzierenden Immunkompetenz ihr Übriges dazutun. Erhöhte Sondierungstiefen und Attachmentverlust stellen ebenso wie in jüngeren Lebensphasen chronische Erkrankungen dar, die einer systematischen Therapie bedürfen und nicht einfach hingenommen werden können.

Ältere Patienten mit Mundhygienedefiziten und Parodontitis haben auch ein erhöhtes Risiko für Wurzelkaries. Durch die Exposition der Wurzeloberflächen sowie die hohe Prävalenz gemeinsamer Risikofaktoren wie funktioneller Defizite und eine defizitäre Mundhygiene sollten bei der parodontalen Betreuung präventive und therapeutische Maßnahmen der Wurzelkaries mit adressiert werden [Lopez et al., 2019; Gavriilidou et al. 2019].

Parodontitisbehandlung bei Versicherten nach § 22a SGB V

Im Rahmen der vertragszahnärztlichen Versorgung ist der Zugang zur Parodontitistherapie seit Juli 2021 neu geregelt. Die Behandlungsstrecke nach Paragraf 22a richtet sich an Menschen, bei denen die systematische Behandlung gemäß PAR-Richtlinie nicht in vollem Umfang durchgeführt werden kann. Bei Menschen mit zugeordnetem Pflegegrad ist die Fähigkeit zur Aufrechterhaltung der Mundhygiene oder die Kooperationsfähigkeit (etwa zur Durchführung von radiologischer Diagnostik oder umfassender klinischer PA-Befundung) oftmals nicht oder nur eingeschränkt gegeben. Es obliegt den Vertragszahnärzten zu entscheiden, ob eine parodontale Befundung vollumfänglich möglich ist. Sollte dies der Fall sein, kann der Patient mit Pflegebedarf in der regulären PAR-Strecke und in den Praxisräumen behandelt werden. Sollte dies nicht der Fall sein und der Weg der verkürzten PAR-Strecke eingeschlagen werden, besteht hier als Mindestanforderung eine Dokumentation von zwei Messstellen (mesial und distal) pro Zahn, die bei der Krankenkasse lediglich angezeigt wird und nicht genehmigt werden muss. Dies geschieht anhand des Vordrucks 5e.

Die verkürzte PAR-Strecke ist auf folgende Leistungen begrenzt:

PSI, PAR-Status, AIT beziehungsweise CPT (bei Behandlung in Narkose), gegebenenfalls Einschleifen und Nach­behandlung, im Folgenden die UPTc, d, e und f (Abbildung 5). Die Entscheidung, ob und inwieweit die CPT bei Sondierungstiefen ≥ 6 mm in diesen auf mehreren Ebenen limitierten Rahmenbedingungen ausgeführt werden kann und sollte, obliegt den behandelnden Kollegen. Nach AIT beziehungsweise CPT erfolgt der Übergang in die UPT-Phase: entsprechend einem Grad B der regulären PAR-Strecke bedeutet dies zwei UPT-Sitzungen per Kalenderjahr. Grundsätzlich kann die AIT in der aufsuchenden Betreuung entsprechend dem Vorgehen in der Praxis erfolgen, das erfordert je nach Belastungs­fähigkeit der Patienten entsprechende Adap­tationen (Abbildung 4).

Das Fehlen von ATG, MHU, BEV sowie UPT a und b in der verkürzten Strecke im Vergleich zur regulären Strecke soll kompensiert werden durch andere Leistungen gemäß der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über Maßnahmen zur Verhütung von Zahnerkrankungen bei Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderungen (Richtlinie nach Paragraf 22a SGB V). Patienten, die einem Pflegegrad nach Paragraf 15 SGB XI zugeordnet sind oder Eingliederungshilfe nach Paragraf 99 SGB IX erhalten, haben dieser Richtlinie zufolge unabhängig von einer eventuell bestehenden parodontalen Erkrankung Anspruch auf verschiedene präventionsorientierte Leistungen: Erhebung des Mundgesundheitsstatus (Paragraf 4), Individueller Mundgesundheitsplan (Paragraf 5), Mundgesundheitsaufklärung (Paragraf 6) und Entfernung harter Zahnbeläge (Paragraf 7). Hierbei wurden gemäß der Richtlinie die in Paragraf 22a SGB V ausdrücklich vorgesehenen Leistungen umgesetzt, so dass neben der kurativen Therapie auch präventive Leistungen gestärkt werden (Tabelle 1). Diese Leistungsansprüche gelten übrigens unabhängig davon, ob die Patienten in einer Pflegeeinrichtung, zu Hause oder in der Praxis behandelt werden. Auch in der Praxis ist es daher sinnvoll, den möglichen Pflegegrad älterer Patienten zu erfragen und diese Leistungen bei entsprechender Indikation zu erbringen.

Wenn die Leistungen der verkürzten PAR-Strecke sinnvoll mit den Leistungen der Vorsorge- und Früherkennungsmaßnahmen kombiniert und die halbjährlichen Abstände der Leistungen zeitversetzt erbracht werden, ist eine dreimonatige Versorgungsfrequenz mit einem Fokus auf präventiven (Beratungs-)Leistungen möglich. Dennoch stellt sich die Frage, ob die beschriebenen Leistungen 174a/b und 107a, die jedem Patienten mit Pflegegrad oder Eingliederungshilfe auch ohne parodontale Erkrankung zur Verfügung stehen, ausreichen, um dem durch die Kombination auffälliger PA-Status, Mundhygienedefizite und Pflegebedarf dokumentierten besonderen zusätzlichen Betreuungsbedarf gerecht zu werden. Letztlich wird sich zeigen, ob der Aufwand für das Aufklärungs- und Therapiegespräch (ATG) mit den Leistungen Erhebung eines Mundgesundheitsstatus, individueller Mundgesundheitsplan und Mundgesundheitsaufklärung wirklich abgedeckt ist.

Interdisziplinäre Präventionskonzepte Mundpflege

Die bestmögliche Durchführung der parodontalen Therapie und der größtmögliche klinische Nutzen sind bei der (aufsuchenden) Betreuung von Menschen mit Pflegebedarf sicher nur zu erreichen, wenn sie unter Einbeziehung der Patienten selbst und aller an der Pflege Beteiligten erfolgen. Wenn ein Mindestmaß an regelmäßiger Mund- und Prothesenpflege nicht umgesetzt wird, ist trotz der Möglichkeiten der Umsetzung einer verkürzten PAR-Strecke der therapeutische Erfolg in einem Maß, wie dies bei nicht-­pflegebedürftigen Patienten erwartet werden kann, fraglich. Auch in Kenntnis der gesundheitlichen Risiken – beispielsweise für Malnutrition, Aspirationspneumonien oder den Erhalt der Funktionalität – ist daher die Miteinbeziehung des (täglichen) Unterstützungsumfelds wichtig [Müller et al., 2022; Kossioni, 2018].

Ratgeber sowie Schulungen für Pflegekräfte und pflegende Angehörige zu Pflegemitteln und deren Anwendung, Hausärzte und in diesem Zusammenhang perspektivisch die verstärkte Nutzung der Videosprechstunde bieten aktuell Möglichkeiten, die Situation zu verbessern. Zudem ist die Implementierungsphase des neuen DNQP-Expertenstandards zur Förderung der Mundgesundheit in der Pflege abgeschlossen. Der Expertenstandard nimmt Pflegefachkräfte in die Verantwortung, Munderkrankungen, Mundhygienedefizite und Risiken für die Mundgesundheit zu erkennen, zu adressieren und entsprechende pflegerische Maßnahmen einzuleiten [Expertenstandard]. Immer mehr Schulungsmaterialien stehen auch digital (24/7) zur Verfügung. So etwa auf der kostenlos verfügbaren Plattform mund-pflege.net (Abbildung 6).

Therapeutischer Nutzen bei Pflegebedarf/Multimorbidität

Auch wenn bisher umfangreiche Daten zu den therapeutischen Erfolgen einer systematischen parodontalen Therapie entsprechend der PAR-Richtlinie bei hochaltrigen und insbesondere bei Menschen mit Pflegebedarf in der aufsuchenden Betreuung fehlen, ist ein therapeutischer Nutzen zu erwarten. Allein die konsequente Umsetzung der verkürzten PAR-Strecke, kombiniert mit den Vorsorge- und Früherkennungsmaßnahmen, ermöglicht eine regelmäßige Betreuung in einem zeitlich festgelegten Intervall, die per se schon einen positiven Einfluss auf die Mundgesundheit haben wird.

Erste, bisher nicht veröffentlichte Studienergebnisse unserer Arbeitsgruppe in einer Kooperation mit der Praxis Dr. Bleiel, Rheinbreitbach, konnten den klinischen Nutzen bei bisher eingeschlossenen Studienteilnehmern in Hinblick auf den Plaqueindex nach sieben Tagen und nach drei Monaten, die Reduktion des Bleeding on Probing sowie der Sondierungstiefen zeigen. Bei Betrachtung der vorläufigen Ergebnisse fällt allerdings auf, dass die resultierenden Werte sich nicht direkt mit resultierenden Therapieerfolgen bei jüngeren Erwachsenen, die in der zahnärztlichen Praxis versorgt werden, vergleichen lassen. Zukünftige Untersuchungen werden diese ersten Ergebnisse bestätigen müssen, wobei sicherlich die Patienten-basierten Risikofaktoren des Alterns und des Pflegebedarfs, eine veränderte Ernährung, insbesondere aber die nicht gelöste tägliche Mundhygienesituation den potenziellen Therapieerfolg negativ beeinflussen und somit die zu erwartende durchschnittliche Reduktion der Sondierungstiefen womöglich geringer ausfallen wird als in den üblichen Studienpopulationen.

Nutzen für die Allgemeingesundheit

Neben dem erreichbaren Therapieerfolg hinsichtlich des Parodonts stellt sich die Frage, ob durch eine optimierte Mundhygiene, einer daraus resultierenden gingivalen und parodontalen Entzündungsreduktion und eine verbesserte Prothesenhygiene auch eine verbesserte systemische Gesundheit, Wohlbefinden und Lebensqualität erreicht werden können. Wenige Daten zu hoch- und höchstaltrigen Patienten mit Multimorbidität vor und nach erfolgter systematischer Parodontaltherapie liegen vor, wenn auch der positive Einfluss insbesondere durch die reduzierte orale Entzündung plausibel erscheint [Simpson et al., 2022; Machado et al., 2021; Scannapieco et al., 2003; Azarpazhooh et al., 2006]. Eine optimierte und stabile Mund- und Prothesenpflege scheint das Risiko für Pneumonien zu senken, der positive Einfluss einer parodontalen Therapie auf die metabolische Einstellung bei Diabetes bei jüngeren Patientengruppen ist anerkannt [Sabharwal et al., 2018]. Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass schwere, lang bestehende Parodontitiden zumindest den Verlauf neurodegenerativer Erkrankungen beeinflussen können [Nascimento et al., 2019].

Allerdings fehlen gerade bei älteren multimorbiden Patienten gut designte randomisiert-kontrollierte prospektive Untersuchungen, die die Ergebnisse für die Patientengruppe verifizieren und möglichst viele Einflussfaktoren des hohen Alters einbeziehen. Ein nicht zu unterschätzender, schnell eintretender Benefit einer antientzündlichen oralen Therapie ist sicherlich der psychologische Aspekt reduzierter Blutung für das private und pflegerische Unterstützungsumfeld, das die Blutung bei der Durchführung von Mundpflege als große Barriere wahrnimmt [Hillebrecht et al., 2023].

Eine milde oder moderate Parodontitis scheint aus Patientensicht im höheren Lebensalter einen eher geringen Einfluss auf das Wohlbefinden und die mundgesundheitsbezogene Lebensqualität der Patienten zu haben – wie auch andere chronische moderate Munderkrankungen [Slade et al., 2011]. Dies scheint teilweise bedingt zu sein durch lebenslang adaptierte Bewältigungsstrategien [Sprangers et al., 1999]. Auf der anderen Seite ist der negative Einfluss durch Schmerzen, Zahnverlust und herausnehmbare prothetische Versorgungen, den Verlust der Kaufunktion und eine damit einhergehende Mangelernährung wie auch schwere Parodontitiden mit Zahnlockerung und Zahnverlust und Mundtrockenheit gut dokumentiert [Thomson, 2014].

Zukünftiges Ziel komplexer Präventions- und Therapiekonzepte für die große Zahl älterer Senioren mit und ohne Pflegebedarf wird es sein, durch die konsequent durchgeführten systematischen Interventionen möglichst viele der beschriebenen Risiken für eine defizitäre Mundhygiene und parodontale Erkrankungen zu adressieren, um klinisch-objektiv und aus Patientensicht Verbesserungen zu erwirken.

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PD Dr. med. dent. Sonja H. M. Derman

Universitätsklinik Köln, Poliklinik für
Zahnerhaltung und Parodontologie
Kerpener Str. 32, 50931 Köln

Dr. Dirk Bleiel

Dr. Bleiel Zahnärzte
Im Sand 1,
53619 Rheinbreitbach

Univ.-Prof. Dr. Dr. Greta Barbe

Universitätsklinik Köln, Poliklinik für
Zahnerhaltung und Parodontologie
Kerpener Str. 32, 50931 Köln

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