Große Online-Befragung

Corona hat Ärzte traumatisiert

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Praxis
Konnten Mediziner die Stresssituationen, denen sie in der Pandemie ausgesetzt waren, wegstecken oder hat ihre psychische Gesundheit darunter gelitten? In einer großen Online-Befragung kamen Klinikärzte und erstmals auch Niedergelassene zu Wort.

Wie erlebten Ärzte ihr eigenes Handeln in der Pandemie? Wie gingen sie mit besonders belastenden Situationen um? Mediziner unterschiedlicher Fachrichtungen äußerten dazu ihre persönliche Einschätzung im Rahmen einer anonymisierten Online-Befragung im Spätherbst 2021. Die Studie wurde in Kooperation mit dem Kompetenznetz Vorhofflimmern e.V. (AFNET) und der Ärztekammer Westfalen-Lippe durchgeführt und im April 2023 publiziert.

COVID führte zu Konflikten mit den medizinisch-ethischen Grundsätzen

Insgesamt 1.476 ärztliche Mitglieder der Ärztekammer nahmen an der Online-Befragung teil, die Ende 2021 über sechs Wochen erfolgte. Sie beantworteten Fragen zu ihrer Lebenssituation, zu den von ihnen behandelten Patienten sowie zu den Belastungen, denen sie selbst ausgesetzt waren. Von ihnen hatten 1.139 Patienten mit COVID behandelt. Etwa die Hälfte dieser Ärzte war in Kliniken tätig (586), die andere in Praxen (553). Sie arbeiteten in den Fachgebieten Allgemeinmedizin, Innere Medizin, Chirurgie, Gynäkologie sowie Kinder- und Jugendheilkunde.

„Im zweiten Jahr der Pandemie wurde immer häufiger von überlasteten und erschöpften Ärzte berichtet. Um das Problem mit wissenschaftlichen Methoden zu untersuchen, haben wir diese systematische Studie durchgeführt", erläutert der Kardiologe Prof. Andreas Goette vom St. Vincenz-Krankenhaus Paderborn, der die Studie leitete. "Bei der Datenauswertung haben uns auch folgende Fragen interessiert: Wie unterscheiden sich die Auswirkungen der Pandemie bei Klinikärzten und Niedergelassenen? Ist langjährige Berufserfahrung hilfreich, um mit diesem Stress klarzukommen? Gibt es beim Einfluss der Pandemie auf das ärztliche Handeln geschlechtsspezifische Unterschiede?“

Die Studie zeigt: Covid-19 führte im Arbeitsalltag zu Konflikten mit den medizinisch-ethischen Grundsätzen. Mehr als ein Drittel der Befragten, vor allem Niedergelassene, fühlte sich durch externe Zwänge in ihrer ärztlichen Arbeit behindert. Fast die Hälfte (48 Prozent) der Klinikärzte und gut ein Viertel (27 Prozent) der Niedergelassenen berichteten über Fälle, in denen sie große Schwierigkeiten hatten, die Patientenwürde zu wahren.

Besonders schlecht ging es Frauen und Ärzten mit wenig Berufserfahrung

Auf dem Gipfel der vierten Welle der Pandemie litt je ein Viertel der befragten Mediziner an einer Depression (23 Prozent) oder einer Angststörung (24 Prozent). Ein Vergleich mit Studien zu Beginn der Pandemie zeigt einen Anstieg der emotionalen Belastung.

Mehr als die Hälfte (63 Prozent der Klinikärzte und 53 Prozent der Niedergelassenen) äußerte ein Gefühl der Hilflosigkeit. Die Mehrheit klagte über Schlafprobleme. Besonders betroffen waren Frauen und Ärzte mit nur wenigen Jahren medizinischer Berufserfahrung.

„Die Ergebnisse unserer Studie zeigen deutlich: Die Pandemie und insbesondere die Behandlung von Covid-19-Patienten hatte gravierende Folgen für die ärztliche Arbeit in Kliniken und Praxen", resümiert Mitautor Prof. Karl-Heinz Ladwig, Psychosomatiker an der Technischen Universität München (TUM). "Teilweise wurde das ärztliche Handeln in seinen ethischen Grundzügen infrage gestellt.

Ihmzufolge gingen die traumatisierenden Arbeitsinhalte auch an erfahrenen Medizinern, die es eigentlich gewohnt sind, schwierige Situationen zu meistern, nicht spurlos vorüber, sondern führten bei vielen in einem so nicht erwarteten Umfang zu seelischen Problemen und Einbrüchen in der psychischen Gesundheit.

Traumatisierende Arbeitsinhalte gingen auch an erfahrenen Medizinern nicht spurlos vorüber

Ladwig: "Wie wir sehen, konnten sich die Ärzte im Lauf der Pandemie nicht an die Situation anpassen, sondern im Gegenteil, die emotionalen Belastungen haben mit der Zeit zugenommen. Emotionale Störungen unter Ärzte haben ein kritisches Ausmaß erreicht.“

„Es ist bedrückend zu sehen, wie die psychische Belastung von uns Ärzten über die Pandemie hinweg stetig gestiegen ist", bekräftigt Goette. "Die Rate von erheblichen psychischen Auswirkungen während der vierten Corona-Welle erscheint wirklich bedeutsam. Hoffentlich führt das Ende der Pandemie zur Besserung der Befunde, aber dies bleibt abzuwarten und bedürfte erneuter Untersuchungen.“

Ladwig KH et al. Covid‑19 pandemic induced traumatizing medical job  contents and mental health distortions of physicians working in private  practices and in hospitals. Nature Scientific Reports. 2023; 13:5284.  DOI: 10.1038/s41598-023-32412-y

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