Leitartikel

Die Qual dieser Wahl

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

Deutschland hat gewählt, aber letztlich keine tiefgreifende Entscheidung getroffen. Das Ringen um die politische Macht, bis in den Wahlabend hinein nach härtester Wahlkampfmanier geführt, wird angesichts dieser Sitzverteilung im Parlament in die Legislaturperiode hinein getragen. Ein durch Wählerwille ermöglichtes Wiedererstarken der CDU/CSU hat vier Jahren weitgehend ergebnisloser rot-grüner Politik zwar die Quittung erteilt, die für notwendige Grundsatzentscheidungen in Arbeits-, Sozial- und Gesundheitspolitik erforderliche demokratische Stabilität aber verfehlt. Das lässt einen heißen Herbst erwarten.

Die guten Voraussetzungen zur Bewältigung der anstehenden Probleme fehlen. Die Lage gibt eher Anlass zu der Befürchtung, dass mutige Reformschritte für ein Umdenken in der Sozial- und Gesundheitspolitik auch in dieser Legislaturperiode weiter „kaputt“ regiert werden. Fakt ist: Der erforderliche überparteiliche Grundkonsens zur Rettung des deutschen Arbeits- und Sozialgefüges ist mit der Entscheidung vom 22. September wieder einmal mehr als fraglich.

Der notwendige Ruck, der den Mittelstand in seiner tragenden Rolle für unsere gesellschaftliche Stabilität erfassen müsste, wird von dieser Politik nicht erfolgen. Das euphemistische, aber an den nationalen, europäischen und OECD-bezogenen Realitäten vorbeidriftende „Weiter so Deutschland!“ bleibt politische Tagesordnung.

Bürger wie Unternehmer, Patienten wie Ärzte sind nach wie vor auf sich selbst gestellt, wenn es um die Umgestaltung unserer gesellschaftspolitischen Fundamente geht. Dieser Herausforderung werden wir uns gemeinsam stellen müssen. Es obliegt unserem innovativen Denken, unserer Überzeugungskraft, uns als regulierendem Moment, unserer Kraft und Unbeirrbarkeit, das voran zu bringen, was die Politik aus mangelhafter Stärke nicht eigenständig anpacken will.

Unsere Prämissen auf dem Weg für eine tragbare Zukunft aller Menschen in diesem Staate sind klar: Es geht um weniger Bürokratie, um mehr individuelle Freiheit. Es geht um den Abbau staatlicher Gängelung zu Gunsten einer größeren Eigenverantwortlichkeit aller Bürger. Es geht um die Abschaffung falscher gesetzlicher Regelungen, um die Chance für mehr ärztliche Zuwendung. Es geht darum, im Gesundheitswesen Freiräume jenseits des Diktats fiskalischer Reglementierungen für eine den medizinischen Möglichkeiten adäquate, allen Menschen zugängliche Versorgung zu schaffen. Dafür brauchen wir endlich solide Fundamente statt weitere vier Jahre halbherziger Nachbesserungsmodelei.

Unsere Volkswirtschaft benötigt die größeren betriebswirtschaftlichen Freiheiten der Freiberufler und Selbständigen, unser Gesundheitswesen einen weit größeren Aktionsradius im gemeinsamen Handlungsfeld von Patienten und Ärzten. Nur so können wir angesichts des unweigerlich wachsenden Bedarfs im Gesundheitswesen verhindern, dass der Zugang zu medizinischer Versorgung zu einer „Klassen“-Frage verkommt.

Die Qual dieser Wahl ist, dass diese Parlamentarier aus dem Bürgervotum weder die Kraft noch den nötigen Mut zu bahnbrechenden Entscheidungen ziehen werden. Was nach dem im Wahlkampf mengenweise zerbrochenen Porzellan bleiben wird, sind massive politische Anfeindungen. Um so wichtiger ist es für uns Zahnärzte, dass wir diese Polarisierung den Parlamentariern überlassen. Mehr denn je brauchen wir jetzt Rationalität und Weitsicht, und nicht Emotionen und Hektik.

Es ist nicht die Zeit, die zu erwartenden Grabenkämpfe der Parteien in unsere Reihen zu übernehmen, geschweige denn, in Vogel-Strauß-Manier auf bessere Zeiten zu hoffen. Wir müssen jetzt gemeinsam überlegt handeln, überzeugen und dort regulierend wirken, wo falsche Entscheidungen drohen. Unsere ganze Stärke beruht auf unserer Fachkompetenz. Die gilt es uneingeschränkt zu erhalten und einzubringen. Denn weitere vier Jahre ohne Ergebnisse wären fatal.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Dr. Jürgen WeitkampPräsident der Bundeszahnärztekammer

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