Deutscher Zahnärztetag in Frankfurt am Main 2011

Werte in der Krise

Rund 500 geladene Gäste aus Politik, Standespolitik, Wissenschaft und Verbänden kamen am 10. November 2011 zur Eröffnung des Deutschen Zahnärztetages. Die Spitzenvertreter von BZÄK, DGZMK und KZBV hatten zum Festakt in die Frankfurter Paulskirche geladen. Tenor der Festreden: Nicht nur der zahnärztliche Berufsstand, auch die Gesellschaft unterliegt einem Wandel. Ob GOZ-Novelle, Approbationsordnung, Versorgungsstrukturgesetz oder die Herausforderungen der Demografie – es gilt, sich auf Neues einzustellen und dabei das ärztliche Ethos nicht aus den Augen zu verlieren.

Das Gesundheitswesen steckt nicht in einer Krise des Geldes, das Gesundheitswesen steckt in einer Krise der Moral.“ Dies erklärte BZÄK-Präsident Dr. Peter Engel zum Auftakt des Deutschen Zahnärztetages, zu dem er Vertreter aus Politik, Standespolitik, Wissenschaft und Gesellschaft aus dem In- und Ausland begrüßte. Humane medizinische Versorgung müsse auch in Zukunft gewährleistet bleiben: „Das zu vermitteln, ist unsere Pflicht. Das verständlich zu machen, ist aber auch unsere Chance.“ Die intakte Zweierbeziehung zwischen Arzt und Patient sei der zentrale Punkt, wo alles ansetze, wo aber auch alle eingreifen wollten, seien es Krankenkassen, Ökonomen, Wissenschaftler  oder auch die Politik. Es gebe Bestrebungen hin zu mehr Normierung, mehr Standardisierung und mehr Ökonomisierung. Aber, so Engel weiter, das Heilen kategorisieren zu wollen, um Geld zu sparen, sei definitiv der falsche Weg: „Budgetierung und ärztliches Ethos passen nicht zusammen.“

Wissensausweitung

DGZMK-Präsident Prof. Dr. Dr. Henning Schliephake verwehrte sich gegen den „intraoralen Reparaturbetrieb“, der dem Fach Zahnmedizin gern unterstellt werde. Der Charakter des Faches habe sich durch die Ausweitung des Wissens und durch die strukturellen Veränderungen in der Bevölkerung längst geändert. Umso bedauerlicher sei, dass die neue GOZ dem nicht nachkommt, im Gegenteil sogar einen rückwärtsgewandten restriktiven Charakter bekommen habe, der keine Weiterentwicklung erkennen lasse. „Es steht vielmehr zu befürchten, dass die schon jetzt erkennbare Vergreisung der neu geborenen Regelung in der Diskrepanz zu den aus wissenschaftlicher Sicht zahnmedizinisch sinnvollen Inhalten mit der Zeit noch zunimmt.“ Die wissenschaftlichen Gesellschaften dürften in ihrer Forderung nach einer weiteren Anpassung der jetzt schon verfehlten Gebührenordnung im Sinne einer modernen, zukunftsfähigen Zahnmedizin nicht nachlassen.

Deutlich mehr Hoffnung sah Schliephake bei der Neufassung der Approbationsordnung. Nach zähem Ringen sei man nun „auf einem guten Weg“, doch liege noch „der Teufel im Detail“. Zuversichtlich zeigte er sich auch hinsichtlich der Erstellung des Nationalen kompetenzbasierten Lernzielkatalogs, der die Lern- und Prüfungsinhalte in der Zahnmedizin neu definieren und das Fach neu ausrichten soll. Ferner forderte er, die Landeszuführungsbeträge für die aufgrund doppelter Abiturjahrgänge gestiegene Zahl von Studierenden auch wirklich der Zahnmedizin zukommen zu lassen.

Paradigmenwechsel

Der Vorsitzende der KZBV, Dr. Jürgen Fedderwitz, griff das Generalthema des Wissenschaftskongresses „Riskoerkennung und Risikomanagement“ auf. Die Bereitschaft zum Risiko sei nicht nur in der täglichen Praxis relevant, sondern auch für die Politik der KZBV, die mit ihrem Sicherstellungsauftrag für die flächendeckende Versorgung des Landes gerade stehen müsse. Fedderwitz ging auf das Versorgungsstrukturgesetz ein. Ausdrücklich lobte er die Politik, die mit den nun eingeführten Regelungen einen Paradigmenwechsel eingeführt hätte. Es sei kein bloßes Kostendämpfungsgesetz, nunmehr könne das Vergütungssystem flexibilisiert und regionalisiert werden. Das Morbiditätsrisiko werde wieder den Krankenkassen übertragen, dort, wo es hingehöre. Struktur und Zahl der Versicherten würden endlich berücksichtigt und gleichrangig neben den Grundsatz der Beitragssatzstabilität gestellt. Es gebe eine Chance, von der starren Budgetierung wegzukommen.

Kritisch beurteilte Fedderwitz den Einfluss des Finanzministeriums auf das Versorgungsgeschehen: „Es ist nicht gut, wenn der Finanzminister meint, mit eigenen Vorgaben in die Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens eingreifen zu müssen und aus fiskalischen Gründen in das GKV-System zu grätschen“, erklärte er. Das führe letztlich zu einer Staatsmedizin ähnlich dem NHSSystem in Großbritannien.

In Bezug auf die neue GOZ monierte er aus Sicht der KZBV, dass die Koalition einen vorzeigbaren Abschluss verpasste hätte. Zwar sei sie eigentlich gut und vor allem zielstrebig angelegt, da man nach dem desaströsen Ulla-Schmidt-Entwurf punkten wollte. Dennoch sei klar, dass die zahnärztlichen Erwartungen in keiner Weise erfüllt worden seien, aber leider sei ebenso deutlich erkennbar, dass so schnell kein neuer GOZ-Aufschlag des Verordnungsgebers erfolgen werde.

Kein Ruhmesblatt

Diese Auffassung unterstrich auch Engel in seinem Statement. Das Ergebnis der Arbeit des Gesetzgebers sei alles andere als ein versorgungspolitisches Ruhmesblatt. Zwar habe man durch fachliche Vorarbeit so manche Sequenzen der alten GOZ aus der bundesrepublikanischen Steinzeit in das wissenschaftliche Hier und Jetzt holen können. Die BZÄK habe jedoch für die GOZ nicht über ein Verhandlungsmandat verfügt. Dennoch habe man Argumente und Vorschläge einbringen können und durch Überzeugungsarbeit die für den Berufsstand katastrophale Öffnungsklausel abwehren können. Einen Kompensationshandel mit Verzichtserklärungen auf anderes habe es jedoch nie gegeben, betonte der Präsident. Vielmehr gelte es jetzt, nolens volens zu lernen, mit der neuen GOZ umzugehen.

Methusalem-Komplott

Eine Analyse über den Wandel in der Gesellschaft skizzierte Dr. Frank Schirrmacher, Herausgeber der FAZ, in seinem Festvortrag „Das Methusalem-Komplott – Was aus uns allen werden wird. Die demographische Veränderung revolutioniert Deutschland“.

Der Wandel weg von einer jungen hin zu einer alternden Gesellschaft sei für die nächsten 50 Jahre vorhersehbar, so Schirrmacher. Die Jungen würden in der Minderheit, die Alten in der Mehrheit sein. Der Prozess sei irreversibel, jedoch seien die Sozialsysteme weiterhin auf einer Gesellschaft vieler junger Menschen aufgebaut. Bis 2060 werde die Gruppe der 80-Jährigen die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe ausmachen, prognostizierte Schirrmacher. Sowohl die Familienwie auch die Zuwanderungspolitik seien aufgefordert, geeignete Lösungsmodelle für den Alterungsprozess und dessen Auswirkungen auf die Gesellschaft beizusteuern. Deutschland sei in diesem Prozess nicht das Schlusslicht, auch andere EU-Staaten und viele weitere Länder weltweit würden folgen.

Für Schirrmacher stellt sich deshalb die Frage nach dem Stellenwert von Prävention und Gesundheit neu: Lebensentwicklung im Alter werde ein großes Thema, auch in den Medien. Dazu gehörten Aspekte und Problemfelder wie Zuteilung in der Medizin, gesundes Altern oder längere Arbeitszeitmodelle. Gesundheit werde zum höchsten Gut, wobei sich der Einzelne fragen müsse, welchen Beitrag er dazu leisten kann.

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