Die Digitalisierung des Gesundheitswesens (1)

Was sie meinen, wenn sie E-Health sagen

Die Zahl der elektronischen Anwendungen im Gesundheitsbereich steigt und steigt. Doch was bringen die eigentlich? Was geht schon, was wäre möglich? Wer ist wie in die Entwicklung eingebunden? Wer hat welches Interesse? Sortierung tut not. Involviert sind zahlreiche Akteure – im ersten Teil geht es um die Motive der Patienten und der Ärzte.

+++ 13. januar 2015: gesundheitsminister hermann gröhe fordert in der frankfurter allgemeinen zeitung „mehr tempo bei der digitalisierung“ +++

+++ dezember 2015: der bundestag verabschiedet das gesetz über die forcierung technik-basierter angebote im gesundheitswesen (e-health-gesetz) +++

+++ etwa 100.000 bis 140.000 apps beschäftigen sich mit gesundheits- oder medizinthemen +++

+++ april 2016: das zentralinstitut für die kassenärztliche versorgung in deutschland (zi) hält auf einer tagung fest, dass gesundheitsdaten für die versorgungsforschung bislang nicht genutzt werden +++

Das Thema Digitalisierung, Gesundheits-Apps oder auch Big Data ist inzwischen omnipräsent, bleibt dabei aber schwer fassbar, denn viele Player aus dem Gesundheitsbereich, aus der Industrie oder aus den Medien benutzen zwar die Begriffe, meinen aber jeweils etwas anderes. Wie so oft, hilft Wikipedia bei der ersten Orientierung, wobei sich das Internetlexikon an die Definition der EU-Gesundheitskommission anlehnt. Demnach ist E-Health ein „Sammelbegriff für den Einsatz digitaler Technologien im Gesundheitswesen“. Der Begriff bezeichnet „alle Hilfsmittel und Dienstleistungen, bei denen Informations- und Kommunikationstechnologien zum Einsatz kommen, und die der Vorbeugung, Diagnose, Behandlung, Überwachung und Verwaltung im Gesundheitswesen dienen.“

Und laut EU-Kommission umfasst E-Health die Informationen und den Datenaustausch zwischen Patienten und Gesundheitsdiensten, Krankenhäusern, Beschäftigten im Gesundheitsbereich sowie Informationsnetzen zum Thema Gesundheit. Außerdem gehören elektronische Patientenbefunde, Telemedizin-Dienste, tragbare Geräte zur Überwachung von Patienten, Software für Operationssäle, Operationsroboter und die Grundlagen¬forschung am virtuellen physiologischen Menschen mit dazu. Kurz: E-Health steht für die Digitalisierung von Arbeits- und Behandlungsprozessen in der Medizin. 

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Die Patienten

Konkreter geht es über die Definitionen nicht, fassbar wird das Thema erst, wenn man den Motiven und Einstellungen der einzelnen Player nachspürt. Wie stehen eigentlich die Patienten zu dieser Entwicklung, wie ist die Akzeptanz in der Bevölkerung hinsichtlich der technischen Revolution in der Medizin? Ambivalent, wie es scheint. 

„Ich trau dem nicht!“

Knapp die Hälfte der Krankenversicherten stehen der Digitalisierung im Gesundheitswesen skeptisch gegenüber, fast jedem Zweiten fehlt das Vertrauen, dass die persönlichen Daten, die digital übermittelt und gespeichert werden, sicher sind und nicht in falsche Hände geraten – so das Ergebnis einer Befragung der Wirtschaftsprüfungsfirma PricewaterhouseCoopers (PwC) vom April dieses Jahres, für die mehr als 1.000 Erwachsene befragt wurden. Auch in anderen Studien zeigen sich die Deutschen zurückhaltend hinsichtlich der Erhebung personenbezogener Gesundheitsdaten. Für im Durchschnitt 51 Prozent aus acht EU-Ländern überwiegen die Nachteile dieses Datensammelns, die Deutschen waren dabei mit 62 Prozent am skeptischsten. Zwar sind 42 Prozent bereit, ihre Daten zu Forschungszwecken zur Verfügung zu stellen, doch zeigen sich andere Länder-Teilnehmer freigiebiger: Besonders Spanier (86 Prozent) und Italiener (79 Prozent) stehen der Bereitschaft zur Datenfreigabe aufgeschlossener gegenüber, so eine repräsentative Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts TNS Infratest im Auftrag von Vodafone im Januar 2016. Laut Studienautoren sind über 8.000 Personen im Sommer 2015 telefonisch befragt worden. 

„Ich leite meine Daten gerne weiter!“

Auf der anderen Seite steht, dass über 30 Prozent der Smartphone-Nutzer sich vorstellen könnten, über das Mobiltelefon erfasste Daten an die eigene Krankenkasse weiterzuleiten, zumindest nach einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage im Auftrag des Branchenverbands der Digitalwirtschaft Bitkom aus dem April 2015. Dabei wurden 1.279 Personen ab 14 Jahren befragt. Dazu kommt, dass sich sogar 68 Prozent der Patienten vorstellen können, ihre über Apps selbst erfassten Gesundheitsdaten per Smartphone einem Arzt online mitzuteilen – nach dem Trendmonitor der Techniker Krankenkasse vom 17.06.2015. Für die Untersuchung hatte die TK 1.000 Mitglieder gesetzlicher und privater Krankenversicherungen befragen lassen.

„Ich profitiere doch schon davon!“

Teilweise sind Patienten und Versicherte heute bereits Nutznießer der digitalen Entwicklungen im Medizinbereich und nicht nur unmündige Opfer einer technischen Revolution. Sie sind die Profiteure von Innovationen, mit denen die medizinische Versorgung verbessert wurde und noch werden kann. Der Leiter des Bereichs Gesundheitswesen bei PricewaterhouseCoopers (PwC), Michael Burkhart, weist in bereits erwähnter Studie darauf hin, dass allein schon die digitale Übertragung von Patientenunterlagen die Kommunikation zwischen Versicherten, Ärzten und Kliniken deutlich erleichtert.

„Ich will besser überwacht werden!“

Mittels neuer Technologien könnten sowohl die Kommunikation als auch diverse Behandlungen für Ärzte und Patienten erleichtert werden, sind sich Experten wie Burkhart einig. Beispiel: Die Überwachung chronisch kranker Patienten. Schon heute könnten die Messparameter Tausender Diabetiker mobil überwacht werden. Durch ein persönliches Beobachtungsmanagement und mit mobilen Erfassungssystemen könnten Patienten an ihre Ärzte die eigenen Blutzuckerdaten senden, die – quasi als Frühwarnsystem – eine gefährliche Unterzuckerung bereits Stunden vor dem eigentlichen Notfall melden. Menschen, die von Diabetes betroffen sind, sind grundsätzlich sehr interessiert an digitalen Unterstützungshilfen, um ihren Alltag besser bewältigen zu können, wie eine Befragung der Bewertungsplattform für Health-Apps „healthon“ vom 09.03.2016 ergab. Das Problem: Übertragungsprobleme bei den technischen Schnittstellen wie auch Bestimmungen des Datenschutzes verhindern bislang, dass die Daten fließen können.

„Ich will Herr meiner Daten sein!“

Ohnehin wollen neun von zehn Bundesbürgern (87 Prozent) direkten Zugang zu ihren persönlichen Gesundheitsdaten haben, die in Arztpraxen, Kliniken oder anderen Gesundheitseinrichtungen anfallen. Das hat eine weitere repräsentative Umfrage unter 1.236 Personen ab 14 Jahren von Bitkom ergeben. „Die Patienten wollen selbst Herr ihrer persönlichen Gesundheitsdaten werden“, so Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder. „Die Daten von Patienten liegen an den unterschiedlichsten Stellen.“ Informationen aus einer Behandlungsakte könnten zum Beispiel bei einem Arztwechsel notwendig sein.

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Was bringt die Zukunft?

In der Theorie verschiebt sich mit dem eigenen Management von Gesundheit und Krankheit auch die Wissens- und Handlungsasymmetrie zwischen Arzt und Patient sowie die Rolle des Patienten generell. Schon postulierte die Gesellschaft für Recht und Politik im Gesundheitswesen (GRPG) auf einer Tagung Ende Januar in Berlin, dass der informierte Patient keine Fiktion mehr, sondern bereits Realität geworden ist. „Therapiekontrolle mittels Medikations-App, die Überwachung von Vitalfunktionen dank Sensoren oder Telekonsultationen sind keine Zukunftsvisionen, sondern bereits Realität“, heißt es von der GRPG. Ins gleiche Horn bläst die Bertelsmann-Stiftung in einer Studie („Digital-health-Anwendungen“), die die Stiftung am 10.02.2016 veröffentlichte: Digitale Gesundheitsanwendungen hätten „substanzielles Potenzial, Patienten in ihrer Rolle zu stärken“. Doch zu fragen ist auch, was nutzen Patienten all die gesammelten Gesundheitsdaten etwa über die Erfassung von Apps, wenn es an Know-how fehlt, sie nach Relevanz einordnen zu können.

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Klar ist eines: Bei der gesamten Entwicklung in der Medizin hat die Perspektive der Patienten und deren Interesse an einer Genesung oder Gesunderhaltung als oberstes Ziel zu gelten – daran erinnert nicht nur Dr. Ilona Köster-Steinebach vom Bundesverband der Verbraucherzentralen. Ähnlich formulierte es auch der Ministerialdirigent des Brandenburgischen Gesundheitsministeriums, Thomas Barta: E-Health sei einzusetzen, wo sie tatsächlich die Versorgung verbessere. „Hier muss man unterscheiden, was ist Spielerei und was hat tatsächlich einen Nutzen. Nur Schickes anbieten reicht nicht, die Angebote müssen Arzt und Patient gleichermaßen entlasten. Im Zentrum der Anwendungsfrage steht der medizinische Bedarf, es geht nicht um Technik um der Technik willen“, so Barta bei einer Konferenz Ende Februar dieses Jahres in Potsdam.

Das betonen auch die zahnärztlichen Standesvertretungen – Bundeszahnärztekammer (BZÄK) und Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV): „Die Digitalisierung von Patientendaten, Behandlungsdaten, Arbeitsabläufen und Verwaltungsprozessen darf nur soweit eingesetzt werden, wie sie den Patienten, ihrer Gesundheit und Genesung dient, heißt es etwa von der KZBV. Die Hoheit über seine Daten müsse in der Hand des Patienten liegen. Und die BZÄK hat auf dem Deutschen Zahnärztetag 2015 in Hamburg gemahnt, dass die im analogen Alltag gebräuchlichen ethischen und rechtlichen Standards auch im Umgang mit E-Health anzuwenden seien.

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Die Ärzte

Und wie sehen die Heilberufler selbst diese Entwicklung?

„Natürlich kann technischer Fortschritt die Versorgung verbessern!“ Gesundheitsbezogene Daten werden in Deutschlands Praxen zum Teil längst über mobile Technologien erfasst. Prof. Gerd Hasenfuß, Vorsitzender des Herzforschungszentrums Göttingen, unterscheidet bei der Frage, wie fortschrittlich oder rückständig die Medizin in Deutschland hinsichtlich der Unterstützung etwa durch Telemedizin ist, zwischen Medizinprodukten und Informa¬tionstechnologie: „Gerade die Innere Medizin hat moderne technologische Entwicklungen zum Wohle der Patienten umsetzen können“, sagt er.

„Wir könnten früher handeln!“

Zudem: Innerhalb von E-Health ist etwa der Vorteil von Telemedizin den Medizinern als Add-on zu herkömmlichen Behandlungsformen längst klar. Herzkranke Patienten etwa könnten mithilfe der Telemedizin ihre Krankheit selbstständiger managen. So könnten Patienten mit Herzinsuffizienz etwa über eine digitale Waage selbst ihr Gewicht erfassen und die Messdaten direkt an den behandelnden Arzt übermitteln. Übersteigt dann etwa das Gewicht als Erfassungsparameter eine bestimmte Grenze, wird dies dem Arzt ebenfalls übermittelt – und er könnte entsprechend handeln.

„Wir sollten uns an der Entwicklung der Qualitätsstandards beteiligen!“

Für Hasenfuß findet derzeit eine Revolution statt, „an der wir Ärzte uns beteiligen müssen“. E-Health sei notwendig für die innovative Patientenversorgung der Zukunft. „Die neuen Technologien bieten große Chancen: Neue Formen der Diagnostik und Therapie, neue Formen Medizin auszuüben werden möglich. Dazu müssen wir uns aber wirklich einbringen in diese Entwicklung, müssen Risiken erkennen, benennen und wir müssen Qualitätsstandards setzen.“

Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Gassen, jedenfalls begrüßt den Einsatz von Telemedizin. Sie könne die Arbeit der niedergelassenen Kollegen unterstützen und auch für Patienten eine sinnvolle Hilfe sein, so der KBV-Chef. Wie vielfältig die Projekte etwa im Bereich telemedizinischer Anwendungen gediehen sind, wird auf dem „Deutschen Telemedizinportal“ ersichtlich. Dieses Portal ist eine Maßnahme der vom Bundesministerium für Gesundheit gegründeten E-Health-Initiative und sammelt Anschauungsbeispiele. So ist seit April 2016 die Kontrolle spezieller Herzschrittmacher als erste telemedizinische EBM-Gebührenposition abrechenbar – und damit in der Regelversorgung angekommen.

„Alles kann so bleiben, wie es ist!“

Hasenfuß fordert von seinen ärztlichen Kollegen, aufgeschlossener zu sein. „Wie nutze ich Programme für die Diagnosefindung oder zur Vermeidung von Arzneimittelinteraktionen? Wie entwickelt sich die Smartphone-Technologie zur Erfassung und Übermittlung von Blutdruck- oder Blutzuckerwerten?“, dies seien alles Fragen, die sich Ärzte zunehmend zu stellen hätten. Natürlich gelte es dabei auch, den Datenschutz zu beachten. Man müsse aber konstatieren, dass Datenschutz außerhalb Deutschlands weniger restriktiv gesehen werde als hierzulande. Hasenfuß: „Womöglich müssen wir unsere Vorstellungen ändern.“ Andererseits dürfe man sich von der Technik auch nicht zu sehr faszinieren lassen. „Sie muss dort, wo es sinnvoll ist, eingesetzt werden.“

Was bringt die Zukunft?

Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang, was ein ärztlicher Kollege bei der Veröffentlichung eines Interviews mit Hasenfuß auf der Internetseite der Ärzte-Zeitung am 17.03.2016 als Leserkommentar geschrieben hat – abseits der offiziellen Linie der Bundesärztekammer: „Lieber Herr Hasenfuß, ihr Appell kommt rechtzeitig, es ist tatsächlich zwei vor zwölf, dass die deutsche Ärzteschaft aufwacht. Sie appellieren an Ärzte, sich an einer Revolution zu beteiligen, aber die wollen das nicht. Da ist einfach nichts zu machen. Die ganzen sekundären Applikationen (elektronische Versichertenkarte, elektronischer Arztbrief über KV-safenet u. v. a.) sind nutzlos, solange das Grundmodul der digitalen Praxisrevolution, das Praxisinterne Arztinformationssystem ais (Praxissoftware), nicht verstanden und kaum genutzt wird. Hier hat die Ärzteschaft ein Lerndefizit, das es zu decken gilt.“

So weit, so schlecht? Nicht ganz. Natürlich sehen auch Ärzte die positiven Seiten der Entwicklung und die riesigen Chancen, die in ihnen liegen. E-Health „wird Teil unserer Arbeit werden!“, ist auch Prof. Friedrich Köhler überzeugt. „Sie wird die klassische Arzt-Patienten-Beziehung nicht ersetzen, wohl aber verändern.“ Deshalb fordert er, diesbezügliche Anwendungen in die Aus- und Weiterbildung von Ärzten zu implementieren.

Allerdings immer unter einem Vorbehalt: Die Telemedizin muss „der Patientenversorgung dienen und nicht der Erschließung neuer Absatzmärkte für die Industrie“, sagt Ärztepräsident Dr. Frank Ulrich Montgomery. 

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