Lieber Ponyhof statt Praxis?!

Christoph Benz
„Ach, die Generation Y, die wollen doch gar keine Verantwortung tragen! Die wollen lieber Ponyhof statt Praxis.“ So oder ähnlich klingt es oft, wenn Zahnärzte der Boomer- oder X-Generation über ihren beruflichen Nachwuchs sprechen. Aber ist das die Realität?

Als Boomer sollte man sich eigentlich erinnern, dass auch unsere Leistungsfähigkeit damals nicht besonders hoch geschätzt wurde: „Lange Haare, laute Musik, kein Verantwortungsgefühl, keine Lust zu arbeiten. Mit Euch läge Deutschland heute noch in Trümmern!“

Steckt wirklich mehr hinter unserer Y-Kritik? Oder ist es doch nur die allzu menschliche Regung, die eigene Leistung zu überhöhen und die Nachfolger kritisch zu sehen – im Bewusstsein, dass der Staffelstab weitergegeben werden muss? Wir haben heute eine Vielzahl von Studien, die sich mit dem medizinischen Nachwuchs beschäftigen.

Viele Gedanken sind gar nicht so dumm

Dabei fällt auch einem Boomer oder X-ler auf, dass viele junge Gedanken gar nicht dumm sind und möglicherweise auch unsere Gedanken gewesen wären, wenn wir die Möglichkeiten dazu gehabt hätten. Sind es nicht vielleicht sogar unsere Gedanken, die wir unseren Kindern – nichts anderes ist die Generation Y doch – mitgegeben haben? Schauen wir uns einige Punkte im Licht der Studienergebnisse an.

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist jungen Zahnärzten besonders wichtig, wenngleich auch Frauen deutlich mehr als Männern. Sowohl bei den Studenten als auch bei den jungen Zahnärzten besteht dann die klare Meinung, Beruf, Familie und Freizeit ließen sich am besten im Angestelltenverhältnis verbinden.

Eine apoBank-Studie aus dem Jahr 2014 zeigt uns jedoch, dass angestellte und niedergelassene Zahnärzte ihre Situation in den Punkten „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ und „Arbeitszeitgestaltung“ nahezu gleich positiv bewerten. Verwunderlich ist das nicht, weil die Bayerische Frauenstudie zeigen konnte, dass Frauen mit Kindern als Praxischefin deutlich mehr verdienen als im Angestelltenverhältnis. Ob einem Geld nun wichtig ist oder nicht, so schafft es doch Gestaltungsmöglichkeiten – zum Beispiel bei der Kinderbetreuung. Aus der Erfahrung mit der eigenen Familie kann ich sagen, dass es viel schwieriger ist, immer wieder vom Chef Freiheiten zu erbitten, statt sie als eigene Chefin selbst zu gestalten.

Gerade in der Zahnmedizin lässt sich bei den Arbeitszeiten so viel mehr regeln als in der Industrie, Verwaltung oder sonst wo. Die Bayerische Frauenstudie zeigt, dass Zahnärztinnen in eigener Praxis deutlich öfter Kinder haben als andere Akademikerinnen.

Die Investitionsvolumina für eine eigene Praxis schrecken junge Kollegen. In der apoBank-Studie ist dies der mit 77 Prozent größte Problempunkt, andere Studien sehen ihn etwas kleiner. Der IDZ-InvestMonitor 2014 nennt bei Übernahme einer Einzelpraxis 323.000 Euro und 422.000 Euro für eine Neugründung. Vor dem Hintergrund der eher geringen Risikofreudigkeit in Deutschland – wenig Vertrauen in Aktien, sehr wenig Start-ups – haben solche Beträge schon frühere Generationen nervös gemacht. Heute muss sich aber niemand mehr niederlassen. Hier wären die Industrie und der Handel gut beraten, Konzepte für einen sanften Einstieg zu entwickeln.

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Warum muss man gleich am Anfang so viel Geld ausgeben?

Was ist besser an einer Neugründung? Nach acht Jahren hört man doch sowieso „Für Ihre alten Stühle gibt es keine Ersatzteile mehr!“. Muss die übernommene Praxis gleich komplett renoviert werden? Aus der persönlichen Erfahrung mit der Praxis meiner Frau sage ich klar:

Nein! Warum nicht mit einer übernommenen Praxis erst mal arbeiten, Ideen und Geld sammeln und die Neugestaltung dann entspannt Stück für Stück angehen? Für unseren mobil und freiheitlich denkenden Nachwuchs sinkt mit geringeren Anfangsinvestitionen vielleicht auch die psychologische Barriere, für immer an einen Ort gekettet zu sein.

Manchmal hört man „Ist doch gar nicht so schlimm, wenn wir immer mehr Angestellte haben, da ändert sich doch grundsätzlich nichts!“ Würde sich wirklich nichts ändern? Die Zahnmedizin in Deutschland dreht ein großes Rad. Unser Umfeld (Praxen, zahntechnische Labore, Handel mit Mundpflegeprodukten) beschäftigt immerhin fast halb so viel Menschen wie die deutsche Automobilindustrie. Dieses Rad dreht sich nur, weil der Berufsstand mit einheitlichen Zielen nach außen auftritt. In dem Moment, wo sich die Interessen aufsplittern, sei es durch weitere Fachzahnärzte, Zahnarzt-Light-Konzepte oder eine große Zahl von angestellten Zahnärzten, beginnt das Rad zu taumeln. Wenn dann noch Zahnärzte als Chefs durch Verwaltungsdirektoren ersetzt werden, verliert auch der Patient. Dann sitzt nämlich im Arzt-Patienten-Gespräch noch ein Dritter dabei, und der sagt: „Frau Dr. Meyer, ich hab mir mal Ihre Umsatzzahlen angeschaut. Da ist noch viel Luft nach oben!“

Wer angestellt sein will, braucht auch einen Chef

Und der einzelne Zahnarzt, verliert der auch? Nach der apoBank-Studie glaubt nur jeder Vierte, im Angestelltenverhältnis berufliche Gestaltungsmöglichkeiten zu haben oder sich selbst verwirklichen zu können. Dagegen reklamieren neun von zehn Chefs diese Möglichkeiten für sich. Vielleicht ist aber die Selbstverwirklichung für die Mehrzahl der jungen Kollegen gar nicht mehr so wichtig? Falsch! Bei jungen männlichen Angestellten sind „Verdienstmöglichkeiten“ und „Selbstverwirklichung“ die Top 1 und 2 ihrer wichtigsten Berufsaspekte und bei Frauen immerhin die Top 2 und 5. Uns allen muss klar sein, dass die Wahlmöglichkeit „Angestellter oder Chef“ nur dann erhalten bleibt, wenn wir genug Chefinnen und Chefs haben!

In unserem System gibt es viele Mitspieler, und jeder davon kann etwas tun, damit unsere jungen Kolleginnen und Kollegen den Spaß an der Niederlassung behalten. Viele Berater tummeln sich im Umfeld der Praxisgründung. Hier herrscht gar nicht selten die Denke „Panik schafft Klienten“. Intensiv vor Problemen zu warnen, macht mich nicht unentbehrlicher, sondern könnte schnell in ein „Panik schafft Angestellte“ umschlagen.

In den zahnmedizinischen Universitätsinstituten muss der Gedanke reifen, dass wir nur gemeinsam stark sind. Warum kann man die 40 Jahre Berufsleben nicht intensiver in die fünf Jahre Studium einpflegen? Wie wäre es zum Beispiel mit einem Praxis-Curriculum im letzten Semester: Teamführung, kaufmännisches Basiswissen, Gesprächsführung etc. Das alles mit universitärer Objektivität und bitte ohne die alte Mühle: Da fehlt uns jetzt aber die Zeit!

Kammern und KZVen müssen ihren Weg weiter gehen, weg von der arroganten Behörde hin zu einem serviceorientierten Partner. Wir müssen die jungen Kollegen ansprechen, ihnen zuhören, sie motivieren und einbinden. Wer das alles nicht will, darf bald mit Angestellten-Gewerkschaften konkurrieren.

Und die jungen Kolleginnen und Kollegen? Bitte bringt Euer Engagement, Eure Interessen und Eure Wünsche ein! Wer sich für die Zahnmedizin als Beruf entschieden hat, muss sich auch dafür einsetzen, dass unsere Strukturen nicht in einen Abwärtsstrudel geraten. Nur auf dem Ponyhof kümmern sich andere um den ganzen organisatorischen Kram, im wirklichen Leben leider nicht.

Prof. Dr. Christoph Benz ist Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Alterszahnmedizin, war von 2010 bis 2014 Präsident der Bayerischen Landeszahnärztekammer und ist seit 2011 Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer. Er ist Mitbegründer von „Teamwerk – Zahnmedizin für Menschen mit Behinderungen“ und hat zahlreiche Publikationen veröffentlicht.

Prof. Dr. Christoph Benz ist Vizepräsident  der Deutschen Gesellschaft für Alterszahnmedizin, war von 2010 bis 2014 Präsident der Bayerischen Landeszahnärztekammer und ist seit 2011 Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer. Er ist Mitbegründer von „Teamwerk – Zahnmedizin für Menschen  mit Behinderungen“ und hat zahlreiche  Publikationen veröffentlicht.

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