Geschichte der deutschen Zahnärzteschaft zwischen 1933 und 1945

NS-Zeit wird aufgearbeitet

71 Jahre nach Kriegsende mag man sich fragen, warum jetzt noch oder jetzt erst eine Untersuchung der Wissenschafts-, Verbands und Berufspolitik der deutschen Zahnärzteschaft erfolgt. Fakt ist, dass trotz einer Vielzahl an einzelnen, zumeist regionalen Forschungen und Dokumentationen eine zusammenhängende historisch-kritische Überblicksdarstellung der Geschichte der Zahnärzteschaft und ihrer führenden Organisationen im Nationalsozialismus noch aussteht. Mit der Vergabe des Forschungsauftrags von DGZMK, BZÄK und KZBV an eine interdisziplinäre Forschergruppe wird diese Lücke nun geschlossen.

Am 8. Mai – dem „Tag der Befreiung“ – wurde zum 71. Mal mit zahlreichen Veranstaltungen und Medienbeiträgen der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht und damit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa gedacht. Die zm nahm dies zum Anlass, mit einem Porträt über den Berliner Zahnarzt Helmut Himpel, Mitglied der von den Nationalsozialisten als „Rote Kapelle“ bezeichneten Widerstandsgruppe, eine Persönlichkeit aus dem zahnärztlichen Umfeld hervorzuheben, die stellvertretend für jene Kollegen steht, die sich dem NS- Regime widersetzt und damit ihr eigenes Leben aufs Spiel gesetzt haben, um ihre Mitmenschen zu schützen (siehe zm-online, 8. Mai 2016).

Aufarbeitung steht noch ganz am Anfang

Auch mit der zm-Sonderdokumentation „Deutsche Zahnärzte 1933 bis 1945 – Verfolger und Verfolgte“ haben die Autoren Dr. Ekkhard Häussermann, Prof. Christoph Benz und Dr. Ernst Hundsdorfer im Jahr 1998 bereits einen beachtlichen Versuch unternommen, die Geschichte der Zahnheilkunde in den Jahren von 1933 bis 1945 „historisch, sachlich, ohne Beschönigung, aber auch ohne jeden Eifer“ zu dokumentieren. Diese – aus dem zugehörigen Geleitwort des damaligen zm-Chefredakteurs Hartmut Friel ausgewählten – Worte deuten bereits darauf hin, wie schwierig sich ein solch sensibles und gleichzeitig komplexes Unterfangen darstellt.

Tatsache ist heute: Während einige fachärztliche Organisationen – ihnen voran die Kinderärzte – die Vergangenheit ihrer Berufsvertreter in der Zeit des Nationalsozialismus in den vergangenen drei Dekaden historisch-kritisch untersuchen haben lassen, steht die Zahnärzteschaft hier noch am Anfang. Eine  systematische Analyse der Wissenschafts-, Verbands- und Berufspolitik und ihrer Protagonisten im Dritten Reich fehlt bis heute. Das soll sich nun ändern.

Historische Lücke wird in zwei Jahren geschlossen

Gemeinsam haben die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, die Bundeszahnärztekammer und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung ein mit 90.000 Euro gefördertes Forschungsprojekt ausgeschrieben, um diese zeithistorische Lücke binnen 24 Monaten fundiert zu schließen. Das Vergabeverfahren durch ein unabhängiges wissenschaftliches Team ist bereits beendet. Den Zuschlag hat eine dreiköpfige, interdisziplinäre Forschergruppe erhalten.

Konkret handelt es sich um den Medizinhistoriker und Medizinethiker Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Dr. phil. Dominik Groß, der seit 2005 Inhaber des Lehrstuhls für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der RWTH Aachen und Geschäftsführender Direktor des gleichnamigen Instituts ist. Dem Leser der zm ist der Wissenschaftler durch seine medizinethischen und medizinhistorischen Reihen bekannt, die er regelmäßig in diesem Medium publiziert. Ihm zur Seite stehen im Rahmen des Forschungsprojekts Dr. Matthis Krischel, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte, Theorie, Ethik der Medizin an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, sowie Enno Schwanke, Mitarbeiter am Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der RWTH Aachen. Das Autorenkollektiv hat sich bereits intensiv mit der NS-Zeit befasst und an verschiedenen Publikationen mitgewirkt.

Forschungsschwerpunkte sind bereits bestimmt

Im Detail soll sich die historische Aufarbeitung vorrangig mit der Geschichte der zahnärztlichen Wissenschafts-, Verbands- und Berufspolitik der drei Auftraggeber beziehungsweise ihrer Vorgängerorganisationen in jenem Zeitraum sowie kurz davor und kurz danach befassen. Als spezifische Untersuchungsschwerpunkte gelten hierbei Forschung und Lehre, die Aus- und Fortbildung in der Zahnheilkunde, die Relegation verfolgter Zahnärzte aus politischen und „rassischen“ Gründen. Ebenso sollen nachweisliche Formen zahnärztlicher Opposition gegen das NS-Regime in die Untersuchung einbezogen werden.

Laut Groß ist die zur Verfügung stehende Literatur sehr umfangreich und in weiten Teilen noch unbearbeitet. Das Spektrum reiche von der zeitgenössischen Fachpresse bis hin zu amtlichen Dokumenten, etwa Akten aus der Reichskanzlei oder Akten des Bundesarchivs – Berlin Document Center, wo sich die zentrale Mitgliederkartei der NSDAP befindet. Groß betonte, dass – verglichen mit der allgemeinen Forschung zur NS-Medizin – im zahnmedizinischen Bereich kaum interdisziplinäre Ansätze vorliegen, die einen multimethodischen und damit umfassenden Zugriff auf das Thema ermöglichen.

Zudem soll eine Homepage erstellt werden, die eine Würdigung oppositioneller und politisch verfolgter Zahnärztinnen und -ärzte beinhaltet. Sie soll, so schildert es Groß, eine erinnerungskulturelle Funktion erfüllen.

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