Neuer Archäologenfund

Karies gab es schon vor 12,5 Millionen Jahren

An 12,5 Millionen Jahre alten Zähnen des Dryopithecus carinthiacus, des ältesten Vertreters der afrikanischen Menschenaffen und des Menschen, fanden Tübinger und Dresdener Forscher Karies im fortgeschrittenen Stadium.

„Dieser Befund war für uns sehr überraschend, da das Entstehen des Krankheitsbildes Karies bisher stets mit der Erfindung des Ackerbaus – der Neolithischen Revolution – vor etwa zehntausend Jahren in Zusammenhang gebracht wurde. Seit dieser Zeit wurde mehr gekochte Stärke verzehrt“, erklärt Prof. Madelaine Böhme, Leiterin der Studie. Die Zähne waren 1953 in Kärnten, Österreich, geborgen worden.

Bisher wurde Karies mit der Erfindung des Ackerbaus vor etwa zehntausend Jahren in Zusammenhang gebracht

Im Unterschied zur archäologisch häufig belegten Zahnfäule bei frühen Bauern ist die Karies bei Dryopithecus carinthiacus auf einen hohen Zuckerkonsum zurückzuführen. Fossile Pollen von Bäumen, Sträuchern und Lianen, die sich in den Kärntner Ablagerungen am Fundort des 12,5 Millionen Jahre alten Unterkiefers fanden, scheinen diese These zu belegen: Die Forscher stießen auf mindestens neun Arten, deren Früchte stark zuckerhaltig sind wie Wein, Maulbeere, Erdbeerbaum, Esskastanie, Ölweide sowie Kirsche und Pflaume. Außerdem fanden sie 46 honigtragende Pflanzen, wodurch Honig als zusätzlicher Zuckerlieferant infrage kam.

Gemäß ihrer Studie war Zucker von März bis Dezember im Miozän in der Landschaft Kärntens verfügbar. Aufgrund der kurzen Tageslänge im Januar und Februar gab es allerdings trotz nahezu tropischer Temperaturen in den nördlichen Mittelbreiten im Spätwinter keinen Blattaustrieb. Um diese Hungerperiode zu überstehen, mussten unsere Vorfahren Fettreserven anlegen.

Die europäischen Menschenaffen aßen Süßes und waren wahrscheinlich dick

Dass europäische Menschenaffen eine substanzielle Fettreserve besaßen belegt die Untersuchung des bisher einzigen kompletten Skeletts eines Menschenaffen aus Europa: dem acht Millionen Jahre alten Oreopithecus bamboli aus der Toskana. In seinem bis heute erhaltenen Weichgewebe fanden die Forscher dicht gepackte Fettzellen, die in Größe und Form an weißes Fettgewebe heutiger Menschen erinnern.

„Viele klinische Studien der Vergangenheit haben gezeigt, dass ein erhöhter Harnsäuregehalt des Blutes zu erhöhtem Blutdruck führt“, sagt Böhme. Gemäß der Uricase-Theorie könnte neben den Fettreserven ein stabil hoher Blutdruck während der Hungerphasen ein wichtiger selektiver Vorteil der Menschenaffen im Miozän Europas gewesen sein. Denn diese Voraussetzungen erlauben körperliche Aktivität auch bei Nahrungsknappheit.

Früher ein Vorteil - heute ein Handicap

„Eine vor Millionen von Jahren aufgetretene Mutation war maßgeblich dafür, dass frühe Menschenaffen Eurasien besiedeln und eine enorme Artenvielfalt hervorbringen konnten“, resümiert Böhme. „Wir tragen noch heute ihr Erbe in uns. Dieser Vorteil ist jedoch in einer Welt industriell gefertigter Nahrungsmittel in ein Handicap umgeschlagen.“

Fuss, J., Uhlig, G., Böhme, M: Earliest evidence of caries lesion in hominids reveal sugar-rich diet for a Middle Miocene dryopithecine from Europe". PLOS ONE

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