WE.care e.V. in Pakistan

Wenn Zahnbehandlungen unerschwinglich sind

Der Düsseldorfer Zahnarzt Dr. Kashif Chughtai hat pakistanische Wurzeln. Weil er die mangelnde zahnärztliche Versorgung dort nicht länger hinnehmen wollte, gründete er 2010 den Hilfsverein „WE.care e. V.“. Im Sommer dieses Jahres ging Chughtai erneut zu einem Hilfseinsatz ins Clifton Medical Center, Karachi. Hier sein Bericht.

Spätabends am 29. Juni trifft unser Team aus Deutschland in Karachi ein. Nach Vorbereitung, Vorstellung und Organisation begannen wir am 2. Juli mit der Behandlung der Patienten: Am ersten Tag arbeiten meine Assistentin Magdalena Pryzbylak, die zum Team meiner Praxis in Düsseldorf gehört, und ich alleine, lassen Frau Dr. Gulfam Atif und ihren Helfer Ejaaz Mohammed vom Center zuschauen und erläutern ihnen, was sie wie und warum tun sollen. Vor allem soll dem zahnärztlichen Personal das Prinzip der Standard Operating Procedures (SOP), also die standardisierten Arbeitsabläufe, nahegebracht und in den zahnmedizinischen Alltag integriert werden. Die SOPs werden definiert und sollen in den nächsten Tagen fester Bestandteil der Tagesarbeit werden. 


Bei den im nahen Wohnviertel unter sehr einfachen Bedingungen lebenden Menschen spricht sich schnell herum, dass ein Team aus Deutschland kostenlos Zahnbehandlungen durchführt. Immer mehr Patienten melden sich an, die ursprünglich geplante Behandlungszeit wird weit überschritten, Pausen werden durchgearbeitet.

Schon am zweiten Tag werden Dr. Atif und Mohammed zunehmend eingebunden. Sie lernen, mit den ihnen zur Verfügung gestellten Anamnesebögen die Patientendaten und den Zahnstatus aufzunehmen, einen systematischen Behandlungsablauf durchzuführen und werden mit bisher nicht gekannten modernen zahnmedizinischen Techniken vertraut gemacht.

Zahnpflege und -bürsten? Unbekannt!

Der Andrang jeden Morgen ist groß. Vor der Anmeldung bildet sich immer eine lange Schlange. Die kostenlose zahnmedizinische Versorgung ist für die Menschen ein Segen. Denn: Zahnpflege ist wenig bekannt. Das wird während der Behandlung bei der Feststellung des Zahnstatus immer wieder deutlich. Vor allem wird das am von uns so genannten „Kids-Day“ deutlich, als Pryzbylak und ich Kindern zeigen, wie man eine Zahnbürste benutzt. Die meisten halten zum ersten Mal eine Zahnbürste in der Hand und wissen nicht damit umzugehen. 

Neben der Behandlung von Patienten ist uns das zweckmäßige, den hygienischen Anforderungen entsprechende Einrichten des Behandlungsraums und die Aus- und Weiterbildung des Personals ein besonderes Anliegen. Vor allem die junge Zahnärztin Dr. Atif, die eigentlich nur einen Vertrag über fünf Arbeitsstunden täglich hat, aber morgens von 09.30 Uhr bis in den frühen Abend am Behandlungsstuhl ihre Arbeit leistet, lernt zuerst durch Zuschauen, dann durch Assistieren, zuletzt durch erstes Anwenden. Sie und Mohammed werden jetzt, wenn sie konsequent befolgen, was ihnen vermittelt wurde, praktische Erfahrungen sammeln und zunehmend sicherer in ihren handwerklichen Fähigkeiten werden.


Über die zahnmedizinischen Behandlungen hinaus werden wir auch als „Essensdienst“ tätig: Täglich werden von uns Essensrationen (Reis mit Hühnchen und Kartoffeln) an die Patienten des gesamten Krankenhauses ausgegeben. Die Hilfe wird dankbar angenommen.

Kautabakgenuss führt zu seltenen Krankheitsbildern

Zum ersten Mal wird unser Hilfseinsatz durch professionelle Medienunterstützung begleitet. Der mit mir befreundete Kameramann Samir Annouri ist ehrenamtlich Mitglied des Teams. Er filmt und fotografiert die Arbeit. So fließen Emotionen, Gesichter und Schicksale in die Berichterstattung ein, was die Leser und Mitglieder von We.care in Deutschland und weltweit beim Einsatz „näher dabei sein“ lässt. 

Während der fünf Arbeitstage behandeln wir 64 Patienten. Wir sehen vorwiegend Patienten mit kariösen und/oder zerstörten Zähnen. Besonders kritisch zu bewerten sind die häufig festzustellenden Anfangsstadien von Mundkrebs als Folge des stundenlangen Kauens von Pan oder Gutka (Kautabak mit Betelnuss, Gewürzen etc.). Der Konsum dieser Genussmittel verursacht unter anderem ein seltenes Bild der Fibromyalgie des M. buccalis; diese führt zu einer fast kompletten Kieferklemme und kann nur durch spezielle chirurgische Behandlungen gelöst werden. 

Kurz vor dem Abflug aus Karachi besuchen wir das private Waisenhaus IQRA in Karachi. Hier ging es darum, den Zahnstatus der Kinder festzustellen und zu entscheiden, wer einen Zahnarzt aufsuchen muss. Ergebnis: Die 40 untersuchten Kinder hatten durchschnittlich weniger Karies als die, die sich im Clifton Medical Center vorgestellt hatten. Es war deutlich zu erkennen, dass dort regelmäßig Zahnpflege durchgeführt wird. Aber deutlich wurde auch, wie wichtig die Arbeit in den Armenvierteln selbst ist, wo es so gut wie nie zu einem Kontakt mit Zahnärzten kommt. Auch und vor allem, weil zahnärztliche Behandlungen schlicht nicht bezahlbar sind für die Armen und Bedürftigen.


Eine erfolgreiche Investition in die Zukunft

Fazit: Das Dental Camp in Zusammenarbeit mit Al Mustafa Trust war ein voller Erfolg. Vielen bedürftigen Menschen, die sich teure Zahnbehandlungen nicht leisten können, konnte geholfen werden. Das Bewusstsein für die Notwendigkeit kontinuierlicher Zahnpflege konnte geweckt werden – bei den Erwachsenen und bei den Kindern. Vor allem aber die Aus-und Weiterbildung des zahnärztlichen Personals ist eine Investition in die Zukunft, die auf fruchtbaren Boden fällt. Das Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ ist für uns hierbei maßgeblich gewesen. 

Dr. Kashif Chughtaik.chughtai@t-online.de

WE.care plant weitere Einsätze in Karachi. Der nächste findet vom 22.12. bis zum 29.12.2018 statt. Interessenten aus der Zahnmedizin und der MKG-Chirurgie können sich beim Verein melden. Auch 2019 sind weitere Dental Camps in Pakistan geplant. Bedanken möchte sich der Verein für die großzügigen Spenden und die Unterstützung durch die Firmen Gerl/Kiel und Refit/Köln. 

Wichtiger Kooperationspartner

Am Anfang der Arbeit der damals jungen Hilfsorganisation stand die Suche nach zuverlässigen Kooperationspartnern in Pakistan. Über die deutsche Hilfsorganisation „Pakistan – Hilfe zur Selbsthilfe e. V.“, die seit vielen Jahren sehr erfolgreich vor Ort arbeitet, konnte eine Kooperation mit der pakistanischen Hilfsorganisation Al Mustafa Trust (AMT) erreicht werden. Diese betreibt im Land spendenfinanziert 16 Hospitale. 

Das Clifton Medical Center, wo nebenstehender Einsatz stattfand, liegt südlich der 24-Millionenstadt Karachi – angrenzend an ein Armenviertel mit circa 200.000 Einwohnern. Hier möchte WE.care e. V. langfristig mit befreundeten Zahnärzten, Kiefer- und Gesichtschirurgen und Assistentinnen aus Deutschland helfen. Der Partner-Verein „Pakistan-Hilfe zur Selbsthilfe e. V.“ aus Bordesholm wird unterstützend zur Seite stehen, bis die Durchführung der Hilfsprogramme von WE.care e. V. eigenständig wahrgenommen werden kann.

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Die Patienten bei der Zahnbehandlung: vom 4-jährigen Kind bis zum 91-jährigen Senior | 

Samir Annouri

Mangelnde Stromversorgung

Bereits 2017 hatte Dr. Kashif Chughtai eine Hilfsaktion in Pakistan organisiert – die Erfahrungen ergänzen einander: Damals hatte er die Zahnstation des Civil Hospital in Nathia Gali unterstützt, das (mit sehr begrenzten Mitteln) circa 600.000 (!) Menschen erstversorgen soll. Das Hospital, so Chughtai, habe zwar 2016 durch eine Spende eine Behandlungseinheit erhalten, diese habe „aber wegen unsicherer Stromversorgung, fehlender Teile [...], aber auch wegen Defiziten bei Kenntnissen und Fähigkeiten des vorhandenen Personals ausschließlich als Sitzgelegenheit zum Extrahieren“ gedient. Auch würden dem Hospital von übergeordneten Stellen keinerlei finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt. „Was gebraucht wird, muss durch das Personal beschafft und bezahlt werden. Dazu kommt, dass Patienten für die Leistungen des Hospitals nichts bezahlen.“  

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Immer wieder ein großes Problem: die (mangelhafte) Stromversorgung | 

Samir Annouri


Im Civil Hospital in Nathia Gali habe Zahnbehandlung daher bisher ausschließlich Extraktion bedeutet. Denn das Personal sei wenig qualifiziert und mittellos, dabei aber ausgesprochen lernbereit. „Es bedarf viel Aufwands, zu erklären, dass schmerzende Zähne durchaus erhalten werden können“, sagt Chughtai. 

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