Leitartikel

Will die Politik Freiberufler oder lieber Angestellte?

Wolfgang Eßer

Den Start von Jens Spahn als Gesundheitsminister darf man durchaus als fulminant bezeichnen. Innerhalb von gut 200 Tagen im Amt bringt der Westfale gleichzeitig drei teils umfangreiche Gesetzesvorhaben ins Parlament. Dabei hinterlässt insbesondere das Terminservice- und Versorgungsgesetz, kurz TSVG, einen janusköpfigen Eindruck. Einerseits wird eine Vielzahl an kleinteiligen Regelungen in das Gesetz geschrieben, die erheblich in die Organisation der Selbstverwaltung und sogar bis hinunter in die Praxisabläufe des einzelnen Leistungserbringers eingreifen. Dabei wird die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Körperschaften zwar vielfach beschworen, hält aber der Realität nicht wirklich stand. Denn der Gesetzgeber – und das ist die andere Seite der Medaille – verschließt im Hinblick auf die unveränderten MVZ-Regelungen die Augen vor den Konsequenzen für das Gesundheitswesen. Oder sind gerade die Konsequenzen aus der seit 2015 ins SGB V eingefügten MVZ-Regel, nämlich die Tore für das Finanzkapital erst richtig weit geöffnet zu haben und der damit einhergehende Systemumbau das Ziel? 

Lässt man die Großstrukturen des freien Kapitals auch in unserem hoch regulierten Gesundheitswesen bewusst zu, stellt man das bestehende Versorgungssystem nicht nur infrage, schlimmer noch, man nimmt bewusst die Zerstörung einer gut funktionierenden Versorgung in Kauf. Denn wer Rendite machen will, kann trotz aller wohlfeilen Worte von der Verantwortung für Patienten nicht primär die unterschiedslose Versorgung der Bevölkerung im Blick haben. Genau an dieser Stelle zeigt sich meines Erachtens der Januskopf. Es ist mir nicht nachvollziehbar, warum viele Gesundheitspolitiker glauben, dass das Großkapital sich freiwillig die derzeitigen kleinteiligen Fesseln im Gesundheitswesen anlegen lassen wird. Da liegt die Schlussfolgerung nicht fern, dass die Gesundheitspolitik einen Systemumbau anpeilt, der die Versorgung nicht mehr auf die Schultern der Freiberufler legt, sondern stattdessen Großstrukturen mit Angestellten favorisiert.

Das in diesem Zusammenhang gerne verwendete Argument, dass dieses insbesondere der jungen Heilberuflergeneration entgegenkommt, die vor allem angestellt tätig sein will, halte ich für perfide. Denn unsere Zahlen und Befragungen sagen etwas Anderes: Die weit überwiegende Mehrzahl der Zahnärztinnen und Zahnärzte wollen sich in eigener Praxis niederlassen – aber im Vergleich zu früheren Zahnarztgenerationen erst circa zehn Jahre später. Dass das eine ausgedehntere Angestelltenzeit bei diversen Arbeitgebern bedingt, liegt auf der Hand und berechtigt nicht dazu, die Axt ans bestehende System legen, die Freiberuflichkeit ad absurdum zu führen und die Zukunftschancen kommender Zahnarztgenerationen auf ein Angestelltendasein zu reduzieren. Deshalb ist es jetzt so wichtig, deutlich gegen die Fremdbesitz-MVZ Stellung zu beziehen und den politischen Entscheidern das Risiko für den Flurschaden, den diese Politik anrichtet, aufzuzeigen. Global operierende Private-Equity-Fonds ohne medizinisch-fachlichen Bezug zur zahnärztlichen Versorgung werden nämlich eines nicht tun: eine Versorgung in der Fläche sicherstellen, wenn dadurch die Rendite nicht mehr stimmt. Oder eine ausschließlich am Individuum orientierte bestmögliche zahnmedizinische Versorgung ohne betriebswirtschaftliche Optimierung zuzulassen. Derzeit versuchen sich zehn Investment- oder Kapitalgesellschaften am Markt zu etablieren. Einige kaufen mittels einer zuvor erworbenen Klinik bereits aktiv Praxen auf, andere schließen Vorverträge mit abgabewilligen Zahnärzten. Kolportiert wird zumeist eine Zielgröße von mindestens 200 Praxen pro Investor, was in Fachdiskussionen gerne als Beruhigungspille verwendet wird, da dies ja weniger als 5 % der derzeitigen Praxen betreffen würde. Allerdings gibt es weder eine Begrenzung für die Anzahl von Investoren noch für aufgekaufte Praxen. Was das für kapitalschwächere Markteilnehmer bedeutet, kann man sich leicht ausmalen. Ebenso für die Patienten wie auch für die Versorgung auf dem Land. Die Frage lautet also: Warum tut die Politik angesichts der absehbaren Folgen der fonds- und kapitalgetriebenen Z-MVZ für die Versorgung nichts? 

Dr. Wolfgang EßerVorsitzender des Vorstands der KZBV

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