Berufsanerkennungsrichtlinie

Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet

Die Europäische Kommission leitete am 19. Juli 2018 gegen fast alle EU-Mitgliedstaaten Vertragsverletzungsverfahren nach Artikel 258 ff. AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) ein. Der Vorwurf: fehlerhafte Umsetzung der 2013 überarbeiteten und seit 2016 geltenden Berufsanerkennungsrichtlinie (RL 2013/55/EU). Litauen bleibt als einziges Land von dem Verfahren verschont. Als erster Schritt wurden sogenannte Aufforderungsschreiben verschickt, mit denen die Kommission weitere Informationen zur Umsetzung der Richtlinie auf nationaler Ebene erbittet. Die 27 EU-Mitglieder hatten bis 19. September Zeit, auf die Mahnung zu reagieren. Diese Reaktionen bleiben jedoch unter Verschluss.

Nach den zm vorliegenden Informationen wirft die Europäische Kommission Deutschland Mängel bei der Implementierung und Anwendung der Richtlinie vor, die zum Teil für die Zahnärzteschaft von Relevanz sind:

An erster Stelle rügt der Quelle zufolge die Kommission, dass die in Artikel 59 der Richtlinie genannten „Transparenz- und Prüfpflichten“ schlecht umgesetzt sind. Hauptkritikpunkt: Deutschland aktualisiere die zentrale EU-Datenbank der reglementierten Berufe nicht regelmäßig und übermittle die notwendigen Informationen nicht oder nicht ausreichend. Nächster Kritikpunkt: Der ebenfalls in Artikel 59 vorgesehene „Verhältnismäßigkeitstest“ für das bereits bestehende Berufsrecht werde nicht bei allen Berufen durchgeführt und in der Datenbank seien nicht die erforderlichen Begründungen hinterlegt. Angeblich geht die Kommission davon aus, dass die deutschen Behörden bei einem Viertel der in der Datenbank eingetragenen Berufe noch keine Bewertung der Verhältnismäßigkeit durchgeführt haben.

Des Weiteren wird moniert, dass Deutschland keinerlei Berichte über das – aufgehoben oder gelockert – Berufsrecht übermittelt habe. Dies stehe gegen die Vorgaben aus den Absätzen 5 und 6 von Artikel 59 der Richtlinie. Ebenso fehlten angeblich Informationen über neue berufsrechtliche Anforderungen, die seit 2016 eingeführt wurden. 

Aus Sicht der Kommission bereite zudem der mit Artikel 56a eingeführte Vorwarnmechanismus für Angehörige der Gesundheitsberufe Probleme. Ein solcher Mechanismus sei zwar in Deutschland durch Gesetze wie das Zahnheilkundegesetz umgesetzt worden. Gleichwohl fehle es auf Ebene einiger Bundesländer an entsprechenden Ausführungsrechtsakten, schreibt die Quelle der EU-Behörde. Darüberhinaus bemängele die Kommission, dass die meisten nationalen Gesetze nicht die ausdrücklich genannte Dreitagesfrist zur Übermittlung einer Warnung über das Binnenmarktinformationssystem enthielten. Auch über den genauen Zeitpunkt, ab dem eine Warnung ausgesprochen werden muss, bestehe Klärungsbedarf. Für die Kommission ergibt sich eine Warnpflicht jedoch bereits ab dem Erlass der Entscheidung. 

Dabei geht es unter anderem um die Frage, inwieweit ein Antragsteller im Aufnahmemitgliedstaat den in seinem Heimatland erlernten Beruf ausüben kann – und zwar auch dann, wenn dort entweder dieser Beruf an sich nicht existiert oder die Tätigkeiten einem anderen Beruf vorbehalten sind. Die Kommission betont ausdrücklich, dass der partielle Zugang nicht per se den Berufsgruppen verboten sein darf, die dem System der automatischen Anerkennung unterliegen. Die europäischen Berufsverbände der Ärzte, Zahnärzte und Apotheker gingen hingegen davon aus, dass es keinen partiellen Zugang für Berufe geben könne, deren Ausbildung durch die Berufsanerkennungsrichtlinie harmonisiert ist. 

Etwa die Sprachtests sind unzureichend geregelt

Auch die Umsetzung des in Artikel 53 Absatz 1 geregelten Sprachtests nimmt die Europäische Kommission ins Visier. Solche Sprachtests sind insbesondere bei Angehörigen der Heilberufe vorgesehen, aus Gründen des Patientenschutzes. Der Kommission zufolge existiere in Deutschland weder eine allgemeingültige Vorschrift für die verlangten Sprachkenntnisse, noch sei ausreichend geregelt, wann und auf welche Weise die Sprachkenntnisse nachzuweisen sind. Außerdem wird konkret bemängelt, dass in manchen Bundesländern die eigentlichen Sprachtests nicht oder nur zu selten angeboten werden. Dadurch werde die Berufsaufnahme unnötig verzögert und erschwert. Als kritisch bewertet die Unionsbehörde, dass in einigen deutschen Ländern Sprachtests systematisch erfolgten. Aus Sicht der Kommission ist ein solches Vorgehen nicht mit der Richtlinie vereinbar. Ihr zufolge dürften Überprüfungen der Sprachkenntnisse nur dann vorgeschrieben werden, wenn im Einzelfall konkrete Zweifel an der notwendigen Sprachkenntnis eines Bewerbers bestehen.

Nun muss das für die Berufsanerkennungsrichtlinie vorrangig zuständige Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) auf das Anforderungsschreiben aus Brüssel antworten. Unserer Quelle zufolge hatte das BMWI die Bundesländer (die für die Umsetzung vieler Aspekte zuständig sind) bis Ende August um eine Stellungnahme gebeten. Den zm teilte das BMWi dazu am 1. Oktober mit: „Die Bundesregierung wird das Mahnschreiben der EU-Kommission innerhalb der noch laufenden Beantwortungsfrist beantworten.“ 

Wie bewertet der in Brüssel tätige Leiter der Abteilung Europa/Internationales der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) diesen Vorgang? Dr. Alfred Büttner: „Die gleichzeitige Eröffnung von 27 Vertragsverletzungsverfahren zeigt, dass es massive Probleme bei der Umsetzung der 2013 verabschiedeten Änderungen der Berufsanerkennungsrichtlinie in nationales Recht gibt. Diese Umsetzung hätte bis Januar 2016 abgeschlossen sein müssen.“ Insbesondere die neuen Instrumente, die mit der Richtlinie eingeführt wurden, wie der Vorwarnmechanismus und die überarbeiteten Anforderungen an Sprachtests bereiteten im Behördenalltag der EU-Mitgliedstaaten offenbar deutliche Schwierigkeiten, so Büttner. Interessanterweise scheine die Umsetzung des 2013 ebenfalls neu eingeführten Europäischen Berufsausweises – zumindest in Deutschland – keinen Anlass für Kritik zu geben. Dies mag dem EU-Kenner zufolge vor allem daran liegen, dass bislang nur fünf Berufe den Ausweis beantragen können. Büttner weiter: „Bemerkenswert ist, dass im Fokus des deutschen Anforderungsschreibens erkennbar die regulierten Berufe stehen. 

„Der Druck auf Deutschland wird spürbar verstärkt“

Die Kommission macht deutlich, dass der nach den Vorgaben der überarbeiteten Berufsanerkennungsrichtlinie durchgeführte Transparenzprozess zur Bewertung des bestehenden Berufsrechts nicht zu einer grundlegenden Analyse des nationalen Berufsrechts geführt hat. Die Kommission wirft Deutschland zudem vor, nach Abschluss des Transparenzprozesses keine der erforderlichen Folgemaßnahmen ergriffen zu haben, sondern auf diesem Gebiet weitgehend untätig geblieben zu sein. Mit der Eröffnung des Vertragsverletzungsverfahrens wird der Druck auf Deutschland damit spürbar verstärkt, Berufsrecht kontinuierlich unter die Lupe zu nehmen und die europäische Datenbank für regulierte Berufe regelmäßig zu aktualisieren. Das gibt einen ersten Vorgeschmack auf die anstehende Umsetzung der im Juli 2018 in Kraft getretenen über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen (RL 2018/958 EU).“ Wie die bis 19. September erwarteten Reaktionen der angemahnten 27 Mitgliedstaaten ausgefallen sind, ist auch Büttner nicht bekannt. „Solche Antworten werden grundsätzlich nicht veröffentlicht“, erklärte der Leiter des Brüsseler BZÄK-Büros gegenüber den zm. Das ganze Prozedere könne sich zudem über Jahre hinziehen – bis hin zum Europäischen Gerichtshof (EuGH).

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