Streitgespräch auf dem SpiFa-Fachärztetag

Ausverkauf durch Fremdkapital?

Droht der Ausverkauf des deutschen Gesundheitswesens durch Fremdkapital? Tatsache ist: Die Zahl der von Investoren betriebenen Medizinischen Versorgungszentren (iMVZ) steigt rasant, zuletzt insbesondere im zahnärztlichen Bereich. Auf dem SpiFa-Fachärztetag 2021 Mitte April stritten sich Befürworter und Gegner, wie diese Entwicklung zu bewerten ist.

Ende Dezember 2020 gab es 1.100 zahnärztliche MVZ (zMVZ) in Deutschland, 2015 waren es noch 87. Das ist ein rasanter Anstieg“, stellte Martin Hendges, der stellvertetende Vorsitzende der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), direkt zu Beginn der Diskussion fest. „Insgesamt finden sich 80 Prozent der Zentren in sieben KZV-Bereichen, nur 20 Prozent sind im ländlichen Raum angesiedelt“, führte er aus. Hendges zufolge bilden die Zahlen aus der Vertragszahnärzteschaft in Teilen auch die Entwicklung im ärztlich-ambulanten Sektor ab. Laut KZBV-Statistik haben insgesamt 234 iMVZ ein Krankenhaus als Träger, 165 von ihnen sind in Ketten organisiert. 31 solcher Ketten gibt es mittlerweile am Markt.

Wie Hendges darlegte, favorisieren die Betreiber eindeutig den urbanen Sektor in überversorgten Gebieten. Aus dem durchschnittlichen Abrechungsverhalten gehe klar hervor, dass in iMVZ – im Unterschied zu Einzelpraxen und BAG – eine deutliche Tendenz zu Über- und Fehlversorgung besteht. „Wir erkennen hier weder eine Motivation, sich an der Versorgung im ländlichen Bereich zu beteiligen, noch eine Bereitschaft, die Versorgung vulnerabler Patientengruppen zu unterstützen. Das Leistungsgeschehen konzentriert sich im Wesentlichen auf die lukrativen Bereiche“, berichtete Hendges. 

Ein Trojanisches Pferd wurde eingeschleust

 Ziel der KZBV sei die Sicherstellung einer flächendeckenden und wohnortnahen Versorgung. „Die Investoren verfolgen jedoch andere Motive, das liegt in der Natur des Geschäftsmodells. Die Krankenhausträger greifen über ein Trojanisches Pferd in die Versorgung ein“, sagte Hendges mit Verweis auf das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz von 2015, das die Gründung von arztgruppengleichen und auch reinen Zahnarzt-MVZ ohne fachlichen Bezug durch ein Krankenhaus oder eine nichtärztliche Dialyse-Einrichtung erst möglich machte.

Fakten zu zahnärztlichen MVZ

  • Gab es Ende Dezember 2015 in Deutschland insgesamt 87 zMVZ (84 im Westen, 3 im Osten), sind es Ende März 2021 nach aktuellen Prognosen 1.155 (1.065 im Westen, 90 im Osten. Bei 247 waren Finanzinvestoren beteiligt.

  • Von den 1.101 Ende 2020 zugelassenen zMVZ gehören 706 zu einer Kette. Allein die Jakobs Holding AG besitzt 45 zMVZ (Colosseum Deutschland).

  • Vom vierten Quartal 2015 bis zum vierten Quartal 2020 stieg die Zahl der iMVZ in Deutschland von 11 auf 234. Dabei handelt es sich in der Regel nicht um Praxisneugründungen, sondern um Käufe von bereits bestehenden Zahnarztpraxen oder von Zahnärzten gegründeten MVZ.

  • Höhere Renditen als in anderen Segmenten werden erzielt durch ein auf Rentabilität ausgerichtetes Management und die Standortwahl. Beim Weiterverkauf nach vier bis sieben Jahren soll ein größtmöglicher Verkaufspreis sichergestellt werden.

  • Die Standortwahl konzentriert sich bei zMVZ stark auf jene Großstädte, die sich durch „eine überdurchschnittlich einkommensstarke sowie jüngere und weniger von Pflegebedürftigkeit betroffene Bevölkerung“ auszeichnen.

  • Die Befunde zum Leistungsgeschehen und Abrechnungsverhalten stützen die These eines im Vergleich zu Einzelpraxen und BAG stärker am Ziel der Renditeoptimierung orientierten Vorgehens von iMVZ.

aus dem Gutachten „Investorenbetriebene MVZ in der vertragszahnärztlichen Versorgung“ des IGES Instituts für die KZBV von Oktober 2020 und der neuesten KZBV-Statistik

„Es ist richtig, dass das Fremdkapital kapitalintensive Fachbereiche bevorzugt“, räumte Dr. Marcus Steffen Bauer, Senior Executive Advisor der Strategieberatung von PwC, ein. Wahr sei auch, dass der Fokus auf den Ballungszentren liege, da sich die MVZ an den Bevölkerungs- und an Demografiezahlen orientieren. Dennoch könne man aus seiner Sicht nicht von einem Ausverkauf sprechen. Man müsse bei der Analyse nicht nur die reine Rendite betrachten, sondern stattdessen eine „ehrliche Weiterentwicklungsperspektive“ in den Fokus zu nehmen. Was die Datenlage betrifft: „Wir sind nicht an dem Punkt, wo wir sagen können, wir haben hier eine Versorgungsgefährdung.“

„Die Daten sind nicht so schwach, dass wir keine Rückschlüsse ziehen können“, widersprach Hendges. „In ländlichen Bereichen können Versorgungsprobleme entstehen und genau dort lassen sich iMVZ nicht nieder.“ Für ihn stelle sich vielmehr die Frage, ob man dem Versorgungsauftrag in diesen Strukturen überhaupt gerecht werden kann. „Fakt ist: Kinder und Pflegebedürftige bleiben außen vor, weil ihre Behandlung nicht so lukrativ erscheint. Und wir wissen, dass Zahnärzte in MVZ klare Zielvorgaben bekommen. Höhere GOZ-Honorare sind dafür ein Beleg.“

Einzelpraxis oder MVZ – Ist das Konstrukt egal?

„Das Produkt ist auch bei uns die Versorgung von Patienten – verantwortet von Ärzten, die frei entscheiden“, entgegnete Dr. med. Michael Müller, Vorstandsvorsitzender der Akkreditierten Labore in der Medizin (ALM) und Geschäftsführer der MVZ Labor 28 GmbH. Sein Ziel sei, die Versorgung und die Organisationsstrukuren zu verbessern, um gute Medizin liefern zu können. Am Ende sei es egal, ob es sich um eine Einzelpraxis handelt oder um ein MVZ: „Das Konstrukt ist nicht entscheidend.“ Auch MVZ können Müller zufolge für die Versorgung förderlich sein: „Kapitalintensive Strukturen sind, das hat die Pandemie gezeigt, reaktionsfähiger.“

Die junge Generation habe zudem andere Wünsche, was auch an der Entwicklung der Medizin liege, die sich immer digitaler, interdisziplinärer und in Richtung KI entwickle. „Junge Ärzte haben den Wunsch, gute Medizin zu machen und dabei flexibel und interdisziplinär zu arbeiten“, sagte Müller. „Sie wollen sich für ihren Beruf engagieren. Hier spielt natürlich auch die Willkommenskultur eine Rolle, Stichwort Bedarfsregelung. Maßgeblich ist aber auch, ob man das Risiko alleine schultern muss – oder eben nicht.“

Doch welche Bedürfnisse hat der Patient? „Der Patient muss wissen, bei wem er Leistungen in Anspruch nimmt“, verdeutlichte Hendges. „Im Moment kann er das nicht erkennen. Diese notwendige Transparenz können ein Register und das Praxisschild schaffen.“ Der Vorschlag der KZBV gehe deshalb dahin, das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) weiterzuentwickeln und die Gründungsbedingungen im urbanen Bereich zu begrenzen.

Transparenz ist sicherlich ein zentraler Aspekt

„Als selbstbestimmter Patient habe ich nicht die Möglichkeit, hinter die Kulissen zuschauen, was die Strukturen anbelangt“, stimmte Bauer zu. Transparenz ließe sich regulatorisch herstellen, zum Beispiel über das von Hendges genannte Register. Für Patienten sei aber auch von Interesse, wie oft der Zahnarzt die Behandlung schon durchgeführt hat und ob die Praxis abends um 22 Uhr noch geöffnet ist. Bauer plädierte darum für mehr „Pluralismus“ im Gesundheitswesen. „Wir sollten uns überlegen, wo wir Hardcore regulieren. Notwendiges Regulieren ja, aber wir sollten Finanzierungsmodelle schaffen, so dass Ärzte ihr ureigenstes System mit ihrem Ethos weiterent-wickeln.“

„Wenn es um gute Versorgung geht, ist die Stärkung der ärztlichen Freiberuflichkeit und der Transparenz sicherlich ein zentraler Aspekt“, gab auch Müller zu. „Aber wenn die Bedigungen am Arbeitsplatz nicht förderlich sind, gehen die Ärzte dort auch nicht hin. Meinen Anspruch als Arzt, fachlich unabhängig zu sein, lasse ich mir nicht wegnehmen.“

„Entgegen der landläufigen Meinung, Zahnärzte könnten in MVZ flexibler arbeiten, ist es in Wirklichkeit umgekehrt“, stellte Hendges am Ende richtig: „Die Teilzeitquote in BAG und Einzelpraxen ist nachweislich viel höher.“ Nur 0,09 Prozent der Vertragszahnärzte sind laut Hendges übrigens in Investoren-MVZ tätig.

Investoren sind für Abgeber attraktiv

Ulrich Sommer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Apotheker- und Ärztebank (apoBank), wandte sich eingangs live zugeschaltet mit einem kurzen Appell an die Runde: „Wir brauchen im Gesundheitswesen Strukturen, die von der Berufung geleitet sind!“ 

Er verwies in seinem Impulsvortrag darauf, dass hinter fast jedem sechsten ärztlichen MVZ Private Equity steht. „Das ist ein Sektor mit hoher Investitionskraft und hohem Investitionsbedarf“, führte Sommer aus. „Immer mehr Abgeber entscheiden sich für einen Investor und dieser Trend wird sich weiter verstärken.“

Sommer riet den Ärzten und Zahnärzten, in diesem Prozess ihr eigenes System nicht aus der Hand zu geben. Die apoBank stehe ihnen bei der Finanzierung ihrer Praxen verlässlich zur Seite.

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