Kabinettsentwurf zum GKV-Finanzstabilisierungsgesetz

Es droht die Budgetierung!

Das Kabinett hat den Entwurf des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes (GKV-FinStG) beschlossen. Kritikern zufolge ist der Name alles andere als Programm: Wenn alles so kommt wie geplant, droht den Zahnärzten eine erneute Budgetierung von Leistungen. Mit schwerwiegenden Konsequenzen für die Patientenversorgung, befürchten die Zahnärzte. Auch Ärzte und Kassen warnen vor den Folgen für die Versorgung.

Am 27. Juli hat das Bundeskabinett den Entwurf für ein neues GKV-Finanzstabilisierungsgesetz beschlossen. Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) befürchtet nun aufgrund der darin vorgesehenen drastischen Vergütungskürzungen und Budgetierungen gravierende Leistungskürzungen mit erheblichen Folgen für die Patientenversorgung. „Die geplanten Maßnahmen im zahnärztlichen Bereich werden fatale Folgen für die Mund- und Allgemeingesundheit der Versicherten bewirken und werden strikt abgelehnt“, kommentierte der KZBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Wolfgang Eßer den Beschluss der Bundesregierung.

Das sieht der Kabinettsentwurf vor:

  • Begrenzung des Honorarzuwachses für Zahnärztinnen und Zahnärzte

  • Die extrabudgetäre Vergütung von vertragsärztlichen Leistungen gegenüber sogenannten „Neupatienten“ wird abgeschafft.

  • Der Zusatzbeitrag wird steigen. Auf Grundlage der Ergebnisse des GKV-Schätzerkreises im Herbst wird das Bundesministerium für Gesundheit den durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz in der Gesetzlichen Krankenversicherung festlegen. Eine Anhebung um 0,3 Prozentpunkte sei derzeit nicht unrealistisch, heißt es im Entwurf.

  • Die Finanzreserven der Krankenkassen werden mit einem kassenübergreifenden Solidarausgleich zur Stabilisierung der Beitragssätze herangezogen. Zudem wird die Obergrenze für die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds halbiert. Übersteigende Mittel können für höhere Zuweisungen an die Krankenkassen genutzt werden, um die Finanzierungslücke weiter zu schließen.

  • Der bestehende Bundeszuschuss zur GKV für 2023 wird von 14,5 Milliarden Euro auf 16,5 Milliarden Euro erhöht.

  • Der Bund gewährt der GKV ein unverzinsliches Darlehen für 2023 von einer Milliarde Euro an den Gesundheitsfonds.

  • Für das Jahr 2023 ist ein um fünf Prozentpunkte erhöhter Herstellerabschlag insbesondere für patentgeschützte Arzneimittel vorgesehen.

  • Das Preismoratorium bei Arzneimitteln wird bis Ende 2026 verlängert.

Sinngemäß ist im Gesetz folgendes vorgesehen:

  • Die Veränderungen der Gesamtvergütungen der zu vergütenden vertragszahnärztlichen Leistungen ohne Zahnersatz soll sich in 2023 höchstens um die um 0,75 Prozentpunkte verminderte und in 2024 höchstens um die um 1,5 Prozentpunkte verminderte Grundlohnsummen-Veränderungsrate verändern dürfen. Dies soll nicht für die IP- und die Früherkennungsleistungen gelten.

  • Vorgesehen ist auch, dass die am 31. Dezember 2022 geltenden Punktwerte für zahnärztliche Leistungen ohne Zahnersatz sich 2023 höchstens um die um 0,75 Prozentpunkte verminderte und 2024 höchstens um die um 1,5 Prozentpunkte verminderte Grundlohnsummen-Veränderungsrate verändern dürfen. Dies soll ebenfalls nicht für die IP- und die Früherkennungsleistungen gelten.

Der Kabinettsentwurf wird derzeit eingehend von der KZBV analysiert und geprüft. Bereits zuvor hatte die KZBV äußerst kritisch zum Referentenentwurf des Gesetzes Stellung bezogen. Auch die KZBV-Vertreterversammlung hatte sich im Vorfeld entsprechend positioniert.

PAR-Versorgungsstrecke wird so ausgebremst

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) hatte direkt im Anschluss an die Kabinettssitzung bekräftigt, dass mit dem Gesetz keine Leistungskürzungen verbunden seien. „Hier führt der Minister die GKV-Versicherten hinters Licht“, argumentierte Eßer. „In einer budgetierten Gesamtvergütung, wie sie der Regierungsentwurf vorsieht, würden die erst kürzlich freigegebenen notwendigen Finanzmittel für neue Leistungen und insbesondere die neue Versorgungsstrecke bei der Parodontitistherapie massiv gekappt. De facto werden damit dringend notwendige Leistungen, auf die die Versicherten neuerdings einen Rechtsanspruch haben, durch die Hintertür wieder gestrichen.“

Kleine Historie

Budgetierung in der kassenärtzlichen Versorgung

Mit dem Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) – unter Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer 1993 in Kraft getreten – wurde eine strikte Budgetierung der Vergütungen in nahezu allen zahnärztlichen Leistungsbereichen mit Ausnahme der Prävention (sektorale Budgetierung) mit jährlich festgelegten Zuwachsraten eingeführt. Hinzu kamen Preisabsenkungen unter anderem beim Zahnersatz und bei den zahntechnischen Leistungen, die Versicherten mussten beim Zahnersatz steigende Zuzahlungen leisten. Kieferorthopädische Behandlungen für Erwachsene und bestimmte Zahnersatz-Versorgungsformen wurden aus dem GKV-Leistungskatalog ausgeschlossen.

In den Folgejahren und Folgegesetzen wurde in Bezug auf die Budgetierung an diversen Stellschrauben weitergedreht. Ein Meilenstein: Zum 1. Januar 2005 (geregelt im Gesetz zur Modernisierung der GKV von 2003) lösten befundorientierte Festzuschüsse das prozentuale Bezuschussungssystem beim Zahnersatz ab. Mit dem von der Zahnärzteschaft in Zusammenarbeit mit der Wissenschaft entwickelten Konzept als Reaktion auf die andauernden Kostendämpfungsmaßnahmen des Gesetzgebers wurde ein neuer versorgungspolitischer Ansatz gewählt.

Durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG, 2012) schließlich wurde das Vergütungssystem im Bereich der zahnärztlichen Behandlung ohne Zahnersatz weiterentwickelt. Danach wurde ab 2013 die „strikte Budgetierung“, also die Anbindung der zahnärztlichen Gesamtvergütung an die Grundlohnsumme, aufgehoben. Die zwischen den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen und den Krankenkassen vereinbarten Gesamtvergütungen sollten sich seitdem stärker am krankheitsbedingten Behandlungsbedarf der Versicherten ausrichten.

Unaufgefordert hatte sich nach Bekanntwerden des Referentenentwurfs bereits die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie (DG PARO) zu Wort gemeldet: „Wir fordern aus wissenschaftlicher Sicht mit Nachdruck dazu auf, von diesen Plänen Abstand zu nehmen – mindestens jedoch, die parodontologische Behandlung als präventionsorientierte Versorgung von der geplanten Budgetierung auszunehmen.“

Die neue PAR-Versorgung befinde sich immer noch ganz am Anfang der Einführungsphase, die über mehrere Jahre bis 2024 geplant sei, erklärte Prof. Dr. Bettina Dannewitz, Präsidentin der DG PARO. In einer budgetierten Gesamtvergütung, die für 2023 und 2024 vorgesehen sei, würde die neue PAR-Versorgungsstrecke komplett ausgebremst werden. Denn, so Dannewitz weiter, mit der neuen PAR-Strecke sei erstmals in der vertragszahnärztlichen Versorgung eine mehrjährige Leistungsstrecke verankert worden. Wesentliche Teile der Leistungen, die bereits jetzt beantragt und genehmigt wurden, würden erst in den Jahren 2023 und 2024 erbracht werden (insbesondere die Unterstützende Parodontitistherapie). Eine Budgetierung auf der Grundlage des Jahres 2022 würde die Erbringung dieser Leistungen verunmöglichen, da diese Leistungen im Budget des Jahres 2022 nicht abgebildet seien. Auch die Behandlung neuer Patienten würde aufgrund der Budgetierung nicht möglich sein.

Die Deutsche Gesellschaft für AlterszahnMedizin e. V. (DGAZ) warnt eindringlich vor den negativen Auswirkungen des geplanten Gesetzes auf vulnerable Gruppen. Die wachsende Zahl älterer Patientinnen und Patienten, darunter besonders Menschen mit Pflegebedarf oder einer Beeinträchtigung, würde von solchen Sparmaßnahmen des Gesetzgebers in der ambulanten aufsuchenden Betreuung zu Hause oder in Pflegeeinrichtungen besonders hart getroffen. Die Politik dürfe die überaus erfolgreiche Arbeit der Zahnärzteschaft in diesem Bereich, die durch zahlreiche Gesetze zuvor jahrelang aktiv unterstützt wurde, nicht mutwillig gefährden, so die DGAZ. 

„Schlag ins Gesicht der Patienten“

Den Ärzten ist vor allem der Wegfall der Neupatientenregelung ein Dorn im Auge. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) spricht von einem „Schlag ins Gesicht der Patientinnen und Patienten“. Der Bundesgesundheitsminister wolle die Versorgung der Bürger einschränken.

Im Gesetzesentwurf ist vorgesehen, dass die mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) eingeführte Neupatientenregelung gekippt und die Leistungen der sogenannten offenen Sprechstunde einer unbefristeten Bereinigung unterliegen sollen. Die Behauptung des Ministers, die Neupatientenregelung habe nichts gebracht, „stimmt einfach nicht“, monierte die KBV. Sie verwies auf eine Analyse des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi). Das Zi hatte aktuell nachgewiesen, dass mehr als jeder vierte gesetzlich versicherte Patient von der Regelung begünstigt wurde (siehe Kasten auf der nächsten Seite).

In einem gemeinsamen Schreiben an Lauterbach äußerte die KBV gemeinsam mit den Kassenärztlichen Vereinigungen Unverständnis über die geplanten Leistungskürzungen für Patienten: Die Regelung, von der viele kranke Menschen profitiert hätten, sei eingeführt worden, damit Patienten, die keinen festen Hausarzt, Kardiologen oder Orthopäden hätten, einen schnellen unkomplizierten Zugang zur medizinischen Versorgung erhalten, so die Organisationen. Mit dem Gesetzentwurf würden aber die vielen offenen Sprechstunden von Ärzten ein jähes Ende finden. Viele Ärztinnen und Ärzte hätten dazu nicht zuletzt personell investiert und ihre Sprechstundenzeiten ausgebaut. „Wenn diese Instrumente nun wegfallen, sehen sich viele Praxen außerstande, ihr teils erheblich ausgeweitetes Leistungsangebot aufrechtzuerhalten“, so der Brief weiter. Die Arbeitskraft und die Ressourcen der Niedergelassenen seien endlich. Deshalb würden Auswirkungen im Sinne von Leistungskürzungen für Patienten unvermeidbar sein, warnen die Kassenärzte. 

„Scheinheilig“ und „kurzatmig“

Auch von der Fachärzteschaft kommt heftige Kritik. Der Verband sei empört über die Scheinheiligkeit, mit der die Bundesregierung den Bürgern vorgaukeln will, es werde keine Leistungskürzungen im Gesundheitswesen geben, unterstrich Dr. Dirk Heinrich, Vorstandsvorsitzender des Spitzenverbandes Fachärzte Deutschlands (SpiFa). „Fakt ist aber, dass mit diesem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz und weiteren von der Bundesregierung vorgesehenen Einschränkungen in vielen Arztpraxen ein Aufnahmestopp für Neupatienten und längere Wartezeiten auf einen Facharzttermin unvermeidlich sind. Und das bedeutet Leistungskürzungen und damit eine klare Verschlechterung der Versorgung von Patienten in Deutschland.“

Die Krankenkassen gehen nicht davon aus, dass Lauterbachs Gesetzespläne langfristig wirksam sein werden. „Dieses Gesetz enthält keinerlei Maßnahmen für eine kurz- oder langfristige Stabilisierung der GKV-Finanzen. Beiträge werden hochgeschraubt, Rücklagen eingezogen und Schulden gemacht“, betonte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands, Jens Martin Hoyer. Auch marginale Änderungen im Vergleich zum Referentenentwurf, wie etwa die einmalige Erhöhung des Herstellerabschlags im Arzneimittelbereich oder die Aussetzung der verschärften Regelungen zur Anhebung des Zusatzbeitrags für ein Jahr würden am grundsätzlichen Befund nichts ändern, erklärte er. Es handele sich um ein kurzatmiges Ein-Jahres-Gesetz. Kein einziges strukturelles Problem werde damit gelöst, so seine Einschätzung.

Denselben Vorwurf formulierte Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands. Darunter würden vor allem die Beitragszahlenden leiden, die die Hauptlast der erforderlichen Mehreinnahmen aufbringen sollen. Neben dem Zugriff auf die angesparten Reserven von rund vier Milliarden Euro würden die Versicherten ab 2023 höhere Zusatzbeiträge zahlen müssen – gerade angesichts der hohen Inflationsrate und der zu erwartenden wirtschaftlichen Entwicklung sei das ein falsches Signal.

Das parlamentarische Verfahren zum Gesetzesentwurf wird nach der Sommerpause fortgeführt.

Zi-Auswertung zur Neupatienten-Regelung

Eine aktuelle Datenauswertung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) belegt die positiven Effekte der Neupatientenregelung auf die Versorgungsqualität seit der Einführung in 2019. Die Auswertung zeigt, dass im vierten Quartal 2021 mehr Neupatienten behandelt wurden als im vierten Quartal 2019, obwohl die ärztlichen Behandlungskapazitäten in diesen zwei Jahren eher weniger als mehr geworden sind. Außerdem erhielten Neupatienten gegenüber dem vierten Quartal 2019 mehr zusätzliche Leistungen als bereits bekannte Patienten. Genau diese Effekte seien beabsichtigt gewesen, als mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz TSVG im Jahr 2019 die allgemein geltenden Leistungsbegrenzungen für die ärztliche Behandlung von Neupatienten abgeschafft wurden, so das Zi.

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