Aus der Wissenschaft

Studie: Lokale Fluoridierung wirkt auch bei Erwachsenen

Elmar Hellwig
Karies gehört nach wie vor zu den 50 häufigsten Erkrankungen weltweit, insbesondere die Prävalenz bei älteren Menschen steigt erheblich. Letztlich lässt sich durch eine restaurative Therapie der kariöse Prozess nur begrenzt beeinflussen, weil weder die kariogenen Eigenschaften des oralen Biofilms noch die Ernährungsgewohnheiten verändert werden. So stellt sich die Frage, ob lokale Fluoridierungsmaßnahmen bei Erwachsenen mit hohem Kariesrisiko ähnliche präventive Erfolge zeigen wie bei Kindern und Jugendlichen.

Bis heute gibt es zu dieser Fragestellung nur wenige Studien, so dass die Empfehlungen zur Fluoridanwendung bei Erwachsenen hauptsächlich auf Expertenmeinungen basieren, die aus Untersuchungen bei Kindern und Jugendlichen extrapoliert werden. Die American Dental Association sah daher eine dringende Notwendigkeit, die Effektivität von Fluoridierungsmaßnahmen bei älteren Menschen mit sehr hohem Kariesrisiko zu untersuchen. Gleichzeitig sollten verschiedene Fluoridierungsstrategien verglichen werden.

Derartige Studien sind allerdings sehr kostenintensiv und müssen über eine lange Zeit durchgeführt werden. Zudem ist Karies ein multifaktorieller Prozess, so dass man auch mögliche Verzerrungen durch Allgemeinerkrankungen, den Gebrauch von Arzneimitteln und andere Faktoren mitberücksichtigen muss. Die vorliegende Studie hatte daher den großen Vorteil, dass sie auf weitreichende elektronische Aufzeichnungen von medizinischen und zahnmedizinischen Befunden aus dem Bereich des United States Departments of Veterans Affairs (VA) zurückgreifen konnte. Die Behörde bietet US-Kriegsveteranen unter anderem eine gesundheitliche Versorgung an. Vor diesem Hintergrund wurde eine retrospektive Analyse der Longitudinaldaten zu Art und Weise, Kombinationen und Intensität von lokalen Fluoridierungsmaßnahmen in Bezug auf die Prävention von kariesbedingen Restaurationen und Extraktionen bei Hochrisikopatienten durchgeführt.

Material und Methode

Die Studie bezog sich auf Daten vom 1.10.2008 bis zum 30.06.2018, die in der Datenbank der Behörde vorhanden waren. Der 1.10.2008 wurde als Startdatum gewählt, weil es zu diesem Zeitpunkt verpflichtend war, die ICD-9-/ICD-10-Diagnostik für den Bereich Zahnmedizin anzuwenden. Die genauen Datenerhebungssysteme lassen sich der Publikation im Detail entnehmen. Aus dieser Datenbank wurden die zahnmedizinischen Befunde von Patienten mit hohem Kariesrisiko (die Patienten hatten zwei oder mehr kariesbedingte Restaurationen in einem Zeitraum von 365 Tagen erhalten) berücksichtigt. Zudem durften die Patienten in dem Jahr vor dem Index-Jahr keine kariesbezogene zahnmedizinische Behandlung oder Fluoridintervention erhalten haben (wash-out-Periode).

Berücksichtigt wurden ausschließlich Veteranen, von denen Daten über mindestens drei aufeinanderfolgende Jahre vorlagen. Alle restaurativen Maßnahmen, die nicht aufgrund von Karies durchgeführt wurden, gingen nicht in die Datenanalyse ein. Als präventive Intervention während des Indexjahres wurden folgende Maßnahmen gewählt: 

  • Professionelle Fluoridapplikation in Form eines NaF-Lackes (22.600 ppm F): n = 17.030

  • Applikation einer 2-Prozent-Natriumfluoridlösung oder eines Natriumfluoridgels: n = 14.813

  • Verwendung einer 1,1-Prozent-Natriumfluoridpaste zu Hause: n = 6.328

  • Keine Fluoridierungsmaßnahmen: n = 14.346

  • Verwendung mehrerer Fluoridierungsmaßnahmen: n = 16.240

Als Kovariablen wurden Alter, Rasse (race), Geschlecht, Ethnie (ethnicity) berücksichtigt. Zusätzlich wurden Komorbiditäten und Medikationen miteinbezogen. Um auch eine mögliche Speicheldrüsenunterfunktion aufgrund der Medikation zu berücksichtigen, wurden alle Medikamente mit einer starken anticholinergischen Eigenschaft miteinbezogen. Weitere Kovariablen lassen sich der Publikation entnehmen.

AUS DER WISSENSCHAFT

In dieser Rubrik berichten die Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats der zm regelmäßig über interessante wissenschaftliche Studien und aktuelle Fragestellungen aus der nationalen und internationalen Forschung.

Die wissenschaftliche Beirat der zm besteht aus folgenden Mitgliedern:

Univ.-Prof. Dr. Elmar Hellwig, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Univ.-Prof. Dr. Dr. Søren Jepsen, Universität Bonn

Univ.-Prof. Dr. Florian Beuer, Charité – Universitätsmedizin Berlin

Univ.-Prof. Dr. Dr. Peer W. Kämmerer, Universitätsmedizin Mainz

Insgesamt gingen die Daten von 68.757 Veteranen in die Studie ein. Dabei ließen sich Personen mit beziehungsweise ohne Fluoridierungsmaßnahmen unterscheiden. Das mittlere Alter betrug 59 ± 13,5 Jahre. 91,5 Prozent der berücksichtigten Personen waren Männer, 71,6 Prozent waren als „weiß“ erfasst (race). Sie hatten im Durchschnitt 3,7 körperliche und 1,3 psychische Komorbiditäten und nahmen im Durchschnitt 10,8 Medikamente ein, wobei 0,6 Medikationen einen starken anticholinergischen Effekt hatten. Die Untersuchungsteilnehmer nahmen 2,2 Termine für eine zahnmedizinische Prophylaxe während des Indexjahres wahr.

Ergebnisse

Insgesamt mussten bei den teilnehmenden Veteranen aus der Fluoridgruppe 0,87 kariesbezogene Restaurationen beziehungsweise Extraktionen während des Outcome-Jahres durchgeführt werden. Bei zwei Dritteln musste keine kariesbezogene Behandlung durchgeführt werden, bei 14 Prozent wurde ein Zahn, bei 7,9 Prozent wurden zwei Zähne, bei 4,5 Prozent drei Zähne und bei 7,4 Prozent vier und mehr Zähne behandelt. Nach Anwendung entsprechender statistischer Verfahren (siehe Publikation) konnte festgestellt werden, dass Veteranen, die einen Fluoridlack, ein Fluoridgel beziehungsweise eine Spüllösung erhalten hatten, signifikant weniger kariesbedingte Behandlungen erfuhren als die Veteranen, die keine Fluoridierungsmaßnahmen in diesem Sinne erhielten (bis zu 29 Prozent). Die Verschreibung einer 1,1-Prozent-Natriumfluoridzahnpasta für die Selbstapplikation zeigte keine positive Wirkung bezüglich der kariesbezogenen Behandlungsmaßnahmen im darauffolgenden Jahr. Zudem war die zweimalige Anwendung eines Fluoridlacks beziehungsweise eines Gels effektiver als die einmalige Anwendung.

Diskussion

Die vorliegende Studie ist die erste, die die Effektivität unterschiedlicher In-office-Fluoridierungsmaßnahmen im Bereich der Kariesprävention von erwachsenen Hochrisikopatienten beleuchtet. Die Ergebnisse entsprechen denen der unterschiedlichen systematischen Cochrane-Reviews, die für permanente Zähne von Kindern und Heranwachsenden publiziert wurden. Gleichzeitig lässt die vorliegende Studie den Schluss zu, dass eine mehrmalige Applikation von Fluoridlacken oder Gelen und Spüllösungen in der zahnärztlichen Praxis zu einer verbesserten Kariesprävention führt als die einmalige Applikation.


Die Studie zeigt zudem, dass der Besuch einer Zahnarztpraxis mit dem Ziel der Kariesprävention ein wichtiger Einflussfaktor ist. Die Autoren der Untersuchung geben allerdings bezüglich der Qualität ihrer Aussagen zu bedenken, dass die Gesamtzahl der Zähne der Datenbasis nicht entnommen werden konnte. Zudem ließ sich nicht eruieren, ob auch andere Fluoridierungsmaßnahmen, wie zum Beispiel über das Trinkwasser oder die Zahnpasta einen Einfluss hatten. Der Mundhygienestatus und Angaben zum Zuckerkonsum wurden ebenfalls nicht berücksichtigt. Initiale Kariesläsionen ließen sich der Datenbasis nicht entnehmen. Ein weiterer verzerrender Faktor ist sicherlich die weitgehend homogene Studienpopulation aus über 90 Prozent Männern.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass bei Patienten mit einem hohen Kariesrisiko professionell applizierte Fluoride (Lacke, Gele) signifikant mit einem verringerten kariesbezogenen Behandlungsbedarf im Hinblick auf Restaurationen und Extraktionen korrelieren. Zudem scheinen häufigere lokale Fluoridapplikationen zu einer verbesserten kariespräventiven Wirkung beizutragen. Die Studie kann damit als Basis für die Empfehlung lokaler Fluoridierungsmaßnahmen in der Praxis auch bei älteren Erwachsenen mit erhöhtem Kariesrisiko dienen. 

Originalpublikation: Jurasic et al.: Topical Fluoride Effectiveness in High Caries Risk Adults, J Dent Res 10: 898–904 (2022), doi.org/10.1177/00220345221081524

Prof. Dr. Elmar Hellwig

Universitätsklinikum Freiburg, Department für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie
Hugstetter Str. 55, 79106 Freiburg

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