Public Health

Der Blick aufs Ganze

Public Health ist ein Bereich, der zunehmend in Wissenschaft und Gesundheitspolitik an Bedeutung gewinnt. Geschärft wird die Betrachtung multikausaler Zusammenhänge und der Blick aufs Ganze. Deutschland galt hier jahrelang als Nachzügler, hat aber jetzt erfolgreich an die internationale Entwicklung angedockt. Public Health löst Herausforderungen, die mit vielen offenen Fragen, aber auch mit neuen Lösungsansätzen gespickt sind. Wichtig ist es der Zahnärzteschaft, sich im Sinne des Berufsstandes einzubringen und die Entwicklungen aktiv mitzugestalten.

Man weiß besser, in welchem System man sich bewegt“, lautet das Fazit von Dr. Kira Ohlbrecht nach ihrem Public-Health-Studium in Düsseldorf. Die niedergelassene Zahnärztin in Ratingen ist über ihre Zusatzqualifikation glücklich und hebt hervor, dass die Inhalte ihres Studiums besonders bei der Praxisführung das Leben erleichtern. Genauso wichtig ist ihr, dass ihre Wahrnehmung von multikausalen Zusammenhängen geschärft wurde. Als Zahnärztin tendiere man dazu, den Fokus lediglich auf Krankheiten zu legen und allzu leicht den Blick auf das Umfeld des Patienten zu vergessen, sagt sie. „Public Health hat mir geholfen, meinen Beruf etwas relativer zu sehen.“

Public Health ist in aller Munde. Die medizinische und zahnmedizinische Wissenschaft spricht davon, die Gesundheitspolitik argumentiert darüber, doch Verwirrung gibt es immer wieder darum, was Public Health eigentlich ist. Der Begriff ist sperrig und wird deshalb vom Laien vielfach missverstanden.Laut WHO ist Public Health „die Wissenschaft und Praxis der Krankheitsverhütung, Lebensverlängerung und der Förderung psychischen und physischen Wohlbefindens durch gemeinbezogene Maßnahmen“. Der englische Begriff ist wortgetreu nicht ins Deutsche zu übertragen. Ihn lapidar mit „öffentliche Gesundheit“ zu übersetzen, würde der Sache nicht gerecht werden. Es fehlt dabei der Aspekt der Wissenschaft. Deswegen hat es sich mittlerweile eingebürgert, die Kombination „Gesundheitswissenschaften/Public Health“ zu verwenden, um sowohl die Wissenschaftlichkeit als auch die Bevölkerungsbezogenheit zu verdeutlichen. Public Health beschäftigt sich, vereinfacht gesprochen, mit Umwelt, Lebensweisen, Biologie und Medizin sowie der Systematik der Gesundheitsversorgung. Public Health steht nicht im Konflikt mit individueller Gesundheit, sondern integriert diese in eine größere, zusammenhängendere Fragestellung. Die Public-Health-Forschung ist deshalb nicht rein medizinbezogen, sondern integriert eine Vielzahl wissenschaftlicher Disziplinen. Dazu gehören Anteile aus Epidemiologie, Medizin, Soziologie, Psychologie, Politologie, Volks- und Betriebswirtschaft, Pädagogik, Arbeits-, Ernährungs- und Sportwissenschaft. Als zentrales Forschungs- und Praxisfeld von Public Health gilt die Prävention.

Wurzeln für Public Health bestehen auch in Deutschland. Mit Namen wie Rudolf Virchow oder Robert Koch finden sich vergleichbare Ansätze einer öffentlichen Gesundheitspflege unter der Bezeichnung „Sozialhygiene“ um die Wende zum 20. Jahrhundert. Während der Nazizeit wurden die Ansätze missbraucht (Stichwort: Ausbau des öffentlichen Gesundheitsdienstes, Rassenhygiene) und waren danach erst einmal politisch tot. Im Ausland hingegen, vor allem in Ländern wie den USA, Großbritannien, Skandinavien oder den Niederlanden, vollzog sich seit den 30er Jahren eine stetige Weiterentwicklung der Public-Health-Forschung. Seit den 90er Jahren erfolgt auch in Deutschland – neben anderen europäischen Ländern – ein Aufschwung.

Viele offene Fragen

Einige Fragen springen dem zahnärztlichen Betrachter sofort ins Auge und scheinen erst einmal ungeklärt: Was bringt das alles konkret dem einzelnen Arzt und dem einzelnen Zahnarzt in der Praxis, und was bringt es seinen Patienten? Und klingt das nicht alles nach noch mehr Staat, noch mehr Standards und noch mehr Kontrolle im Gesundheitswesen?

Zum einen: Public Health ist vielschichtig und eine Frage des Blickwinkels. Sicherlich nicht von der Hand zu weisen ist, dass das Thema für den einzelnen Arzt und Zahnarzt in der täglichen Praxis unmittelbar zunächst wenig Berührungspunkte bietet. Oberflächlich betrachtet haben Public-Health-Aspekte eher Relevanz für Kollegen, die im Öffentlichen Gesundheitsdienst, im Medizinischen Dienst der Krankenkassen oder – um im zahnärztlichen Bereich zu bleiben – beispielsweise in der Gruppenprophylaxe bei den Landesarbeitsgemeinschaften für Jugendzahnpflege tätig sind. Kurzum also für diejenigen Kollegen, die qua Amt mit Bevölkerungs- und Versorgungsaspekten zu tun haben.

Aus einer übergreifenderen Warte aus betrachtet, betrifft Public Health aber die Gesamtheit der Ärzte- oder Zahnärzteschaft. Der Arzt und Zahnarzt steht in einem Spannungsfeld diverser medizinischer wie auch versorgungspolitischer Herausforderungen. Er ist umringt von Problemen im Gesundheitswesen, die durch eine rein kurativ und individuell ausgerichtete Medizin allein nicht mehr in den Griff zu bekommen sind. Dazu gehören Aspekte wie der demographische Wandel, der medizinische Fortschritt oder wachsender Kostendruck und Finanzierungsprobleme im Gesundheitswesen, um nur einige Bereiche anzureißen.

Die zweite Blickrichtung geht zum Gesundheitssystem. Hier stellt sich die Frage, inwieweit Public-Health Gefahren birgt, die einem Freien Beruf sowie dem intakten Arzt-Patienten-Verhältnis mit dem eigenverantwortlichen Patienten im Mittelpunkt diametral entgegenstehen. Zuviel Kontrollmechanismen, zuviel Staat und zu wenig Individuum sind vor allem aus zahnärztlicher Sicht heraus Aspekte, die mit einem liberalen Gesundheitswesen mit einem freien Wettbewerb unvereinbar sind. Notgedrungen führt das zu Spannungen. Hier gilt es, die Dinge beim Namen zu nennen und Konflikte offen und ehrlich auszutragen.

Wohlwollend, aber mit sehr wachsamem Blick auf die Gesamtentwicklungen betrachtet deswegen der zahnärztliche Berufsstand die Entwicklungen im Bereich Public Health. Der Präsident der Bundeszahnärztekammer, Dr. Dr. Jürgen Weitkamp, kommentiert dazu: „Es wäre zu wünschen, dass sich Public Health künftig stärker auch den konkreten Bedingungen widmet, unter denen Ärzte und Zahnärzte im Berufsalltag individuell ihre Arbeit verrichten müssen. Schließlich ist das entscheidende Bindeglied zwischen dem System als Ganzes und der praktischen Versorgung immer noch der Kollege oder die Kollegin in der freien Praxis im Umgang mit dem Individuum Patienten.“

Portion gesunder Skepsis

„Eine Portion gesunder Skepsis ist sicherlich angesagt“, meint der stellvertretende Vorsitzende der KZBV, Dr. Jürgen Fedderwitz. Es entstehe der Eindruck, dass durch Public Health bestimmte Fehlsteuerungen im Gesundheitswesen greifen könnten, die ideologisch einseitig seien, eine Überbürokratisierung begünstigten und eine Liberalisierung behinderten, warnt Fedderwitz. „Andererseits liefern Public-Health-Erkenntnisse zweifellos Einsichten, die bei der politischen Steuerung des Gesundheitswesens wichtig sind, gerade was beispielsweise Finanzierungsfragen oder grundlegende medizinische Orientierungsdaten betrifft“, erklärt er weiter.

Der Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer, Dr. Dietmar Oesterreich, betont den fächerübergreifenden Ansatz von Public Health. „Wichtig ist, was unter dem Strich zur Verbesserung der Mundgesundheit an Ergebnissen herauskommt.“ Das Ganze sei eine „interessante und auch gewollte Diskussion“. Es sei Aufgabe der Standespolitik, sich rechtzeitig auf allen Ebenen einzubringen und mit zu gestalten. Probleme im Berufsstand, wie die Risikogruppendiskussion, Altersprävention, interdisziplinäre Ansätze, der Paradigmenwechsel in der Zahnmedizin oder die zunehmende Bedeutung der Zahnmedizin als Teilbereich der Medizin, seien Faktoren, die den ganzheitlichen Blick erforderten. „Die verschiedenen Aspekte müssen zusammengeführt werden, damit Interaktion besser funktioniert. Die Bundeszahnärztekammer hat mit ihrer Leitfadenserie, zuletzt zur Alterszahnheilkunde, und verschiedenen Symposien bereits wesentliche Beiträge für diese Diskussion geliefert.“

Mit dem Public-Health-Ansatz hat sich die zahnärztliche Standespolitik schon seit Jahren auseinandergesetzt. So betreibt das von KZBV und BZÄK gemeinsam getragene Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ) im Grunde Public-Health-Forschung unter bevölkerungsmedizinischer Fragestellung. Der fächerübergreifende Blick, repräsentative epidemiologische Studien, Aspekte der Gesundheitsökonomie oder Kosten-Nutzen-Bewertungen gehören zum festen Bestandteil der standespolitischen Forschungsarbeit. An der Nahtstelle zwischen Forschung und Praxis engagiert sich die von BZÄK und KZBV gemeinsam getragene Zahnärztliche Zentralstelle Qualitätssicherung (zzq) im IDZ. Ein Schwerpunkt ist Evidence based Dentistry (EbD). Zum Verständnis: Ein wichtiger Aspekt von EbD ist die Entwicklung von Leitlinien als Handlungskorridore: Sie sollen für den Zahnarzt und für den Patienten Entscheidungshilfen sein und ihm mehr Sicherheit bei der Diagnose und Therapie geben. Hier schließt sich die Lücke zu Public Health, denn die Leitlinienentwicklung baut Brücken zwischen Wissenschaft und Praxis im Hinblick auf Versorgungsaspekte und Qualitätssicherung. Das Ganze folgt in Eigenregie aus dem Berufsstand für den Berufsstand heraus.

Die Entwicklung des Paradigmenwechsels in der Zahnmedizin von der Kuration zur Prävention wäre ohne den Public-Health-Blickwinkel nicht möglich. Das große, gemeinsam von BZÄK, KZBV und der Wissenschaft getragene Projekt der Neubeschreibung einer präventionsorientierten Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde arbeitet mit dem Fokus auf das Ganze. Das BZÄK-Konzept der „Prophylaxe ein Leben lang“ basiert auf interdisziplinären und gesamtgesellschaftlichen Fragestellungen. Der BZÄKWorkshop „Kostenexplosion durch Prävention? Orale Gesundheitsgewinne im Alter und versorgungspolitische Konsequenzen“ vom Oktober 2001 hat Maßstäbe und Denkanstöße für die weitere politische Diskussion gegeben. Nicht zuletzt hat die BZÄK in ihrer Verwaltung ein Zeichen in Richtung Public Health gesetzt und bearbeitet in ihrer Abteilung Prävention und Gesundheitsförderung Problemstellungen unter dem entsprechenden Blickwinkel.

Erfolgreiche Impulse

Ein Beispiel für eine erfolgreiche Impulsgebung durch zahnärztliche wissenschaftliche Politikberatung seitens des IDZ zeigt sich beim dritten Gutachten-Band des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, in dem es um Über-, Unter- und Fehlversorgung im Bereich Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde ging. Das im Frühjahr 2002 erschienene Gutachten fußt in seinem zahnmedizinischen Teil zu großen Strecken auf den Vorarbeiten von Prof. Dr. Hans Jörg Staehle, Universität Heidelberg. Basierend auf maßgeblichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen des IDZ kommt es zu dem Schluss, dass der zahnärztliche Versorgungsgrad in Deutschland sehr hoch sei und den Zahnärzten durch die Anstrengungen der letzten Jahre und Jahrzehnte eine Punktlandung geglückt sei. An vielen Stellen werden Quellen des IDZ zitiert. Das Gutachten kommt zu Schlussfolgerungen, die auch von der Zahnärzteschaft geteilt werden: dass vor allem Versorgungsdefizite in sozialen Brennpunkten sowie bei behinderten und pflegebedürftigen Menschen herrschen, dass im Bereich der Kieferorthopädie eine Überversorgung und im Bereich Parodontologie eine Unterversorgung existiert. Der Public-Health-Ansatz ist inzwischen in der neuen Approbationsordnung der Mediziner verankert. Auch die zahnmedizinische Ausbildung braucht neue Wege, betont die Bundeszahnärztekammer und fordert dringend die Novellierung der Approbationsordnung für Zahnmediziner ein. Notwendig sei, präventive, psychosoziale, sozioökonomische oder evidenzbasierte Aspekte zu integrieren. Derzeit erarbeitet ein Koordinierungsausschuss von BZÄK, DGZMK, der Hochschullehrer und dem Freien Verband Deutscher Zahnärzte einen eigenen Entwurf.

Fünf Forschungsverbünde

Aufbauend auf diversen Gutachten und Stellungnahmen richtete die Bundesregierung Ende der 80er Jahre unter Horst Seehofer ein Förderprogramm ein, um an deutschen Hochschulen neue und international konkurrenzfähige Strukturen zu Forschung und Lehre in den Gesundheitswissenschaften/Public Health aufzubauen. Durch das Programm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) entstanden fünf geförderte Forschungsverbünde mit einem Forschungsvolumen von insgesamt rund 50 Millionen Euro:

• Bayerischer Forschungs- und Aktionsverbund Public Health, München

• Berliner Zentrum Public Health, Berlin

• Norddeutscher Forschungsverbund Public Health, Hannover

• Nordwestdeutscher Forschungsverbund Public Health, Bielefeld/Düsseldorf

• Sächsischer Forschungsverbund Public Health, Dresden.

Es handelt sich um postgraduale universitäre Studiengänge überwiegend mit dem Abschluss Master/Magister Public Health (MPH). Studienorte sind in Berlin, Bielefeld, Bremen, Dresden, Düsseldorf, Hannover, Heidelberg, München und Ulm.

In Freiburg wurde die Deutsche Koordinierungsstelle für Gesundheitswissenschaften (DKGW) unter der Leitung von Prof. Dr. Jürgen von Troschke gegründet mit dem Ziel, den Prozess der Institutionalisierung begleitend zu unterstützen.

Prof. Dr. Johannes Siegrist, Universität Düsseldorf, zieht zum zehnjährigen Jubiläum der Forschungsverbünde ein positives Resümee. Das Ganze habe sich als erfolgreich erwiesen, schreibt er in der Jubiläumsausgabe der von den Forschungsverbünden herausgegebenen Zeitschrift Public Health Forum. Führende Public-Health-Wissenschaftler seien in maßgebliche gesundheitspolitische Beratungsgremien (zum Beispiel Sachverständigenrat) berufen worden, Forschungsergebnisse seien in die Praxis der Krankenversorgung, der Gesundheitsförderung und Gesundheitspolitik auf lokaler, regionaler, zum Teil sogar auf Landes- und Bundesebene eingeflossen.

Auch zahnmedizinische Inhalte spielen in den Studiengängen eine Rolle. In Dresden existiert seit 1995 im Rahmen des Forschungsverbundes Sachsen der Projektbereich Zahngesundheit/Dental Public Health mit zahlreichen Einzelprojekten. Auch in München und in Düsseldorf ist die Zahnmedizin mit einbezogen.

In der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde ist der Arbeitskreis „Epidemiologie und Public Health“ unter der Leitung von Prof. Dr. Ulrich Schiffner, Hamburg, und Dr. Annerose Borutta, Jena, eingerichtet worden, der Forschungsbedarf feststellt, Empfehlungen zu Studien herausgibt und regelmäßig einen Überblick über den Stand der Forschung erstellt.

Den internationalen Anschluss vollzogen

Für die Nachhaltigkeit der bisherigen Erfolge im Public-Health-Bereich engagiert sich die Deutsche Gesellschaft für Public Health (DGPH) mit ihrem Präsidenten Prof. Dr. Bernhard Badura, Bielefeld, an der Spitze. Durch ihre Kontakte ist es möglich geworden, dass der 10. Jahreskongress der European Public Health Association (EUPHA) vom 28. bis 30. November 2002 in Dresden stattfand. Organisator war der Arzt und Zahnarzt Prof. Dr. Dr. Wilhelm Kirch, Universität Dresden, Sprecher des Forschungsverbundes Public Health in Sachsen. Mit diesem Kongress wurde seitens der Fachwelt ein Zeichen gesetzt, dass Deutschland nunmehr im Public-Health-Bereich den Anschluss an die internationale Entwicklung vollzogen hat. Bei dem EUPHA-Jubiläums-Fachkongress mit rund 700 internationalen Teilnehmern ging es vor allem um die Verbindung von Wissenschaft und Politik, wie das Motto „Bridging the Gap between Research and Policy in Public Health“ deutlich machte. Hinzu komme, dass das Thema auch in Bezug auf die Entwicklung in Europa immer mehr an Bedeutung gewinne, betonte Dr. Hans Stein vom Bundesgesundheitsministerium auf der Tagung in Dresden. Er wies darauf hin, dass die EU-Kommission in 2003 ein Public-Health-Aktionsprogramm starten wird.

Prof. Dr. Friedrich Wilhelm Schwartz, Medizinische Hochschule Hannover, der gleichzeitig Mitglied im Sachverständigenrat der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen ist, wies auf das Problem von Über-, Unterund Fehlversorgung in Deutschland hin. Es fehlten dazu strukturierte nationale Lösungsstrategien. Schwartz hob jedoch den Bereich Mundgesundheit in Deutschland als einen „der wenigen präventiven Erfolgsgeschichten“ hervor, die Mundgesundheit der Deutschen gehöre heute zu den besten in Europa.

Mit EbD eine Brücke gebaut

Der EUPHA-Kongress wartete mit einem breit gefächerten Spektrum von Themen auf. Auch der zahnmedizinische Bereich spielte eine Rolle. Die Zahnärztliche Zentralstelle Qualitätssicherung (zzq) organisierte einen Workshop über „Evidence based Dentistry (EbD)“. Hier ging es darum, an ein interdisziplinäres Symposium von 1999 zum gleichen Thema anzuknüpfen, das das IDZ zusammen mit der Akademie für Zahnärztliche Fortbildung Karlsruhe durchgeführt hatte. Damals wurden erstmals die Problemstellungen und die Umsetzbarkeit einer evidenzbasierten Medizin auf dem Gebiet der Zahnheilkunde diskutiert. In Dresden erfolgte nun eine Fortschreibung. Mit diesem Workshop dokumentierte die zzq, dass die zahnärztliche Standespolitik sich in diesem Bereich auch international positioniert und ihre fachlichen wie politischen Netzwerke pflegt.

Prof. Dr. Asbjorn Jokstad, Oslo, zeigte anhand internationaler Trends auf, dass Evidence based Dentistry vor allem in den USA, Skandinavien, aber auch in Indien, China und Südamerika eine wachsende Bedeutung erfahre. EbD sei für den Zahnarzt, der oft von der Informationsflut schier überrollt wird, eine echte Hilfestellung. Es empfehle sich, diese Trends in die deutschen Diskussionen mit einzubeziehen. Jokstad verwies auf die Arbeit der Weltzahnärzteorganisation FDI, das britische National Health Services Centre for Reviews and Dissemination oder die Cochrane Collaboration, die sich um die weitere Implementierung von EbD bemühen.

Auf die ganz konkrete Umsetzung von EbD in der Zahnarztpraxis kam PD Dr. Jens Türp, Universität Freiburg, zu sprechen. Er machte am Beispiel temporomandibulärer Dysfunktionen deutlich, dass ein evidenzbasierter Therapieansatz gegenüber herkömmlichen Behandlungskonzepten Vorteile hat. Gerade in diesem Bereich, so Türp, existiere eine große Anzahl von Über-, Unter- und Fehlversorgung, die Möglichkeit von unnötigen Risiken oder Kosten sei groß. Abhilfe schaffe es deshalb, wenn ein behandelnder Zahnarzt über entsprechendes evidenzbasiertes Wissen verfüge.

Um die evidenzbasierte Leitlinienentwicklung in Deutschland ging es in dem Beitrag von Prof. Dr. Dr. Wilfried Wagner, Universität Mainz. Anhand der Therapie retinierter Weisheitszähne skizzierte er, mit welchen Problemen bei der Entwicklung und beim Einsatz von Leitlinien in der Zahnheilkunde zu rechnen ist. Hier zeige sich die Schnittstellenproblematik zwischen Forschung und Versorgung. In Deutschland sei die Leitlinienentwicklung noch ein Pilotprojekt.

Im Mai 2002 fand – ebenfalls in Dresden – ein viel beachteter Workshop zum Thema „Evidenzbasierte Zahnheilkunde – Public Health und Zahngesundheit“ statt. Im Rahmen eines weiteren Workshops innerhalb des EUPHA-Kongresses zum Thema „Dental Public Health“ demonstrierte ein Wissenschaftlerteam um Prof. Dr. Michael Walter, Dresden, neueste Erkenntnisse aus dem Bereich der Prothetik. Bei der Beurteilung des prothetischen Behandlungsbedarfs, so die Wissenschaftler, würden psychosoziale Faktoren und der gesundheitliche Nutzen zunehmend beachtet. Die Therapievielfalt und eine Diskrepanz zwischen professionell festgelegtem und vom Patienten empfundenem Bedarf berge jedoch die Gefahr von Fehl- oder Überversorgung. Valide Instrumente zur Bedarfsermittlung und Therapiebewertung seien jedoch weitgehend unbekannt. Deswegen sei man derzeit an der Universität Dresden dabei, einen entsprechenden Index zu entwickeln. Dieser enthalte die Komponenten Gesundheitsgewinn, mundgesundheitsbezogene Lebensqualität und den subjektiven Bedarf.

Fazit

Als Fazit bleibt festzuhalten: Public Health ist ein weites Feld, in dem Wissenschaft und das Gesundheitswesen stark ineinander greifen und das im medizinischen wie zahnmedizinischen Bereich immer mehr an Bedeutung gewinnt. Im Blickfeld steht dabei eine ganzheitliche und interdisziplinäre Betrachtungsweise.

Um den Blick aufs Ganze zu schärfen, hat die zahnärztliche Standespolitik in Eigenregie ein ihr ureigenes Instrumentarium geschaffen: Den Studiengang zum „Manager of Health Care Systems“, der an der Akademie für freiberufliche Selbstverwaltung und Praxismanagement (AS) erworben werden kann. Initiiert von der Kammer Westfalen-Lippe unter ihrem damaligen Präsidenten und jetzigen BZÄK-Präsidenten Dr. Dr. Weitkamp will die Ausbildung ein Pendant der zahnärztlichen Selbstverwaltung zu den Public-Health-Experten in Krankenkassen, Ministerien und Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes bieten. Getragen wird die AS von zahnärztlichen Körperschaften. Geschult wird der zahnärztliche berufspolitische Nachwuchs zur Professionalisierung in standespolitischen Funktionen und zur Stärkung der Freiberuflichkeit.

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