Ein Fallbericht

Kavernöses Hämangiom mit Phlebolithenbildung

217907-flexible-1900
Heftarchiv Zahnmedizin
Hämangiome sind benigne Gefäßveränderungen, die häufig im Kiefer- Gesichts-Bereich vorkommen. In der Regel befinden sich diese nahe der Haut- beziehungsweise Schleimhautoberfläche und zeigen dabei ein in Farbe und Oberflächenform vielgestaltiges klinisches Erscheinungsbild. Hier ein besonderer Patientenfall:

Weniger als ein Prozent aller Hämangiome des Körpers kommen in der Skelettmuskulatur vor. Bei einer intramuskulären Lage der Hämangiome ist im Kiefer-Gesichts-Bereich vor allem der Musculus masster betroffen – insgesamt finden sich in dieser Lokalisation fünf Prozent aller intramuskulär gelegenen Hämangiome [Okabe et al. 1991]. Die Diagnose der Hämangiome gestaltet sich bei einer oberflächlichen Lage der Gefäßanomalien relativ einfach: So lässt sich zum Beispiel die bläulich gefärbte, erhabene Vorwölbung mit einem Glasspatel wegdrücken [Schwenzer und Schmelzle 2000]. Bei tiefer gelegenen Läsionen ohne Nachbarschaft zur Haut oder Schleimhaut gestaltet sich die Diagnosefindung ungleich schwieriger, da es mitunter eine große Anzahl pathologischer Veränderungen differentialdiagnostisch auszuschließen gilt [Hessel et al. 1999].

Phlebolithen sind organisierte Thromben, die durch eine Verlangsamung des Blutstromes entstehen können, was sekundär zu einer Verkalkung und zum Wachstum der Läsionen führt [Hessel et al. 1999]. Die Entstehung und das Vorkommen von Phlebolithen wird in der Literatur im Zusammenhang mit kavernösen Hämangiomen beschrieben [O`Riordan 1974]. Im folgenden Fallbericht werden die klinischen, radiologischen und histopathologischen Befunde und die Therapie eines kavernösen Hämangiomes im Musculus masseter mit multipler Phlebolithenbildung beschrieben und diskutiert.

Fallbericht

Der Patient, ein 44-jähriger Mann, wurde der Klinik für Oralchirurgie und Stomatologie der Universität Bern durch den Privatzahnarzt mit der Bitte um Diagnosefindung und Übernahme der Therapie zugewiesen. Die Verdachtsdiagnose des Zahnarztes war eine chronisch fokalsklerosierende Ostitis. Der Patient berichtete über eine 15-jährige Krankengeschichte mit rezidivierenden Schmerzanfällen und Schwellungen in der Region des rechten Musculus masseter. Der Patient bestand auf einer histopathologisch gesicherten Diagnose und Therapie des Befundes.

Bei der extraoralen Befundaufnahme imponierte eine dezente Schwellung der rechten Wange im anterioren Anteil des Musculus masseter. Eine bidigitale Palpation ließ vestibulär des rechten unteren Weisheitszahnes beziehungsweise am Übergang des Corpus mandibulae in den Ramus mandibulae mehrere harte, rundliche Körper erkennen. Die rechten Unterkiefermolaren reagierten auf eine Sensibilitätstestung mit CO2-Schnee positiv, die vertikale und horizontale Perkussionsempfindlichkeit war unauffällig. Die Mundöffnung war nicht eingeschränkt, das heißt die Schneidekantendistanz war deutlich größer als 40 Millimeter und die Palpation der regionären Lymphknoten ergab keine Verhärtungen oder Volumenzunahmen.

Auf die extra- und intraorale Befundaufnahme folgte die radiologische Untersuchung. Die Panoramaschichtaufnahme (PSA) zeigte mehrere zirkuläre, röntgendichte Strukturen in der apikalen Region des Weisheitszahnes 48 (Abb. 1). Um weitere Informationen betreffend der Lokalisation der Läsion zu erhalten, wurde eine Unterkieferübersichtsaufnahme nach Clementschitsch angefertigt. Deutlich lässt sich darauf die bukkale Lage der Veränderungen erkennen (Abb. 2). Abschließend erfolgte eine Röntgenaufnahme der bukkalen Weichteile, die verdeutlichte, dass die Läsionen in der rechten Wange beziehungsweise der rechten Masseterregion lagen (Abb. 3).

Aufgrund der klinischen und radiologischen Befunde wurde die Verdachtsdiagnose Hämangiom mit multipler Phlebolithenbildung gestellt. Nach eingehender Besprechung mit dem Patienten über die Therapiemöglichkeiten, bestand er auf einer chirurgischen Entfernung der Läsion. Die Operation wurde in Lokalanästhesie durchgeführt. In der bukkalen Mukosa erfolgte eine etwa fünf Zentimeter lange Inzision entlang des Unterkieferrandes am Ubergang des Corpus mandibulae in den Ramus mandibulae. Nach stumpfer Präparation und Darstellung des Musculus masseter konnten aus dem oberflächlichen und vorderen Muskelanteil insgesamt acht, in Form und Größe deutlich variierende Phlebolithen (Abb. 4) zusammen mit einem involutierten und bindegewebig durchsetzten Hämangiom entfernt werden. Die intraoperative Blutung war gering und konnte mit Elektrokoagulation durch einen bipolaren Diathermiestrom gut kontrolliert werden. Die Wunde wurde schichtweise mit resorbierbarem beziehungsweise nicht-resorbierbarem Nahtmaterial primär verschlossen. Die pathohistologische Untersuchung ergab ein sklerosiertes und teilweise thrombotisches kavernöses Hämangiom mit anhaftenden Bündeln aus Skelettmuskulatur (Abb. 5). Die Phlebolithen wiesen im Schnittbild eine lamelläre Struktur mit linearen und fokalen Kalzifikationen auf (Abb. 6).

Während des postoperativen Heilungsprozesses kam es zu keinen Komplikationen und die Nahtentfernung konnte nach einer Woche durchgeführt werden. Ein Kontrolltermin drei Jahre nach dem chirurgischen Eingriff zeigte eine klinisch reizlose Situation. Der Patient war schmerzfrei, im rechten Unterkiefer war keine Schwellung vorhanden und die PSA ließ keine pathologischen Prozesse erkennen (Abb. 7).

Diskussion

Hämangiome werden im Kiefer-Gesichts- Bereich oft diagnostiziert und im Allgemeinen als Hamartome angesehen, das heißt als während der Embryonalentwicklung entstehende tumorartige Fehlbildungen – die neoplastische Komponente wird also in Frage gestellt [Reichart und Philipsen 1999]. Sie können bei der Geburt schon vorhanden sein oder in der frühen Kindheit entstehen. Hämangiome durchlaufen in der Regel eine proliferative Phase, die sich durch ein schnelles Wachstum während der neonatalen Zeit auszeichnet; darauf folgt oft eine lange Periode der Involution. Histologisch lassen sich je nach Größe der vaskulären Räume zwei Typen unterscheiden: Kavernöses und kapilläres Hämangiom [Sapp et al. 1997]. Hämangiome finden sich intraoral häufig an Zunge, Gaumen, Wange und Gingiva, selten wird dabei die Skelettmuskulatur mit einbezogen. In der Literatur wird die Inzidenz der Hämangiome in den Muskeln des Kiefer-Gesicht- Bereiches bei Kindern und Erwachsenen mit etwa einem Prozent angegeben [Morris und Adams 1995].

Die Entstehung von Phlebolithen kann bei Hämangiomen häufig beobachtet werden [O`Riordan 1974]. Zu deren Darstellung und zur Sicherung einer klinischen Verdachtsdiagnose eignet sich daher eine weiterführende radiologische Befundaufnahme in einer oder mehreren Ebenen. Phlebolithen imponieren radiologisch in der Regel als zirkuläre, röntgendichte Körper mit einer lamellären Struktur, deren Zentrum sowohl radioopak als auch radio- luzent sein kann. Differentialdiagnostisch sollten sie von Sialolithen abgegrenzt werden, die normalerweise gleichmäßig radioopak erscheinen und in einer Sialographie im Gangsystem der betroffenen Speicheldrüse erkannt werden können [Zachariades et al. 1991]. Bei der Diagnostik sollten zudem Verkalkungen in den Lymphknoten – die wahrscheinlich häufigste Kalzifikation in den Weichgeweben des Kiefer-Gesichts-Bereiches, zum Beispiel bei Tuberkulose – von den Phlebolithen unterschieden werden. Differentialdiagnostisch kommen weiterhin in Betracht: Kalkeinlagerungen in Tonsillen, Blutgefäßen sowie in zystischen Läsionen, verkalkende Akneläsionen, ektopische Zahnanlagen und die Myositis ossificans [O`Riordan 1974, Anneroth et al. 1978]. Obwohl eine eingehende klinische Untersuchung und konventionelle radiologische Befunderhebung zur Diagnosesicherung meist ausreichen, müssen mitunter weiterführende bildgebende Verfahren, wie die Computertomographie (CT), die Magnetresonanztomogaphie (MRT) oder die Angiographie, durchgeführt werden. Im vorliegenden Fall konnte auf diese speziellen Röntgenverfahren durch eine genaue Lokalisierung der Veränderungen mit einer Unterkieferübersichtsaufnahme nach Clementschitsch sowie einer Röntgenaufnahme der bukkalen Weichteile verzichtet werden.

Phlebolithen gelten histopathologisch als organisierte Thromben, die durch eine Verlangsamung beziehungsweise Stase des peripheren Blutflusses und daraus resultierender Blutgerinnung innerhalb des Gefäßes entstehen und sekundär mineralisiert sowie vergrößert werden. Der verkalkte Thrombus ist somit das Kernstück des zukünftigen Phlebolithen [Sano et al. 1988].

Die Phlebolithenbildung gilt in der Literatur als pathognomonisch für gutartige vaskuläre Läsionen und wird oft im Zusammenhang mit kavernösen Hämangiomen vorgefunden, in denen sie sowohl einzeln als auch multipel vorkommen können [O’Riordan 1974, Aneroth et al. 1978, Zachariades et al. 1991]. Hämangiome haben nach einer intensiveren Wachstumsphase während der ersten Lebensjahre eine Tendenz zur Involution und zeigen des öfteren ohne Therapie bis zum Ende der Kindheit eine vollständige Remission.

Phlebolithen können daher bei Erwachsenen das einzige Anzeichen eines Hämangiomes der Kindheit sein [Zachariades et al. 1991]. Diese pathogenetischen Mechanismen machen die vergleichsweise geringe Blutungstendenz während der Operation und die Befunde des Pathologen im oben beschriebenen Fall verständlich.

Zusammenfassung

Hämangiome kommen im Kiefer-Gesichts- Bereich relativ häufig vor, wobei intramuskuläre Hämangiome in dieser Region eine Seltenheit darstellen. Phlebolithen sind in der Literatur häufig beschriebene Läsionen, die in der Regel mit vaskulären Veränderungen assoziiert sind. Im vorliegenden Fallbericht wird über ein kavernöses Hämangiom im rechten Musculus masseter mit multipler Phlebolithenbildung berichtet. Die klinischen, radiologischen und histopathologischen Befunde sowie das chirurgische Vorgehen werden beschrieben und diskutiert.

DanksagungWir danken Herrn Prof. Dr. Dr. HermannBerthold für seine fachkundigen Ratschlägeund hilfreiche Unterstützung bei der Therapiedes Patienten.

Korrespondenzadresse:Dr. med. dent. Michael BornsteinKlinik für Oralchirurgie und StomatologieZahnmedizinische Kliniken der Universität BernFreiburgstraße 7, CH-3010 BernE-Mail:michael.bornstein@zmk.unibe.ch

Dr. med. dent. Roberto Sleiter,Prof. Dr. med. dent. Daniel Buser,Dr. med. dent. Michael BornsteinKlinik für Oralchirurgie und StomatologieZahnmedizinische Kliniken der Universität Bern

Prof. Dr. med. Hans Jörg AltermattInstitut für medizinische PathologieLänggasse, CH-3010 Bern

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