Editorial

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Liebe Leserinnen und Leser,

als im April 1951 die Pariser Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) unterzeichnet wurden, dachte wohl keiner an eine Union, wie wir sie heute erleben: Ein Europa ohne Schlagbäume, das den ehemals üblichen „kleinen Grenzverkehr“ längst durch wie selbstverständlich durchlässige „grüne Grenzen“ ersetzt hat. Gut – zumindest für den Reisenden, der heute fast ungehindert bis nach Sparta kommt.  

Aus Blickrichtung der einzelnen Mitgliedsstaaten ist es aber immer noch ein Europa der Nationen – mit allen Widersprüchen, die diese Divergenz mit sich bringt. Die nationalen Systeme führen ein eher selten vom europäischen Gedanken geprägtes Eigenleben. Nationalstaatliche Barrieren gegen Freizügigkeit und Bürgerfreundlichkeit bleiben als Grenzen innerhalb eines freien Europas. Ihre Schlagbäume stecken fest in den Köpfen vieler auf Bewahrung ausgelegter Nationalpolitiker.

49 Jahre, nachdem der Europäische Gerichtshof sein erstes Urteil verkündet hat, bleibt für die Richter in Luxemburg nach wie vor alle Hände voll zu tun. Jüngstes, für das deutsche Gesundheitswesen relevantes Beispiel ist das am 13. Mai verkündete Urteil zur Dienstleistungsfreiheit bei ambulanter Behandlung im EU-Ausland. Ein weiterer Einschnitt, der zeigt, dass ein Insel-Dasein in einem vereinten Europa nicht mehr funktioniert. „Das deutsche Gesundheitswesen muss sich vom Sachleistungsprinzip lösen und für die Kostenerstattung öffnen, will es in dem auf europäischer Ebene weiter zunehmenden Wettbewerb nicht seine Chancen verspielen und nicht zugleich die deutschen Patienten massiv gegenüber den Patienten aus den anderen Mitgliedsstaaten diskriminieren“, forderte die Bundeszahnärztekammer folgerichtig in einer anlässlich ihres zweiten Europatages in Berlin verabschiedeten Resolution. Die Reaktion der Systembewahrer auf das Urteil ist die gewohnte: GKVen und Gesundheitspolitiker versuchen zu verharmlosen. Diese Scheuklappen-Taktik wird aber nicht weiter helfen, schon gar nicht dann, wenn Deutschland im kommenden Jahr mit der Erweiterung der EU zum zentralen Anrainerstaat innerhalb der Union wird. Europas Uhren gehen schneller als die Deutschlands. Hier muss dringend nachgestellt werden.  

Dass es möglich ist, europäisch zu agieren, zeigt die Zahnärzteschaft in den Grenzgebieten zwischen Belgien, den Niederlanden und Deutschland. „euregiodent“, eine Initiative der Zahnärztekammern Nordrhein, Westfalen-Lippe und den zahnärztlichen Vereinigungen in Belgien und den Niederlanden, baut Brücken zu einem die nationalen Grenzen überschreitenden, freien Europa. Ein Beispiel, das in einem künftig noch erweiterten Europa nicht ohne Bedeutung bleiben wird.

Letztlich zeigt das erstarkende Europa, dass seinen Bürgern nicht damit gedient ist, wenn sie auf nationaler Ebene quasi dazu angehalten werden, das überregulierte Sozialsystem auszunutzen oder zu unterlaufen. Hier muss Sorge getragen werden, dass der Kantsche Ausspruch „Sozialstaatliche Fürsorge erscheint als Austeilung eines Raubes, den man anderen entwendet hat,” sich nicht weiter etabliert. 

Mit freundlichem Gruß

Egbert Maibach-Nagelzm-Chefredakteur

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