Gastkommentar

Parteipolitik im Vordergrund

Die Gesundheitsreform im Parteienkompromiss ist wahrscheinlicher geworden. Sie besteht aber noch vorwiegend aus Absichtserklärungen und ist weit von eindeutigen Konturen entfernt. Unter dem Druck der Zeit verkürzen sich indessen nochmals die Halbwertszeiten für den Verfall von Sachaussagen, vor die sich Machtfragen schieben. Der Parteienkonsens droht, zu kurzatmig auszufallen.

Dr. Rudi Mews,
Freier Korrespondent in Berlin

Der Parteienstreit um die Gesundheitsreform wird mindestens bis zur bayerischen Landtagswahl am 21. September alle interessierten Zeitgenossen in Atem halten. Noch sind nicht einmal Umrisse eines Gesetzes zu erkennen, das die Unterschriften der großen Volksparteien voraussetzt, wenn es in Bundestag und Bundesrat mehrheitsfähig werden soll. Das Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz (GMG), von der rot-grünen Koalition in den Bundestag eingebracht, hat jedoch die Entwicklung auf einen parteiübergreifenden Kompromiss beschleunigt. Dabei sprechen die beiden Volksparteien das entscheidende Wort. Einig sind sich die rot-grüne Koalition und die Union darin, die Krankenkassenbeiträge, also die Lohnnebenkosten zu senken. Woher das Geld dafür genommen werden soll, unterscheidet sie. Finanzierungsund Strukturprobleme gehen dabei in einander über. Die Union will den Zahnersatz privatisieren. Das wäre für die Zahnärzte ein halber Sieg. KZBV-Chef Dr. Jürgen Fedderwitz bezeichnet die Herausnahme von Zahnersatz als kalkulierbares Risiko. Die Zahnärzte erinnern sich aber auch an Aussagen Horst Seehofers, die eine Ausgliederung der gesamten Zahnbehandlung einräumten. Er hat sich davon inzwischen gelöst. Rot- Grün ist ebenfalls dagegen und will stattdessen die Arbeitgeber um das Krankengeld entlasten. Ist das Einfrieren des Arbeitgeberbeitrags ein möglicher Kompromiss? Er wäre jedenfalls mehr dem finanziellen, weniger dem strukturellen Reformbedarf geschuldet.  

Daran schließt sich die Frage an, wieweit es Parteipolitikern überhaupt um originäre gesundheitspolitische Lösungen geht. Schiebt sich nicht vielmehr ihr Wunsch nach Mehrheiten davor? Alle parteipolitischen Player, auch gesundheitspolitische Laien, haben Interessen in der Gesundheitsreform. Für Bundeskanzler Schröder ist das GMG das erste Gesetz zur Umsetzung seiner Agenda 2010. CSU-Chef Edmund Stoiber und die CDU-Vorsitzende Angela Merkel haben sich unter Zeitdruck auf ein gesundheitspolitisches Programm geeinigt, gegen Horst Seehofer (CSU), den Fachmann. Er hat den Schnellschuss seiner Oberen ungewohnt scharf als unseriös bezeichnet. Indessen ist die rot-grüne Koalition nicht sicher, ob sie überhaupt eine eigene Mehrheit für das Gesetz im Bundestag zustandebringt. Aus den Reihen der SPD drohen Stimmenthaltungen.  

Gesundheitspolitische Konzeptionen, seit Jahren von Fachleuten entwickelt, werden von Machtfragen überdeckt. Seehofer will eine Gesundheitsreform in der ersten Kammer des Parlaments im Konsens der großen Volksparteien zu Stande bringen und nicht der Endentscheidung des Bundesrates überlassen. Der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU), dem Ambitionen auf die nächste Kanzlerkandidatur für die Union nachgesagt werden, könnte – wenn die Einigung im Bundestag misslingt – als Konsensstifter im Bundesrat eine willkommene Profilierungschance wahrnehmen. Diese wiederum würde Angela Merkels Interessen berühren. CSU-Chef Edmund Stoiber möchte die Landtagswahl im Freistaat so überzeugend gewinnen, dass er sein Gewicht noch stärker in die bundespolitische Waagschale werfen kann. Dafür braucht er mindestens bis zum Wahlsonntag seinen populären Vize Horst Seehofer, der für die soziale, sozusagen systemerhaltende Komponente der Reform steht. Eine ähnliche Rolle hat Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) in ihrer Partei gespielt. Sie versprach, alle Vorschläge des Kanzleramts auf deren Sozialverträglichkeit zu prüfen. Die Gewerkschaften dankten es ihr.  

Gesundheitsreform und strukturelle Systemerhaltung sind aber eine Quadratur des Kreises. Langfristig ist eine vorwiegend auf Löhne bezogene Umlagefinanzierung der Gesundheitsversorgung gar nicht durchzuhalten. Die aktuelle, politische Reformdiskussion gibt darauf keine schlüssige Antwort.  

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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