Seltene Differentialdiagnose einer Schleimhautschwellung

Manifestation eines malignen B-Zell-Lymphoms als Infiltrat der lingualen Gingiva

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Kasuistik

Es handelte sich um eine 40-jährige Patientin, bei der nach primärer Vitalexstirpation und nachfolgender Wurzelspitzenresektion (Abb. 1 A und B) des Zahnes 42 alio loco über vier Wochen keine Schmerzfreiheit eingetreten war. Nach fünf Wochen war es zur Ausbildung eines lingualen Infiltrats gekommen, das klinisch als Spätinfektion imponierte. Nachdem sich hier auf Inzision kein Pus entleert hatte wurde die Patientin zur Weiterbehandlung des Infiltrates an unsere Klinik überwiesen.

Da die Abheilung des vestibulären Operationszuganges bis auf eine leichte Wundheilungsstörung regulär verlaufen war, ergaben sich erste Zweifel an der Verdachtsdiagnose einer Spätinfektion. Daher wurde im Rahmen der Nachinzision eine Biopsie aus dem Infiltrat gewonnen. Histologisch ergab sich hier der Befund einer floriden Entzündung. Nach der erweiterten Inzision waren Schmerzen und der Infiltratbefund dann zunächst rückläufig, nach drei Wochen trat aber erneut eine schmerzhafte Infiltration der lingualen Schleimhaut und des Mundbodens auf.

Unter dem Verdacht auf eine neoplastische Ursache des Infiltrates erfolgte daher eine erneute chirurgische Exploration (Abb. 2) mit einer weiteren Gewebeprobe (Abb. 3), die schließlich zur Bestätigung eines hochmalignen großzelligen B-Zell-Lymphoms führte. Nach eingehendem Staging wurden sechs Zyklen einer Polychemotherapie nach dem CHOP-Schema gegeben und klinisch eine komplette Remission erreicht.

Zusätzlich ergaben lokale Kontrollbiopsien keine Residuen des malignen Lymphoms. Die Patientin blieb bisher über zwei Jahre rezidivfrei.

Diskussion:

Extranodale maligne Non-Hodgkin Lymphome betreffen in der Kopf-Hals-Region vor allem die lymphatischen Gewebe des Waldeyer-Rachenrings, die Nasennebenhöhlen und die Kopfspeicheldrüsen [Nakamura et al. 2001; Jacobs und Hoppe 1985]. Die Mundhöhle selbst ist dagegen eher selten betroffen. Da zudem die Symptomatik dieser oralen Manifestationen recht unspezifisch ist und in der frühen Phase häufig lediglich ein umschriebenes Infiltrat als geringgradige Schwellung erkennbar wird, gestaltet sich die klinische Diagnosestellung meist schwierig. Die Initiale Verkennung als odontogene Infektion der Kieferhöhle [Gill et al. 2000], als entzündliche Schwellung bei apikaler Parodontitis [Bavitz et al. 1992] oder auch als lokalisierte Parodontitis marginalis profunda [Hokett et al. 2000] löst häufig zunächst zahnärztliche Behandlungsmaßnahmen aus. Letztendlich führt meist erst der ausbleibende Erfolg dieser Maßnahmen zur Verdachtsdiagnose eines neoplastischen Geschehens.

Der vorliegende Fall zeigt ebenfalls sehr deutlich, welche diagnostischen Schwierigkeiten durch die Überlagerung von entzündlichen und neoplastischen Veränderungen auftreten können. Nachdem eine adäquate Rückbildung des primär als entzündlich interpretierten Infiltrates durch die erste, umschriebene Inzision nicht erreicht worden war, hatte der zuweisende Kollege zu recht seine bisherige Verdachtsdiagnose hinterfragt und eine Überweisung zur weiteren Diagnostik veranlasst. Die vorübergehende, teilweise Rückbildung des Befundes nach einer zweiten, erweiterten Inzision entspricht letztlich dem Abklingen der entzündlichen Komponente der Läsion. Zusammen mit dem histopathologischen Befund einer unspezifischen Entzündung ergab sich danach ein vermeintlicher Ausschluss eines neoplastischen Geschehens. Wegen der erneuten klinischen Progredienz des Befundes war es dann aber erforderlich, diese histologische Absicherung erneut zu hinterfragen. Erst diese zweite Biopsie führte schließlich zur Erkennung des wirklichen Krankheitsgeschehens.

Für die zahnärztliche Praxis soll diese Falldarstellung erneut darauf hinweisen, dass auch histologisch scheinbar abgesicherte Diagnosen (eventuell sogar mehrfach) überprüft werden müssen, wenn der Krankheitsverlauf eine ungewöhnliche Wendung nimmt. Für die Verlaufskontrolle von Schleimhautveränderungen, bei denen entzündliche Ursachen angenommen werden, ergibt sich die Forderung, dass grundsätzlich die vollständige Rückbildung abgewartet werden muss.

PD Dr. Dr. Martin Kunkel

PD Dr. Dr. Torsten E. Reichert

Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie

Johannes-Gutenberg-Universität

Augustusplatz 2, 55131 Mainz 

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