Gastkommentar

Die Chance wurde vertan

Heftarchiv Meinung
Der Zahnersatz wird aus der gesetzlichen Krankenversicherung ausgegliedert. Doch statt die Chance für eine echte Privatisierung zu nutzen, einigten sich Union und Regierung auf einen faulen Kompromiss.

Dr. Dorothea Siems,
Wirtschaftskorrespondentin im Parlamentsbüro der Welt, Berlin

Mit großen Worten haben Regierung und Union den überparteilichen Konsens für die Gesundheitsreform gefeiert. Für den Verhandlungsführer der Opposition, Horst Seehofer, ist die Einigung nicht weniger als „die größte Sozialreform seit der Deutschen Einheit“. Die Zufriedenheit des CSU-Politikers ist verständlich, konnte er sich doch mit seinen Vorstellungen in der Konsensrunde weitgehend durchsetzen. Bei einem wesentlichen Verhandlungspunkt jedoch scheiterte die Union. Sie hatte die Privatisierung des Zahnersatzes zur Bedingung für die Zusammenarbeit mit der Koalition erklärt.

CDU-Chefin Angela Merkel wollte mit einer solchen Maßnahme nicht nur eine Senkung der Krankenkassenbeiträge erreichen. Es ging ihr vor allem darum, in einem abgrenzbaren Teilsektor die Vorund Nachteile einer privaten, marktwirtschaftlichen Absicherung gegenüber der gesetzlichen Versicherung zu testen. Das neue Instrument der Privatisierung sollte ausprobiert und als Modell für die Zukunft studiert werden. Der Zahnersatz eignete sich wegen der großen Möglichkeiten der Prävention sowie der eindeutigen Abgrenzbarkeit zu anderen Leistungsbereichen besonders gut dafür. In Anbetracht des Ausgabenvolumens der Kassen für Zahnersatz von 3,5 Milliarden Euro im Jahr wäre zudem das Risiko einer solchen Maßnahme gering. Der Haken an der Sache war allerdings, dass nicht nur SPD und Grüne strikt gegen eine Ausgliederung des Zahnersatz aus dem Leistungskatalog der Kassen waren, sondern auch Seehofer im Vorfeld der Verhandlungen die Unions-Linie als „Privatisierungsorgie“ verteufelt hatte. Am Ende kam es denn auch zu einem wenig überzeugenden Kompromiss: Die Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen sollen in Zukunft wählen können, ob sie den Zahnersatz weiter bei ihrer Kasse oder aber privat versichern wollen. In jedem Fall müssen sie die Beiträge alleine zahlen. Der Arbeitgeber soll entsprechend entlastet werden. Das für die Bundesregierung vordringliche Ziel, die beschäftigungsfeindlichen Lohnnebenkosten zu senken, wird auf diese Weise zwar erreicht. Doch ein zukunftsweisender Reformansatz ist dieses Konzept nicht. Denn spätestens bei der konkreten Ausgestaltung erwies sich, dass der vereinbarte „faire Wettbewerb“ zwischen privater und gesetzlicher Versicherung nicht möglich ist. AOK, Barmer & Co. gehen mit klaren Vorteilen ins Rennen. So werden die Versicherten grundsätzlich verpflichtet, für den Zahnersatz eine Extrapolice bei ihrer Krankenkasse abzuschließen. Im endgültigen Konsenspapier heißt es lediglich, dass Kassenmitglieder „aber auch bei einer Privaten Krankenversicherung“ diese Leistung versichern lassen können. Schon diese Formulierung macht deutlich, dass die Verhandlungspartner davon überzeugt sind, dass im Regelfall die gesetzlichen Anbieter zum Zuge kommen werden. Vertreter der AOK rechnen bereits vor, dass sie weitaus günstigere Prämien anbieten können, als die private Konkurrenz. Dies ist kein Wunder, da die Möglichkeit der Quersubventionierung Dumping-Angebote wahrscheinlich macht. Zudem haben die gesetzlichen Kassen andere Möglichkeiten der Vertragsgestaltung mit den Zahnärzten als die privaten Versicherungen.

Offensichtlich war es den jüngeren Vertretern aus der Union, die sich bei den Verhandlungen für die Privatisierung stark gemacht hatten, nicht gelungen, sich gegen Politikprofis wie Seehofer und Gesundheitsministerin Schmidt zu behaupten. Als Folge des faulen Kompromisses beim Zahnersatz droht nun das zukunftsweisende Instrument der Privatisierung ganzer Leistungsbereiche in Misskredit zu geraten. Regierung und Union haben die Chance, gemeinsam eine wegweisende Reform anzupacken, vertan.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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