Leitartikel

Ja, was denn nun?

Sehr geehrte Frau Kollegin,sehr geehrter Herr Kollege,

die CDU/CSU-Programmatik zur Gesundheitsreform wurde in der Fraktionsspitze ohne Gegenstimmen verabschiedet, zwei Tage vor Beginn der parlamentarischen Debatte um das rot-grüne Gesundheitsmodernisierungsgesetz. Ein Paradigmenwechsel, freute sich Fraktionschef Merz. „Eine Privatisierungsorgie“, schimpfte CSU-Sozialexperte und Gesundheitsminister a. D. Horst Seehofer – und blieb aus Protest den internen CDU/CSU-Beratungen fern. Ja was denn nun?

Seehofers Stein des Anstoßes war die Absicht der Fraktion, den Zahnersatz aus dem GKV-Leistungskatalog „auszugrenzen“. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass der stellvertretende CSU-Chef einer Prüfung, die gesamte zahnmedizinische Behandlung auszugrenzen, im Frühjahr noch zugestimmt hatte. Jetzt ist dem vom CDU-Wirtschaftsratsvorsitzenden Lauk als „Sozialagitator“ kritisierten Seehofer der zwischen den Schwesterparteien vereinbarte Kompromiss schon zu viel, nur den Zahnersatz herauszunehmen. Seehofer, so vertraute er dem Nachrichtenmagazin Spiegel an, „macht nicht mit“.

Nach den Vorstellungen der CDU/CSU soll Zahnersatz künftig durch eine private Pflichtversicherung – laut gesundheitspolitischer Fraktionssprecherin Annette Wiedmann-Mauz für einen monatlichen Beitrag von 7,50 Euro zu haben – assekuriert werden. Zusammen mit einem Selbstbehalt von zehn Prozent der jeweiligen GKV-Leistungen – er wird pro Arztbesuch, Medikament oder Krankenhausaufenthalt mindestens fünf Euro betragen, aber auf zwei Prozent des Jahresnettoeinkommens gedeckelt – hofft die CDU/CSU, die auch von Rot-Grün avisierte magische Grenze eines Beitrages von 13 Prozent ebenfalls zu erreichen.

Das ist also die Grundlage, mit der man in diesem Sommer die weitere Debatte um die Zukunft des deutschen Gesundheitswesens bestreiten will, das Gegengewicht zu den rot-grünen Vorschlägen für ein Gesundheitsmodernisierungsgesetz, das Rückschritt statt Fortschritt verheißt.

Für die zahnmedizinische Versorgung der Bevölkerung ist diese auf den ersten Blick in die Richtung der zahnärztlichen Konzepte gehende Lösung der CDU/CSU zwar ein begrüßenswerter Schritt, allerdings wieder nur ein kleiner: 7,50 Euro pro Versichertem als Maßgabe – klingt das schon wieder nach Deckelung? Beitragsfreie Mitversicherung der Kinder bis zum 18. Lebensjahr – wie bleiben die Prämien risikoäquivalent? Oder soll es Strukturausgleich, Pool oder Ähnliches geben? Gar zu viele offene Fragen, die vor allem an die Privaten Versicherer zu stellen sind. Wir müssen sehr aufpassen, uns keine Bematisierung in den Privatbereich implantieren zu lassen.

Eine wirkliche Reform muss den nötigen Freiraum für Zahnarzt und Patienten schaffen. Wünschenswert ist die Pflicht zur Versicherung, nicht die private Pflichtversicherung. Und: Mit diesem Lösungsvorschlag ist die Forderung nach befundorientierten – nicht wie Rot-Grün meint: therapiebezogenen – Festzuschüssen keineswegs obsolet, im Gegenteil.

Wer die strukturell bedingten Schwierigkeiten des Sachleistungssystems angesichts der noch auf uns zukommenden Probleme wirklich nachhaltig angehen will, wer den Paradigmenwechsel befürwortet, der braucht mehr Mut zur Veränderung – oder einen langen Atem für weitere Reformschritte, die mehr Entscheidungsfreiheiten, aber auch mehr Eigenverantwortung beinhalten.

Was vom Kompromiss zwischen CDU und CSU letztlich in die Gesetzesreform einfließen kann, wird sich in diesem Sommer zeigen. Den entscheidenden Politikern sei nicht ins Parteibuch, sondern ins Stammbuch geschrieben: Wir haben nicht mehr die Zeit für weitere, das Ergebnis erneut verwässernde Kompromisse. Gebraucht wird der Mut zu einem echtem Paradigmenwechsel – für unsere Patienten und unsere Gesellschaft.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Dr. Jürgen WeitkampPräsident der Bundeszahnärztekammer

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