Fazit der Hochwasserkatastrophe 2002

Auferstanden aus den Fluten

Fünf Monate sind vergangen, seit die Fluten der Elbe und ihrer Nebenflüsse vor allem in Sachsen schwere Schäden angerichtet haben. Nach den großen Beweisen der Solidarität – sei es durch persönliche Hilfe bei den betroffenen Zahnärzten vor Ort, durch Sachspenden oder durch finanzielle Unterstützung – ist es Zeit für ein Fazit. Hier eine Übersicht über das, was mit den Spendenmitteln erreicht wurde, gekoppelt mit einem Blick auf einige Einzelschicksale, die stellvertretend für weitere stehen.

142 Zahnarztpraxen waren in Sachsen direkt von Flutschäden betroffen. Die meisten von ihnen konnten glücklicherweise aus eigener Kraft beziehungsweise mit Hilfe vor Ort ihre Praxistätigkeit schon nach kurzer Zeit wieder aufnehmen. 37 Praxen allerdings nahmen so schweren Schaden, dass deren Inhaber auf umfangreichere äußere Hilfe angewiesen waren. Zum Zeitpunkt Dezember 2002 ist festzustellen, dass bis auf zwei Praxen alle ihre Tätigkeit wieder aufgenommen haben. Anfang Dezember machten sich die Mitglieder des Sächsischen Hochwasserbeirates auf den Weg, um vor Ort an einzelnen Beispielen zu sehen, wie weit die Spenden geholfen haben.

Ein Besuch galt Dr. Ingrid Hentschel in Königstein. Sie hatte ihre 140 Quadratmeter große Praxis im Erdgeschoss eines Hauses eingerichtet, das der Stadt Königstein gehört. Seit 1991 praktiziert sie dort. Ihr gegenüber gab es die große Kieferorthopädische Praxis von Dr. Angelika Riedel. Im August 2002 stand das Wasser in den Räumen beider Einrichtungen 1,40 Meter hoch.

Komplett zerstört

Die Zerstörungskraft des Wassers war ultimativ. Da die Vorwarnungen der Behörden von einem Wasserstand ausgingen, der die Praxen nicht gefährdet hätte, blieb keine Zeit zur Evakuierung, als das Wasser doch weiter stieg. So wurde das gesamte Inventar zerstört.

Auch vier Monate nach der Flut sind die Räume im Erdgeschoss noch in keiner Weise nutzbar. Dr. Angelika Riedel, diezu den wenigen Kollegen gehört, die eine Versicherung gegen Hochwasserschäden besitzt, konnte neue Räume im benachbarten Privathaus finden und arbeitet mittlerweile dort wieder.

Dr. Ingrid Hentschel blieb in dem betroffenen Haus und zog vom Erdgeschoss in den ersten Stock, wo zufällig Räume frei wurden. Sie begann mit dem Umbau der Zimmer zu Praxisräumen, noch immer fehlte der Strom. Ihre Praxistätigkeit konnte die Zahnärztin deshalb auch erst Mitte Januar – fünf Monate nach der Flut – wieder in eigener Niederlassung aufnehmen. Glücklicherweise konnte sie in der Übergangszeit durch die großzügige Kollegen-Unterstützung ihre Patienten in der Praxis von Dr. Enno Hering weiter versorgen. Der Sächsische Hochwasserbeirat stellte Dr. Ingrid Hentschel bisher 70 000 Euro aus den Spendenmitteln zur Verfügung.

Ein Opfer der Elbe

Ein weiterer Besuch führte in die Praxis von Holger und Kathrin Wegner nach Bad Schandau. Auf dem historischen Marktplatz der Stadt betrieb das Zahnarzt-Ehepaar seit 1991 eine gemeinsame Praxis. Hilflos mussten sie von ihrem Wohnhaus auf der gegenüberliegenden Elbseite verfolgen, wie die Praxis ein Opfer der Elbe wurde. Das Weiterpraktizieren war in dem geschädigten Gebäude auf absehbare Zeit nicht möglich. Wegners gelang es allerdings, in sicherer Entfernung von der Elbe ein altes leerstehendes Haus zu erwerben, dass sie in nur dreimonatiger Bauzeit komplett renovierten und einrichteten. Bereits seit 1. Dezember kann in zunächst zwei Sprechzimmern wieder behandelt werden. Dass dies in so kurzer Zeit gelang, ist nicht nur den vielen Helfern, sondern auch der Bereitstellung von Spendenmitteln in Höhe von bisher 70 000 Euro zu verdanken gewesen.

Schwer getroffen

Besonders schwer hatte es auch die Kollegen Havemann in Pirna getroffen. Dr. Kerstin Havemann und ihr Mann, der Kieferorthopäde Uwe Havemann, praktizieren seit 1991 gemeinsam in ihrem wunderschön sanierten Altbau in der Pirnaer Innenstadt. Unvorstellbar, dass das gesamte Untergeschoss im August 2002 von den Fluten der Elbe unter Wasser gesetzt wurde. Und als sei dies nicht schon genug, mussten sie auch mit ansehen, wie ihr fast fertiggestelltes neues Eigenheim von den Wassermassen heimgesucht wurde. „Natürlich waren wir im ersten Augenblick völlig verzweifelt“, erzählt Kerstin Havemann. Aber auch hier war es die sofort einsetzende große Hilfsbereitschaft der Familie, der vielen Freunde, des Praxispersonals und des Technischen Hilfswerks, die Mut gemacht haben, den Neuanfang zu wagen. Und wenn man die Bilder der komplett renovierten Praxis sieht, ist es kaum vorstellbar, dass bis zur eingezeichneten Hochwassermarke direkt unter der Decke im Wartebereich noch vor drei Monaten das Wasser der Elbe stand.

Schwer mitgenommen waren auch die Zahnärzte in der nordsächsischen Stadt Eilenburg, die ebenfalls von Mitgliedern des Hochwasserbeirates Ende November besucht wurden. Von den fünf aufgesuchten Praxen konnten bisher vier noch nicht wieder in ihren eigentlichen Praxisräumen arbeiten. Die Praxis von Susann Rüde, erst 1999 neu aufgebaut, musste von der Inhaberin aufgegeben und am anderen Ort zum zweiten Mal von Grund auf eingerichtet werden. Dafür bekam sie ebenso bisher 70 000 Euro aus dem Spendenfonds wie die Praxen von DS Monika Schleicher und DS Uwe Rieß. Der Besuch in den ehemaligen Räumen der gemeinsamen Praxis hinterließ einen gespenstischen Eindruck auf die Ausschussmitglieder. Noch immer blanke Wände ohne Putz, auf dem Fußboden verliefen einige Rohre, das war alles. Das Wasser stand in dieser Praxis bis an die Decke.

Dank an die Kollegenschaft

Alle Betroffenen, mit denen die Beiratsmitglieder in den Wochen nach der Flut spachen, haben darum gebeten, allen Spendern ihren herzlichen Dank auszurichten. Gerade deshalb, weil es ihnen meistens nicht möglich ist, sich persönlich zu bedanken, da sie nicht wissen, von wem das Geld gekommen ist, das ihnen geholfen hat. Deshalb soll auch das Dankeschön der sächsischen Zahnärzte ein „Dank an alle Helfer“ sein.

Einzelne Personen oder Organisationen herauszuheben, birgt die Gefahr, andere zu vergessen. Für viele Menschen in Sachsenwar die Jahrhundertflut eine Katastrophe. Die Höhe der Flut und das Ausmaß der Schäden bewegten sich jenseits aller gewohnten Vorstellungen.

Dass es im zahnärztlichen Bereich gelungen ist, die meisten Schäden schon nach so kurzer Zeit zu beheben, ist der gemeinsame Verdienst der Betroffenen, die ihre Ärmel hochgekrempelt und die Hoffnung nicht aufgegeben haben, und derer, die in welcher Form auch immer geholfen haben. Dieses Beispiel von Solidarität und Gemeinschaftssinn setzt zumindest ein kleines Hoffnungszeichen in unserem derzeit wirklich nicht an Optimismus reichem Land.

Dr. Thomas BreyerVizepräsident der Zahnärztekammer Sachsenund Mitglied des Hochwasserbeirats der BZÄKJüdenbergstr. 401662 Meißen

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