Pathologischer Befund im Bereich eines Weisheitszahnes

Bronchialkarzinommetastase im Bereich eines retinierten Weisheitszahnes

197533-flexible-1900

Kasuistik

Bei einer 41-jährigen Patientin traten entzündliche Beschwerden im Sinne einer Dentitio difficilis im Bereich eines retinierten Weisheitszahnes 38 auf (Abb. 1). Der Zahn 38 wurde mittels Osteotomie entfernt. Postoperativ traten im Osteotomiebereich ausgeprägte Wundheilungsstörungen auf. Unter dem Verdacht einer Alveolitis wurden die Nähte entfernt, die Wunde gesäubert und eine Streifendrainage eingelegt. Auch nach dieser Wundrevision heilte die Wunde nicht ab, sondern zeigte eine zunehmende Schleimhautschwellung und -rötung mit Übergriff auf die Wangenschleimhaut (Abb. 2).

Auf den Röntgenbildern war jetzt in regio 38 ein großer, kraterförmiger Knochendefekt mit auffälliger Randunschärfe und distaler Sklerosierungszone erkennbar (Abb. 3 und 4). Zu diesem Zeitpunkt erfolgte die Überweisung der Patientin in unsere Klinik. Bei der stationären Aufnahme war der Allgemeinzustand der Patientin deutlich reduziert. Anamnestisch berichtete sie über eine seit einigen Wochen zunehmende Gewichtsabnahme. Zur weiteren Abklärung erfolgte die Entnahme einer Gewebeprobe aus dem Bereich der Schleimhaut in regio 38.

Die histologische Untersuchung der Gewebeprobe zeigte maligne, anaplastische, zytoplasmaarme Zellen mit ausgeprägter Kernpolymorphie und Hyperchromatismus (Abb. 5). Das im Rahmen der anschließenden Primärtumorsuche durchgeführte Computertomogramm des Thorax führte schließlich zur Entdeckung eines zentralen, kleinzelligen Bronchialkarzinoms im Bereich der linken Lunge (Abb. 6). Wenige Monate später verstarb die Patientin an ihrem Tumorleiden.

Diskussion

Das bei der hier gezeigten Patientin diagnostizierte kleinzellige Bronchialkarzinom ist ein hoch maligner Lungentumor, der sehr früh lymphogen und hämatogen metastasiert [Riede und Costabel, 2001]. Diese Eigenschaft führt häufiger dazu, dass dieser Tumor, wie hier, durch seine Metastasen klinisch auffällig und erkannt wird. Obwohl die Kieferregion allgemein als eine ungewöhnliche Region für eine Skelettmetastasierung gilt, zeigen Studien an autopsierten Tumorpatienten, dass bei mehr als zehn Prozent der Patienten Tumorzellen im Bereich der Kiefer nachgewiesen werden können [Neville et al., 2002]. Mamma-, Bronchial-, Schilddrüsen-, Prostata- und Nierenzellkarzinome führen am häufigsten zu Karzinommetastasen im Bereich der Kiefer, wobei der Unterkiefer deutlich häufiger als der Oberkiefer betroffen ist [Bouquot et al., 1989; Clausen et al., 1963]. Die klinischen Symptome, die durch eine Metastasierung in den Kieferbereich hervorgerufen werden, sind meistens unspezifisch und können in Form von Schmerzen, Schwellung, Zahnlockerung und Taubheit der Unterlippe auftreten [O’Carroll et al., 1993]. In der Literatur wird auch beschrieben, dass nicht selten die Metastase durch eine nicht heilende Extraktionswunde auffällig wird, wobei die Entfernung des Zahnes durch lokale Schmerzen oder eine Zahnlockerung indiziert war [Zachariades 1989; Neville et al., 2002]. Auch der vorliegende Fall war durch die nicht heilende Wunde im Bereich des osteotomierten Weisheitszahnes gekennzeichnet. Man kann davon ausgehen, dass auch schon die zur Zahnentfernung geführten Beschwerden durch die Metastasierung der Tumorzellen in diesen Bereich bedingt waren, obwohl zu diesem Zeitpunkt im Röntgenbild noch keine osteolytischen Bezirke vorhanden waren.

Bei entsprechender Tumorzellmasse wird die Metastasierung in den Kieferbereich im Röntgenbild durch zunehmende osteolytische Bezirke mit unscharfer Randzone erkennbar, welches als Mottenfraß-ähnliches Erscheinungsbild beschrieben wird [Neville et al., 2002; O’Carroll et al., 1993; Hashimoto et al., 1987]. Wie auch im vorliegenden Fall können die Tumorzellen zu einer reaktiven Knochenneubildung mit einer Sklerosierung in der Randzone der Osteolyse führen [Neville et al., 2002].

Obwohl eine einzelne Metastase im Kieferbereich chirurgisch gut therapierbar ist, haben Patienten mit einer Metastasierung in den Kieferbereich im allgemeinen eine sehr schlechte Prognose. Die Patienten gehören mit der Fernmetastasierung automatisch in das Stadium IV der Tumorerkrankung und häufig ist die metastatische Beteiligung der Kieferregion ein Indiz für eine generelle Metastasierung des Tumors. Die meisten Patienten leben nicht länger als ein Jahr [Neville et al., 2002].

Prof. Dr. Dr. Torsten E. ReichertPD Dr. Dr. Martin KunkelKlinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieJohannes Gutenberg-UniversitätAugustusplatz 255131 Mainz

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.