Gastkommentar

Das Renten-Orakel

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Alle reden vom Aufschwung. Tatsächlich spricht viel dafür, dass es 2004 langsam aufwärts geht. Doch die Struktur-Probleme werden bleiben: Arbeitslosigkeit, Staatsdefizite, Finanzierung der Sozialversicherung, Steuerreform.

Walter Kannengießer
Sozialpolitik-Journalist

Auch 2004 wird eine „Reform“ der anderen folgen. Der Handlungszwang für die Politik, die seit Mitte der siebziger Jahre zu wenig für die Zukunftssicherung unseres Landes getan und zu viel Umverteilung betrieben hat, ist unabweisbar groß geworden. Das gilt auch für die Stabilisierung der Alterssicherungssysteme. Das jetzt beschlossene Notprogramm für die gesetzliche Rentenversicherung (RV) wird nicht einmal reichen, das System über das Jahr zu retten. Der Finanzminister, der nur daran gedacht hat, die Optik seines Haushalts zu verbessern, wird mit Liquiditätsspritzen die Zahlung der von den Löhnen abgekoppelten Renten sichern müssen. Die RV hängt am Tropf des Staates, sobald deren Rücklagen aufgezehrt sind. Bei Ländern und Gemeinden, aber auch beim Bund nehmen schon bald die Pensionslasten dramatisch zu. Auch dafür ist keine Lösung in Sicht. Bei der betrieblichen Altersversorgung ist zwar ein erfreulicher Aufschwung zu verzeichnen. Die Pleitewelle treibt jedoch die Leistungen des Pensions-Sicherungsfonds in die Höhe.

Am besten stehen noch die berufständischen Versorgungswerke da, auch wenn deren Dynamik ebenfalls von Einkommensverlusten, niedrigen Zinsen und längeren Rentenlaufzeiten nachhaltig gebremst wird. Die Fundierung dieser Systeme durch Kapital zahlt sich aus. Doch die Politik bringt Unruhe auch in diese bewährten Systeme. So hat die SPD auf ihrem jüngsten Parteitag mit deutlicher Mehrheit beschlossen, alle Erwerbstätigen, also auch Beamte, Selbständige und Freiberufler in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen. Das ist zwar vorerst nicht mehrheitsfähig, aber bei den Freiberuflern wächst das Gefühl der Unsicherheit über die Zukunft ihres Rentensystems. Versorgungssysteme sind über Generationen hinweg angelegt. Wer deren Existenz aus politischer Opportunität infrage stellt, handelt verantwortungslos. Alle „Reformer“ sind daher daran zu erinnern, dass am Grundgesetz alle Versuche scheitern werden, den Versorgungswerken ihre Grundlage zu entziehen.

Die gesetzliche Rentenversicherung bleibt ein Manövrierfeld der Politik – nach den diversen Parteitagen mehr denn je. Der Weg in Richtung Grundsicherung ist jedoch eindeutig vorgegeben. Dabei wird es nicht bleiben. Die Rentner müssen damit rechnen, dass ihre Einkommen künftig – real und netto – durch Mini-Anpassungen, den Übergang zur nachgelagerten Besteuerung und durch die massive Erhöhung ihrer Beiträge an Kranken- und Pflegekassen sowie durch höhere Eigenbeteiligungen weiter gemindert werden.

Mit der Rentenreform, die 2004 der jetzt beschlossenen Not-Operation folgen wird, soll in der Rentenformel der sich verschlechternden Relation von Beitragszahlern und Rentnern Rechnung getragen werden. Das führt zum stetigen Abschmelzen des Rentenniveaus. Daran kommt niemand vorbei. Auch wird die Politik früher oder später die Altersgrenze anheben müssen. Bleibt die Frage, was kann die Politik tun, um das Rentensystem über 2004 hinaus zahlungsfähig zu halten? Da gibt es wohl nur die Möglichkeit, weitere Nullrunden vorzugeben oder wie bei der Pflegeversicherung den Zuschuss der RV zur Krankenversicherung der Rentner zu streichen oder den Rentenbeitrag über 19,5 Prozent hinaus zu erhöhen.

Die Rentner können weitere und noch größere Abstriche von ihren Netto-Einkommen kaum noch verkraften. Beitragserhöhungen würden Wachstum und Beschäftigung beeinträchtigen. Die Politik hat sich in eine Sackgasse manövriert, aus der es einfache Auswege nicht mehr gibt.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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