Seltene Differentialdiagnose der paramandibulären Schwellung

Neurinom im Bereich des Unterkiefers

224895-flexible-1900
Heftarchiv Zahnmedizin

Kasuistik

Ein 28-jähriger Mann hatte seit zwei Jahren eine unklare Schwellung im Bereich des rechten Unterkiefers. Palpatorisch ließ sich eine bohnenförmige, etwa zwei Zentimeter lange und derbe Struktur unterhalb der Schleimhaut des rechten Unterkiefervestibulums abgrenzen. Der Tumor war gegen den Unterkiefer verschieblich und nicht druckschmerzhaft. Der Patient hatte keine Störungen im Bereich des N. mentalis und berichtete, dass der Tumor über eine lange Zeit in seiner Größe konstant geblieben ist. Uns wurde der Patient zur Abklärung des Befundes überwiesen und auf dem mitgebrachten Orthopantomogramm waren im Bereich des Unterkiefers außer den retinierten Weisheitszähnen und dem tief zerstörten Zahn 47 keine weiteren pathologischen Veränderungen erkennbar (Abb. 1).

Zur Entfernung des ungewöhnlichen Befundes erfolgte in Lokalanästhesie eine paramarginale Schnittführung von regio 43 bis regio 46. Der N. mentalis wurde dargestellt und in unmittelbarer Nachbarschaft zum Nerven zeigte sich ein derber Tumor mit glatter Oberfläche, der sich leicht aus dem umgebenden Gewebe herausschälen ließ (Abb. 2). Nach Entnahme des Tumors wurde eine wannenförmige Einsenkung der äußeren Kortikalis des Unterkiefers sichtbar (Abb. 3). Das entnommene etwa zwei Zentimeter lange Präparat zeigt eine grauweiße Schnittfläche, die differentialdiagnostisch auch an einen Lymphknoten denken ließ (Abb. 4). Histologisch zeigte sich aber das typische Bild eines Neurinoms mit spindelförmigen Tumorzellen mit länglichen Zellkernen (Schwann-Zellen), die fischzugartig angeordnet waren. Diese Tumorzellen umschlossen in typischer Weise zellarme, eosinophile Areale (Abb. 5). Das Tumorgewebe wurde von multiplen kleineren Gefäßen durchzogen und von einer bindegewebigen Kapsel umschlossen.

Diskussion

Das Neurinom ist ein gutartiger Tumor, der von den Schwann-Zellen der kranialen, peripheren oder autonomen Nerven ausgeht [Leu und Chang, 2002; Vicente-Rodriguez et al., 2003]. Man bezeichnet diesen Tumor deshalb auch als Schwannom oder Neurilemmom [Schlote et al., 2001; Neville et al., 2002]. Der Tumor kommt meist solitär vor [Rosai, 2004]. Er tritt jedoch als intra- und extrakranieller Tumor im Rahmen der Neurofibromatose auch multipel auf [Schlote et al., 2001]. Manifestationsalter ist das mittlere Lebensalter mit einer leichten Prädilektion des männlichen Geschlechtes [Leu und Chang, 2002]. 25 Prozent bis 45 Prozent aller Neurinome sind in der Kopf-Hals-Region und innerhalb der Mundhöhle bevorzugt im Bereich der Zunge lokalisiert [Colreavy et al., 2000; Neville et al., 2002].

Klinisch ist das Neurinom ist ein gekapselter, langsam wachsender Tumor, der typischerweise in unmittelbare Beziehung zu einem Nerv wächst. Trotzdem ist der Tumor meist symptomlos; über ein Spannungsgefühl oder Schmerzen durch die Verdrängung der Nachbarstrukturen wird nur selten berichtet [Neville et al., 2002; Almeyda et al., 2004]. Auch bei dem hier vorgestellten Patient war der Tumor über mindestens zwei Jahre in direkter Beziehung zum N. mentalis gewachsen und hatte zu einer Einsenkung der direkt anliegenden Kortikalis des Unterkiefers geführt. Radiologisch war dies im vorliegenden Fall aber nicht erkennbar. Auch hier verspürte der Patient außer der tastbaren Resistenz seitlich des Unterkiefers keine Symptome. Klinisch auffällig war die gute Verschieblichkeit des Tumors, was auf die relativ dicke bindegewebige Kapsel, die den Tumor umgab, zurückzuführen ist.

Die Therapie eines solitären Neurinoms besteht immer in der chirurgischen Entfernung unter Schonung des betroffenen Nerven [Vicente-Rodriguez et al., 2003]. Obwohl das Neurinom auch im vorgestellten Fall eine direkte Beziehung zum N. mentalis aufwies, lies es sich sehr leicht und ohne Folgen für die Sensibilität des Nerven herausschälen. Rezidive kommen praktisch nicht vor und Fälle mit maligner Entartung sind eine Rarität [Rosai, 2004; Neville et al., 2002].

Das histologische Präparat wurde freundlicherweisevon Dr. med. J. Burg, Institut für Pathologieder Johannes Gutenberg-UniversitätMainz, zur Verfügung gestellt.

Prof. Dr. Dr. Torsten E. ReichertKlinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieKlinikum der Universität RegensburgFranz-Josef-Straus-Allee 1193053 Regensburg

PD Dr. Dr. Martin KunkelKlinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieJohannes Gutenberg-UniversitätAugustusplatz 255131 Mainz

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