APW –Seminare auf der 127. DGZMK-Jahrestagung

Kiefer-Gesichtsschmerz: Verstehen – erkennen – behandeln

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Heftarchiv Zahnmedizin
Neben „einfach“ zu diagnostizierenden Zahnschmerzen ist auch der Kiefer- Gesichtsschmerz häufiges Thema der täglichen Praxis. Er erfordert in der Regel ein interdisziplinäres Vorgehen von der Schmerzdiagnostik bis zur Therapie. Diese komplexe Problematik wurde durch ein breites Spektrum an Vorträgen und Seminaren thematisiert.

Die gemeinsame Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde e.V. (DGZMK), der Akademie Praxis und Wissenschaft (APW), dem Interdisziplinären Arbeitskreis „Zahnärztliche Anästhesie“ (IAZA) und der Zahnärztekammer Nordrhein vom 16.10.- 18.10.2003 im Eurogress Aachen vermittelte neue wissenschaftliche Erkenntnisse des Schmerzverständnisses und auf der Basis einer verbesserten Diagnostik und Therapie die Umsetzung in die tägliche Praxis.

Die APW-Praxisseminare waren wie immer weitgehend am Tagungsthema ausgerichtet und trugen dazu bei, gemäß dem Leitthema der Jahrestagung den Kiefer-Gesichtsschmerz nicht nur zu verstehen, sondern auch richtig diagnostizieren und therapieren zu können. Die wesentlichen Seminarinhalte sind nachfolgend zusammengefasst.

Cranio-mandibuläre Dysfunktionen

Gert Groot Landeweer, Malkendorf, Osteopath und Cranio-Sacral-Therapeut, stellte die Kausalitäten der cranio-mandibulären Dysfunktionen mit ihrer Komplexität dar. Wenn von „Odonto-Parodonto-Myo-Arthropathie“ gesprochen wird, laufen zahlreiche Adaptationsprozesse ab, welche zu latenten oder manifesten Störungen führen können. Je mehr Patienten mit cranio-mandibulären Dysfunktionen chronischer Art in ein festes System einer Therapie eingebunden sind, um so eher neigen sie zu weiterer Chronifizierung. Dabei besteht die Lösung nicht in einer definitiven okklusalen Adjustierung, sondern in einer funktionstherapeutischen Behandlung zur Detonisierung der Kieferschließer, der „Biodynamischen Schiene“. Nur durch Dynamik und Variabilität sei eine Entspannung letztlich herbeizuführen, wobei der Patientenmitarbeit und Eigenverantwortung am Erfolg bei der Behandlung eine fundamentale Bedeutung zukommen.

Hypnose in der Zahnarztpraxis

Zahnarzt Dr. Uwe Rudol, Mudersbach, gab einen Einblick in die Einsatzmöglichkeiten von Hypnose in der Zahnarztpraxis. Sie ist in der Erwachsenenbehandlung unter anderem geeignet zur Schmerzbehandlung bei Myoarthropathien, bei der Behandlung von Phobikern und starkem Würgereiz und auch zur Unterstützung bei der Kinderbehandlung. Nicht zuletzt führt die Anwendung von Hypnose zu einem entspannten Praxisklima und kommt so dem gesamten Team zu Gute. Eine gesteigerte Motivation, stressfreieres und konzentriertes Arbeiten sind das Ergebnis. Die moderne Hypnose hat sich in ihrer Form gewandelt und ist nicht mit der klassischen Hypnose gleichzusetzen, da sie weniger mit direkten Anweisungen arbeitet. Bei 90 Prozent der Bevölkerung ist sie mit Erfolg anwendbar, insbesondere bei Menschen, die eine bildhafte Phantasie, eine gute Konzentrationsfähigkeit, Selbstvertrauen und Intelligenz besitzen.

Akupunktur zur Schmerzdiagnostik

Im Rahmen ganzheitlicher Therapieverfahren hat sich in vielen Zahnarztpraxen die Akupunktur bereits durchgesetzt. Dr. Hardy Gaus, Strassberg, gab praktische Tipps zur Umsetzbarkeit in der Zahnarztpraxis, speziell in Diagnostik und Therapie. Am Ende des Seminars demonstrierte der Referent die Anwendung eines Mikrosystems der Akupunktur eindrucksvoll an einem Seminarteilnehmer. In seiner vierteiligen Artikelreihe in den „Zahnmedizinischen Mitteilungen“ (zm 18/03 bis zm 21/03), besteht die Möglichkeit, sich genauer zu informieren. Zur Anwendung im Praxisalltag ist jedoch ein mehrteiliger Grundlagenkurs, der praktische Übungen beinhaltet, zu empfehlen.

Pharmakologische Interventionen bei Kindern

Dr. Jaqueline Esch, München, berichtete über das Behandlungskonzept von Kindern in der Praxis. Ziel ist es, eine Kooperation des Kindes, eine Sanierung und eine langfristige Gesunderhaltung des Milch- beziehungsweise Wechselgebisses zu erreichen. Zur unterstützenden pharmakologischen Intervention stehen im Wesentlichen die Lokalanästhesie, Analgetika, Sedativa, die Inhalationssedierung und die Intubationsnarkose zur Verfügung. Erfahrungsgemäß sind pharmakologische Begleitmaßnahmen seltener nötig, wenn der Behandler im Umgang mit Kindern erfahren ist.

Einem Kind unter zehn Jahren ist eine Differenzierung von Druck und Schmerz nicht möglich, das heißt verhaltensführende Maßnahmen (Tell-Show-Do- Methode, Ablenkung, angenehmes Umfeld und mehr) oder Hypnosetechniken sind obligat. Die Entscheidung über die Art der Behandlung ist jedoch nicht nur allein von der Kooperation des Kindes, sondern auch vom Befund, dem Alter und Allgemeinzustand abhängig.

Dr. Esch erläutere die Anwendung von Lokalanästhetika und Analgetika bei Kindern anhand ihrer eigenen Erfahrungen. Sie empfiehlt den Einsatz der Leitungsanästhesie erst ab einem Alter von sieben Jahren. Da bei etwa 30 bis 40 Prozent aller Kinder in der Kinderzahnarztpraxis das „behaviour management“ versagt und ein umfangreicher Befund eine größere Zahnbehandlung indiziert, ist eine Indikation zur Sedierung, beziehungsweise Intubationsnarkose gegeben. Die verschiedenen Sedativa, beziehungsweise Sedierungsformen, wie die Sedierung mit erhaltenem Bewusstsein (conscious sedation) oder ausgeschaltetem Bewusstsein (deep sedation) wurden mit Unterstützung von Prof. Dr. Hajo Schneck, Ebersberg, mit ihren Indikationen, Medikamenten und Verfahrensweisen dargestellt. Betont wurde jedoch auch die Ausbildungspflicht des Behandlers.

Für die „conscious sedation“ wird Lachgas als gut geeignetes Pharmakon angeben. Durch seine Applikationsform (Inhalation) ist es sehr gut steuerbar. Angewandt wird es vor allem in den USA, in Schweden und den Niederlanden, aber auch in Deutschland nimmt in den letzten Jahren die Anwendung in den Kinderpraxen zu. Diese bestätigen die guten praktischen Erfahrungen, klinische wissenschaftliche Studien im zahnärztlichen Bereich fehlen jedoch.

Bürstenbiopsie zur Krebsfrüherkennung

Prof. Dr. Alfred Böcking, Düsseldorf, und Dr. Thorsten Remmersbach, Leipzig, stellten ein neueres Vorgehen zur vereinfachten Frühdiagnostik bei potentiell entartungsfähigen Munschleimhautveränderungen vor. Ohne chirurgische Intervention durch Probeexzision werden mit kleinen Bürsten oberflächliche Zellen abgestreift und einer DNA-Zytometrie zugeführt. Da diese Diagnostik einen gewissen Gerätestandard und Erfahrung in der Auswahl aussagekräftiger Zellen erfordert, ist die Methode bislang nur in wenigen pathologischen Instituten etabliert.

Schmerzambulanz aus zahnärztlicher Sicht

Priv.-Doz. Dr. Dr. Christian Stoll, Klinik für Zahn-, Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie der RWTH Aachen, sieht in der Schmerzverhinderung, -beseitigung und -linderung eine der wichtigsten Aufgaben des Arztes und Zahnarztes. Eine Kausaltherapie des Schmerzes ist immer anzustreben. So steht bei jedem Schmerzpatienten die Abklärung im Vordergrund, ob einfache Ursachen hinter dem Schmerzgeschehen stecken. Die häufigste Ursache sind nach wie vor odontogene Prozesse. Zur Ausschlussdiagnostik mittels Lokalanästhesie, beispielsweise am Foramen mandibulare, werden Präparate mit einer niedrigen Dissoziationskonstanten (wie Articain) empfohlen, da entzündliche Prozesse ein saures Milieu verursachen und Lokalanästhetika der Gruppe der Säureamide weniger wirksam sein können.

Von einem chronischen Schmerz spricht man allgemein, so Dr. Dorothea von der Laage, Aachen, wenn die Schmerzsymptomatik länger als sechs Monate andauert und verschiedene Ursachen vorliegen. Der Schmerz ist aufgrund seiner sensorischen und emotionalen Wahrnehmung als biopsychosoziale Einheit anzusehen. Da der Schmerz immer subjektiv empfunden wird, muss die Schmerzerfassung individuell erfolgen. Hierzu wird mit visuellen Analogskalen, Schmerztagebüchern, allgemeiner Depressivitätsskala, Beschwerdelisten und mehr gearbeitet. Die somatische und psychische Diagnostik ist zwingend parallel und gleichwertig durchzuführen.

Kariestherapie mit Ozon

Dr. Lutz Laurisch, Korschenbroich, stellte mit Unterstützung der Firma KaVo die Ozonanwendung im zahnmedizinischen Bereich vor (HealOzone System). Prof. Dr. Edward Lynch, Queens University Belfast, zeigte in seinen Untersuchungen erste viel versprechende Ergebnisse bei der Behandlung von Wurzelkaries. Nach nur zehn Sekunden Ozonanwendung sind 99 Prozent aller Mikroorganismen abgetötet. Prof. Dr. Rheinhard Hickel, München, belegte in Studien die bakterizide Wirkung des Ozons bei beginnender Fissurenkaries. Das kariöse Gewebe wird dabei nicht entfernt, sondern mittels Ozon zur Ausheilung gebracht. Immerhin wird dabei eine signifikante Verbesserung der Fissurenkaries innerhalb von drei Monaten bei 38 behandelten Kindern beschrieben.

Die Ozonapplikation ersetzt zukünftig sicher nicht den Bohrer, stellt aber für das präventiv-therapeutische Behandlungsspektrum eine Erweiterung dar.

Basis science of Orofacial Pain

Dr. Douglass L. Jackson, Seattle, empfahl die Einnahme von Ibuprofen sowohl prä- als auch postoperativ bei der Entfernung von Weisheitszähnen. Zum einen würde so der Übergang zwischen der nachlassenden analgetischen Wirkung des Lokalanästhetikums und der eintretenden Wirkung des Schmerzmittels selbst positiv beeinflusst, zum anderen wird Ibuprofen eine gewisse antiphlogistische Wirkung zugeschrieben, welche sich positiv auf die postoperative Schwellung auswirkt.

Diagnostik und Therapie bei Myoarthropathien

Priv.-Doz. Dr. Alfons Hugger, Düsseldorf, und Priv.-Doz. Dr. Jens Christoph Türp, Freiburg, teilten die schmerzhafte Myoarthropathie nach der schwerpunktmäßigen Beteiligung von Kiefermuskeln (myofazialer Schmerz mit und ohne eingeschränkte Mundöffnung) und der Kiefergelenke (Arthralgie und aktivierte Arthrose) ein.

Die Funktionsdiagnostik sollte in Stufen erfolgen und mindestens auch neben der Schmerzanamnese eventuelle Beteiligungen und Veränderungen des übrigen Körpers sowie lokale genaue Palpationsbefunde und möglichst auch die Erfassung schmerzbezogener psychosozialer Dysfunktionen beinhalten. Ergeben sich anamnestische Hinweise auf psychosomatische Überlagerungen der Schmerzen bei einer mehr als sechs Monate bekannten Schmerzanamnese, auffälligen starken psychosozialen Dysfunktionen, oder tritt nach vierwöchiger Behandlung keine Besserung der Beschwerden ein, ist immer das Hinzuziehen von Fachkollegen zur Erfassung depressiver Verstimmungen und unspezifischer somatischer Symptomatiken indiziert. Zur Befunderhebung und Anamnese wird dem Praktiker die Anwendung von strukturierten Schmerzfragebögen empfohlen. Vorgefertigte valide Bögen mit Hinweisen zu deren Auswertung sind im Internet zu erhalten (www.quintessenz.de).

ABC der Schienentherapie

Prof. Dr. Georg Meyer, Greifswald, führte ein Seminar zur Funktionsdiagnostik und initialen Therapie von dysfunktionsbedingten Erkrankungen des Kausystems durch. Er machte auf die komplexe Ätiopathogenese der cranio-mandibulären Dysfunktionen aufmerksam. Der erste Teil einer Behandlung beginnt im Zuhören, konstatierte schon der amerikanische Gnathologe Peter Dawson (1978). So steht auch am Anfang der Funktionsdiagnostik die Anamnese, in welcher mögliche Risikofaktoren wie Stress, psychologische Aspekte, okklusale Störungen, hormonelle Faktoren, orthopädische Probleme und Ähnliches abgeklärt werden müssen. Im Anschluss erfolgt die klinischmanuelle Funktionsanalyse und eine standardisierte Okklusionsdiagnostik. In diesem Schritt werden auch die Beschwerden mit Zeitdauer und Lokalität, Kopfschmerzen, Ohrgeräusche, Zungenbrennen, Kiefergelenkknacken und Schwindel erfasst. Nur bei Verdacht auf eine Arthropathie der Kiefergelenke sollten weitere funktionsdiagnostische Schritte erfolgen und unter Umständen auch bildgebende Verfahren genutzt werden.

Dr. Barbara KesslerPoliklinik für ChirurgischeZahn-, Mund- und KieferheilkundeWelschnonnenstr. 1753111 Bonn

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