Strukturreformen im Krankenhaus

Fiktion Schwarzwaldklinik

Ob Patientenchip, Fallpauschalen oder DRG – die Revolution im Krankenhaus beginnt. Das große behäbige Hospital soll Platz machen für moderne, markttaugliche Kliniken. Doch Ulla Schmidts Reform-Idyll taugt allenfalls als Skriptvorlage für die Schwarzwaldklinik. In der Realität stehen viele Häuser vor dem Aus, Wettbewerb existiert nur auf dem Papier und statt Effizienz regiert im Ärztealltag weiterhin die Bürokratie.

Sportlehrer Stefan wird eingeliefert: Schienbeinfraktur nach schwerem Ski-Unfall. Sofort erfasst Schwester Gudrun seine Daten. Minuten später sitzt Prof. Brinkmann am Krankenbett und sichtet via Laptop die Patientenakte. Er rettet Stefan per Not-OP. Denn zum Glück erfolgt die Dokumentation elektronisch und ist immer aktuell. Ressourcen werden ökonomisch eingesetzt – Doppeluntersuchungen sind längst passé. Deshalb hat Schwester Gudrun viel Zeit, um Stefan liebevoll zu pflegen. Punkt 16 Uhr fährt Dr. Brinkmann in seinem Cabrio nach Hause: Er hat Wochenende und Christa wartet. Soweit das Serienglück.

Willkommen in der Wirklichkeit. Krankenhäuser, die nicht effizient arbeiten, geraten immer stärker unter Druck.

Wirtschaftlich unter Druck

Jedes zweite Haus schreibt rote Zahlen. Seit 1991 haben drei von zehn öffentlichen Hospitälern dicht gemacht. Die Beratungsfirma Ernst & Young prophezeit, dass bis 2020 jede vierte Klinik schließen muss. Obwohl das Gesundheitswesen zu den Boomern unserer Wirtschaft zählt, liegt die Insolvenzquote laut Dresdner Bank dort deutlich höher als in anderen Branchen.

Das Ziel der 2004 eingeleiteten Finanzreform im Kliniksektor ist von Ulla Schmidt klar definiert: mehr Konkurrenz. Der von ihr so beschworene Wettbewerb, monieren die Experten, sei jedoch eine Farce. Denn gemeinhin bestimme der Preis den Markt. Wenn aber alle Preise gleich sind, gebe es keinen Wettbewerb. Eine Konkurrenz rein über die Qualität, wie Schmidt sie fordert, setze keine wirtschaftlichen Impulse.

Rechneten die Kliniken früher nach Tagessätzen ab, zahlen ihnen die Krankenkassen heute je nach Diagnose eine Fallpauschale – ohne Rücksicht darauf, wie lange der Patient in der Klinik bleiben muss, um zu genesen. Eine Blinddarm-OP kostet also von Rostock bis Regensburg dasselbe, egal, in welcher Klinik und wie lange die Heilung dauert.

Nun müssen Krankenhäuser zusehen, dass sie ihre Patienten möglichst schnell entlassen, um kostendeckend arbeiten zu können. Je mehr Patienten jetzt durch das System geschleust werden, desto besser. In der Tat verkürzte sich die Liegedauer vergangenes Jahr auf 8,7 Tage, und in der Durchschnittsklinik stehen nur noch 500 statt über 1 000 Betten. Während mit der Vergreisung der Gesellschaft die Patientenzahlen steigen, sinkt also zugleich die Anzahl der Kliniken, Betten und Pflegetage.

Die Rationalisierung hat ihren Preis. Der Druck fördert das Spitalsterben und damit den Konzentrationsprozess innerhalb der Krankenhauslandschaft, warnen etliche Klinikbetreiber. Geht es insgesamt so weiter, müsse man mit Engpässen in der Versorgung rechnen. Mittlerweile schaltet sich selbst das Kartellamt ein, um die Trägervielfalt auf dem Klinikmarkt zu gewährleisten.

Grundlegendes Problem aber ist die Finanzierung. Die Länder, per Gesetz dazu verpflichtet, die Investitionen für den Sektor Krankenhaus zu tragen, verringern ihre Ausgaben Jahr für Jahr; um die Gelder der Kassen, zuständig für die Behandlungskosten, ist es ohnehin sehr schlecht bestellt.

Hightech trifft auf Steinzeit

Aber auch die Klinikmanager stehen vor einem Riesenprojekt. Sie müssen die Prozesse der Versorgung optimieren. Zurzeit trifft die Hightech-Medizin gewissermaßen auf eine Versorgung aus der Steinzeit. Die Neuerungen erleichtern die Steuerung nicht unbedingt. Weil die Fallpauschalen nämlich eine detaillierte Dokumentation erfordern, blähen sie die Bürokratie weiter auf und erhöhen den Arbeitsaufwand für das Personal dramatisch. Das bekommt der Arzt im Krankenhaus geballt zu spüren. Bis zu 80 Stunden in der Woche schiebt er Dienst – obwohl der Tarif die Arbeitszeit auf 38,5 Stunden festlegt. Überstunden in einer Größenordnung von bis zu zwei Milliarden Euro fallen schlichtweg unter den Tisch, kritisiert die Ärzteschaft. Und auch bei der Bezahlung leiden die Ärzte unter dem Sparzwang der GKV: Auf 2 200 Euro beläuft sich der Verdienst eines Klinikarztes ohne Facharztausbildung, sagt Ärztechef Prof. Dr. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe. Damit liegt der Lohn für Mediziner mittlerweile deutlich unter dem von Lehrern und Juristen ... und dem Salär von Prof. Brinkmann.

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