Gendiagnostik-Gesetz

Enthülltes Erbe

Mysterium Mensch? Das war einmal. Forscher durchleuchten uns bis in die letzte Zelle. Aber mehr und mehr wollen auch Arbeitgeber, Versicherungen, Ärzte und Patienten wissen, was unser DNA-Los bereit hält. Das neue Gendiagnostik-Gesetz soll deshalb Betroffene mit Erbleiden vor Benachteiligungen schützen. Noch ringt der Bundestag um die Details – einstweilen boomt das Gen-Geschäft.

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ücher haben ISBN-Nummern, Dosen Strichcodes. Doch Papier zerfällt, Zeichen verwittern. Für die Ewigkeit schreiben ist schwer. Nichts anderes aber tun Lebewesen seit Milliarden von Jahren. Von Generation zu Generation geben sie ihre Erbinformationen weiter. Die Geschichte der Menschheit steht in jeder Körperzelle geschrieben und wird mit dem Nachwuchs erhalten. Und unmerklich verändert.

Eine treibende Kraft der Evolution sind Kopierfehler, Mutationen, entstanden bei der Verdopplung des Erbgutes im DNA-Molekül. Die andere ist die Selektion. Sie sorgt dafür, dass sich von den zufällig entstandenen Mutationen nur die überlebensfähigen durchsetzen.

Genetischer Tippfehler

Manchmal gehen unserem genetischen Sicherheitscheck allerdings Fehler durch. Stichwort Genkrankheiten. Morbus Huntington zum Beispiel, auch Veitstanz genannt, in der Hoffnung Sankt Veit könnte Geist und Körper von der Nervenkrankheit heilen. Doch weder der Heilige noch die moderne Medizin können den Zerfall der Zellen im Gehirn stoppen. Wer die Anlage hat, wird zu 100 Prozent auch krank und stirbt. Eine Therapie gibt es nicht. Zu 50 Prozent kriegen die Krankheit auch die Kinder.

Die Betroffenen treiben mithin bange Fragen um: Habe ich das Leiden von meinen Eltern geerbt? Und wenn ja: Habe ich das Gen etwa an meine Kinder weitergegeben? Aufschluss kann nur ein Gentest geben.

Kernfragen klären

Gegenwärtig ist in Deutschland noch nicht geklärt, inwieweit Gentests zulässig sind. Fragen zur Zulässigkeit und zum Umgang mit dem menschlichen Datenspeicher sind nur lückenhaft geregelt und zudem auf verschiedene Rechtsgebiete verteilt, etwa auf das Straf-, Sozial- und Arbeitsrecht. Das soll sich ändern.

Seit Oktober vergangenen Jahres liegt ein Arbeitsentwurf zum geplanten Gendiagnostik-Gesetz vor, seither beraten Ministerien und Experten von SPD und Grünen über die entsprechenden Details. Die großen Linien sind bekannt. Ziel ist es, den „mit der Untersuchung menschlicher genetischer Eigenschaften verbundenen Gefahren für die Achtung und den Schutz der Menschenwürde, die Gesundheit und die informationelle Selbstbestimmung zu begegnen sowie eine genetische Diskriminierung zu verhindern.“

Niemand darf also wegen seiner eigenen DNS benachteiligt werden. Ob jemand seine Gene untersuchen lässt oder nicht – ausgegrenzt werden darf er deswegen nicht. Liegt der Test vor, verstößt eine Übervorteilung des Betroffenen ebenfalls gegen das Gesetz – egal, wie das Ergebnis ausgefallen ist. Von Dritten eingeforderte Gentests – ob für Versicherungen oder Arbeitgeber – sollen grundsätzlich verboten werden, Ausnahmen nur gelten, wenn die Betroffenen selbst oder Mitmenschen gefährdet werden.

Doch die Arbeiten am Gesetz dauern, der Feinschliff verzögert den Zeitplan – frühestens ab Mitte Juni rechnet man in der Regierung mit einem Ergebnis. Warum der Gesetzesentwurf noch nicht abgestimmt wurde, hat maßgeblich drei Gründe. Erstens: Die Grünen wehren sich gegen ein Verbot heimlicher Vaterschaftstests, das das Papier aktuell vorsieht. Zweitens: Gestritten wird um Gentests vor Abschluss von Lebensversicherungen. Die Politiker sind sich uneins, ob im Entwurf eine konkrete Summe genannt werden soll, ab der Kunden ihre Versicherung über etwaige Ergebnisse von Gentests informieren müssen. Bislang ist geplant, dass die Kasse ab einem Betrag von 250 000 Euro Bescheid wissen muss. Drittens: Die Frage, wann und unter welchen Umständen Polizei und Staatsanwaltschaft auf Gendaten zugreifen dürfen. Derzeit sind zum Beispiel DNA-Tests nur bei Sexualstraftätern und schweren Verbrechen möglich (Eingeschränkt aussagekräftige Proben sammeln die Behörden aber schon jetzt: So hat das BKA insgesamt 400 000 Fingerprints gespeichert.). Besonders die Grünen wollen, dass per Gesetz der Datenhunger der Ämter ausgebremst wird. Die FDP stimmt zu: Besteht kein konkreter Tatverdacht, bedürfe es weiterhin einer richterlichen Anordnung. Union und SPD wollen dagegen „Deutschland sicher machen“ und die DNA-Analysen ausweiten. Wahrscheinlicher Grund für das Plädoyer: der Mord an dem Münchner Modezar Mooshammer und seine schnelle Aufklärung.

Die Materie ist komplex. Kritiker bemängeln jedoch, dass zu viel Zeit verstreicht. Dass die Experten gleich die ganze Welt verbessern wollen anstatt ans Eingemachte zu gehen. Denn verankert sind die Rechte schon lange, und zwar im Grundgesetz, Artikel 2. „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“, steht dort. Das Persönlichkeitsrecht von Getesteten und ihren Familien wird bei genetischen Testverfahren gleich in zweierlei Hinsicht berührt: einerseits ihr Recht auf Selbstbestimmung, andererseits ihr Recht auf Nichtwissen.

Wahrheit oder Pflicht

Denn eins ist klar: Jeder Gentest enthüllt niemals nur die genetischen Daten eines einzelnen, sondern die der ganzen Familie. Mit allen Konsequenzen, für den Datenschutz wie für das verlorene Recht auf Nichtwissen. Vielen Bürgern ist das egal – Gentests sind Mode. Von Vaterschaftstests bis hin zur persönlichen Fahndung nach eventuellen Krankheitsgenen: Das Geschäft mit den Genen brummt. Über 90 000 Tests werden jedes Jahr in Deutschland durchgeführt, 700 000 sind es in der Europäischen Union. Heute kann man hier zu Lande mit 2 448 verschiedenen Gentests 554 Krankheiten ergründen.

Immer schneller und immer billiger werden solche Tests. Längst nicht alle sind seriös. Viele Wissenschaftler von gestern preisen heute als Unternehmer ihrer Kundschaft einen Blick ins Gengut an. Selbstverständlich zu ihrem Besten, im Hinblick auf die Gesundheitsvorsorge.

„Stell dir vor, du bekommst eine Handvoll Karten, die du dir aber nicht ansehen darfst. Du musst sie ausspielen, ohne sie zu kennen.“ So beschreibt eine US-amerikanische Firma, die alle erdenklichen Genverfahren durchführt, das Schicksal aller Sterblichen.

Die Karten sind unsere Gene. Diabetes steht auf der einen, Krebs und Schlaganfall vielleicht auf zwei anderen. „Erst, wenn Du dein Blatt kennst, kannst du deine Karten auch optimal legen“, prophezeit das Unternehmen und wirbt für den Gentest.

Jeder kann selbst über die Weitergabe und Verwendung persönlicher Daten entscheiden, er kann bestimmen, in welchen Grenzen Lebensumstände zu offenbaren sind.“

Bundesverfassungsgericht, aus dem Volkszählungsurteil vom 15. 12. 83

Aber der Slogan geht an der Realität vorbei. Für die Betroffenen geht es nicht darum, groß aufzutrumpfen. Hat sich in ihrem Blatt eine Lusche versteckt, ist vielleicht das ganze Spiel verloren. Dieser Test bedeutet entweder die Erlösung oder ein Leben in Angst und Verzweiflung.

Ein Gentest kann freilich auch helfen, die Krankheit frühzeitig festzustellen, wie bei der Hämochromatose. Wenn die Eisenkrankheit rechtzeitig behandelt wird, können die Patienten ein ganz normales Leben führen. Man kann mit dem Test natürlich auch Krankheiten nachweisen, für die es keine Therapie gibt, wie bei Morbus Huntington. Angehörige von Patienten wollen unter Umständen Gewissheit über ihr Schicksal haben, und auch Paare, die sich Kinder wünschen.

Aber oft ist die Datenlage viel zu dünn. Wie beim „Alkoholismusgen“ oder dem „Schwulengen“, die vor einiger Zeit durch die Presse geisterten. Die Studien haben keinem Beweis stand halten können. „Ohne Frage, wir haben Fehler gemacht“, gibt auch Peter Propping, vom Institut für Humangenetik und einer der führenden Humangenetiker Deutschlands, in einem Interview mit der Zeitschrift Technology unumwunden zu. „Bei monogenen Krankheiten wie Huntington und bestimmten Arten von Brustkrebs sind die Zusammenhänge vergleichsweise einfach – wer eine bestimmte Genvariante trägt, erkrankt mit hoher Wahrscheinlichkeit.“ 4 000 monogenetisch bedingte Erbkrankheiten sind bekannt.  Bei den multifaktoriellen Krankheiten sei

das ungleich schwieriger, sagt Propping. Sie werden von einer Vielzahl von Genen begünstigt, die sich womöglich untereinander beeinflussen und zudem noch mit der Umwelt in Wechselwirkung stehen. Wie die mit Alzheimer und Herzinfarkt assoziierten mutierten Gene. Sie sind in der Bevölkerung weit verbreitet, der Einfluss des einzelnen Gens ist dabei gering.

Die Geister, die ich rief

Die Blaupause des Lebens zu durchschauen macht ohnehin nur Sinn für Personen mit einem Risiko – für den Durchschnittsmenschen sind die Tests unsinnig. In der Normalbevölkerung kommen diese Genvarianten sehr, sehr selten vor. Viele Kranke werden von den Ärzten brutal mit der Wahrheit konfrontiert. Oft sind die Mediziner nicht eigens für die Beratung ausgebildet, sondern Fachärzte, die eigentlich für die genetischen Aspekte zuständig sind. „Ja, da kommt der komplette Dickdarm raus, das nähen wir dann unten wieder an“ oder „Das Kinderkriegen lassen Sie lieber – Sie vererben das nur weiter“ sind nur zwei Beispiele für den äußerst rücksichtslosen Umgang und die Diskriminierung der Erkrankten.

Dass die genetische Diskriminierung bei uns längst an der Tagesordnung ist, zeigt der Fall einer angehenden Lehrerin, der vergangenes Jahr Schlagzeilen machte: Die junge Frau war zunächst nicht verbeamtet worden, weil sie später zu 50 Prozent an Morbus Huntington erkranken wird. Sie klagte erfolgreich und unterrichtet mittlerweile an einer Schule.

Mit dem genetischen Wissen greifen neue Formen der Ausgrenzung und Diskriminierung um sich. Untersuchungen in den USA, Großbritannien und Australien kommen zu folgendem Ergebnis: Vier von fünf Befragten haben bereits Diskriminierungen erlebt oder fürchten, benachteiligt zu werden. Dabei waren nur vier Betroffene direkt durch Versicherungen oder Arbeitgeber angegangen worden – die Mehrheit berichtete hingegen von Diskriminierungen im Freundeskreis, am Arbeitsplatz, bei der Partnersuche und im Gespräch mit Ärzten.

Dr. Thomas Lemke vom Institut für Sozialforschung an der Uni Frankfurt und spezialisiert auf Genetische Diagnostik, hat sich erstmals für Deutschland mit dem Thema befasst und im Rahmen einer Studie knapp 50 Personen befragt, die entweder selbst unter Huntington leiden oder bei denen ein Familienmitglied betroffen ist.

„Zunächst war ich überrascht, dass so wenig Befragte direkte Diskriminierung durch Arbeitgeber oder Versicherungen schilderten“, sagte Lemke der Süddeutschen Zeitung. „Aber im Gespräch wurde mir schnell klar, wieso.“ Denn die Betroffenen versuchten durch vorsorgliche Geheimhaltung, erst gar nicht in die Rolle einer entwerteten Person zu geraten. Die Angst vor Stigmatisierung ist offenbar groß: Viele der Befragten verheimlichen die Krankheit.

Sie sagen nicht die Wahrheit, um im Job nicht anzuecken und sie verraten ihren Freunden, Verwandten und manchmal sogar ihren Partnern nichts von ihrem genetischen Schicksal. Je weniger davon wissen, desto besser.

Fragen an das Gen-Orakel

Nach internationalem Arbeitsrecht dürfen Beschäftigte weder in einen Gentest einwilligen, noch ist es privaten Arbeitgebern gestattet, Fragen zu Genkrankheiten zu stellen. Doch es geschieht, und es wird natürlich auch geantwortet, in der Hoffnung, der Traumjob werde Wirklichkeit.

Nur in Ausnahmen sind Tests gestattet, beispielsweise wenn die Gesundheit der Betreffenden auf dem Spiel steht oder sich andere dadurch einem Risiko aussetzen. Allein das Wort „Ausnahmen“ ruft freilich etliche Zweifler auf den Plan: Sie befürchten eine Aushöhlung des Arbeitsschutzes.

Prof. Spiros Simitis, Jurist, Datenschützer und Vorsitzender des Nationalen Ethikrates, argwöhnt, ob es das Recht auf Nichtwissen, das in allen nationalen und internationalen Dokumenten verbrieft ist, überhaupt gibt, „ob nicht vielmehr eine verbale Schlacht geführt wird, vorbei an den Realitäten.“ Die privaten Versicherungen, die bis 2011 bei Prämien unter 250 000 Euro freiwillig auf Gentests verzichten, haben schon angemeldet, das Verbot dann nicht länger hinzunehmen.

„Ich fürchte, dass der Zwang zum Gentest kommen wird“, sagt Simitis. Er entstehe praktisch von selbst: Je mehr Massentests, desto stärker der Druck auf alle, daran teilzunehmen. Und desto verletzlicher werde jeder Einzelne, weil man in den Befunden offen über seine Krankheiten und Eigenschaften nachlesen kann wie in einem Buch. „Sie werden jeden Einzelnen entsprechend seiner genetischen Risiken in verschiedene Schubladen stecken und er kann sich dann nur noch in dieser Schublade bewegen.“

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