Psychologie in der Zahnarztpraxis

Zahnbehandlungsangst, Zahnbehandlungsphobie

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Heftarchiv Zahnmedizin
Trotz der heute weitgehend schmerzfreien Behandlung unter Lokalanästhesie empfinden viele Menschen die Zahnbehandlung als unangenehm und bedrohlich. Eine aktuelle Umfrage in Bochum durch ein unabhängiges Institut ergab in einem semistrukturierten Interview, dass 70 Prozent der 300 Befragten Angst vor der Zahnbehandlung empfinden [11].

Die Angst des einen Patienten ist jedoch nicht unbedingt mit der eines anderen Patienten vergleichbar. Und der Sammelbegriff Angst vor der Zahnbehandlung muss daher weiter diversifiziert und konkretisiert werden. Da auch der Zahnarzt bei der Behandlung ängstlicher Patienten ganz besonderen Anforderungen unterliegt, helfen die Quantifizierung und die qualitative Analyse der individuellen Angst vor der Zahnbehandlung im Zusammenhang mit der allgemeinen psychischen Anamnese, Problempatienten frühzeitig herauszufiltern und einer individuellen Therapieplanung und einer adäquaten Therapie zuzuführen. Im Folgenden werden die Begriffe Zahnbehandlungsangst und Zahnbehandlungsphobie definiert, diagnostische Hilfsmittel beschrieben und Therapieansätze vorgestellt.

Definitionen und Ätiologie

Die meisten Patienten, die vor einer Zahnbehandlung stehen, haben ein mehr oder weniger ausgeprägtes Angstgefühl, dennoch suchen sie regelmäßig ihren Zahnarzt zur halbjährlichen Untersuchung auf. Diese „normale“ Zahnbehandlungsangst ist der Sammelbegriff für alle psychologischen und physiologischen Ausprägungen eines nicht krankhaften Angstgefühls, das sich gegen die Zahnbehandlung oder mit ihr verbundenen Stimuli richtet. Fälschlicherweise wird die Zahnbehandlungsangst auch häufig als „Zahnarztangst“ bezeichnet. Der Zahnarzt ist jedoch nur einer von vielen Auslösern, vor denen die Betroffenen Angst haben können.

Wie auch bei anderen Angsterkrankungen, ist von dieser Zahnbehandlungsangst die krankhafte Zahnbehandlungsphobie abzugrenzen, die als spezifische Phobie zu der Gruppe der einfachen Phobien zählt. Neben einem hohen Angstausmaß unterscheidet vor allem die Vermeidung eines regelmäßigen Zahnarztbesuches Patienten mit einer Angsterkrankung von normal ängstlichen Patienten. Der Übergang von der normalen zur pathologischen Angst ist fließend. Gemäß den Kriterien des Diagnostischen statistischen Manuals psychischer Erkrankungen IV der amerikanischen psychiatrischen Gesellschaft [1] wird Angst zu einer Krankheit, wenn

• die Angst unangemessen stark ist

• die Angst zu häufig und zu lange auftritt

• der Patient die Kontrolle über die Angst verliert

• der Patient die Angstsituationen vermeiden muss

• der Patient stark unter der Angst leidet.

Traumata im Kontext der Zahnmedizin stellen meistens den Grund für die Entstehung einer Zahnbehandlungsphobie dar. Die Vermeidung weiterer Behandlungen erscheint somit verständlich und die Unterteilung in krankhafte und normale Angst bei der Zahnbehandlungsangst ist notwendig: Der Patient, der nach einer schlechten Erfahrung die weitere Behandlung vermeidet, ist sich in der Regel darüber im Klaren, dass die Folgeerkrankungen durch fehlende regelmäßige Kontrollen durch einen Zahnarzt zu unübersehbaren Konsequenzen für seine Mundgesundheit führen können. Er leidet somit unter seiner Angst, kann diese aber erst überwinden, wenn die Schmerzen oder der Leidensdruck durch das soziale Umfeld so groß geworden sind, dass ein Besuch beim Zahnarzt unausweichlich erscheint. Dieses Verhalten der Vermeidung ist keinesfalls der Norm entsprechend. In repräsentativen Interviews wurde ermittelt, dass sich die Gesamtbevölkerung bereits an zweiter Stelle nach der Angst vorm öffentlichen Reden (27 Prozent) vor der Zahnbehandlung (21 Prozent), gefolgt von Höhenangst (20 Prozent), Angst vor Tieren (zwölf Prozent) und der Angst vor Flugreisen (neun Prozent) fürchtet [20]. Die aktuelle, repräsentative Umfrage in der Bochumer Innenstadt ergab, dass jedoch nur zirka elf Prozent der Bevölkerung an einer Zahnbehandlungsphobie leiden und somit die Zahnbehandlung völlig vermeiden [21]. Dies ist ein Wert, der auch von früheren Untersuchungen angegeben wird [3]. In der Bochumer Studie korreliert die Zahnbehandlungsangst im hohen Maße mit dem Vermeidungsverhalten, je höher die Angst, desto länger das Vermeidungsverhalten. Die Gründe für das Entwickeln einer Zahnbehandlungsphobie sind dabei vielschichtig: Neben eigenen schlechten Erfahrungen bei der Zahnbehandlung kann ebenfalls das soziokulturelle Umfeld als negative Vorbildfunktion die Entstehung einer Phobie begünstigen. Dazu kommen individuelle, prädisponierende Faktoren [28]. So können einige Patienten, welche die regelmäßige Behandlung vermeiden, keinen Grund für ihre Phobie benennen. In Diagramm 1 sind die Gründe aufgeführt, die in der Bochumer Passantenbefragung als Ursache für die Angst vor der Zahnbehandlung angegeben wurden (Mehrfachnennungen waren möglich): Das Trauma war mit 68 Prozent, gefolgt von der Angst vor den Spritzen mit 35 Prozent, der am häufigsten genannte Grund. Aber auch die kieferorthopädische Behandlung wurde in 20 Prozent der Fälle als Angst auslösend beschrieben.

Behandlungsangst, -phobie und ihre Diagnostik

Eine vollständige Angstdiagnostik umfasst alle drei Ausdrucksebenen der Angst:

1.Körper beziehungsweise Physiologie (wie Herzrasen, Schwitzen)

2.Denken / Fühlen beziehungsweise psychische Prozesse („es wird etwas Schlimmes geschehen“, „ich muss hier raus“, „ich bin verzweifelt“)

3.Verhalten (vermeiden, flüchten)

Es besteht jedoch Einigkeit darüber, dass Selbstbeurteilungen psychischer Prozesse (Fragebögen) die brauchbarste Erfassungsmethode der Angst erwachsener Patienten vor und in der zahnärztlichen Situation darstellen, da ihre Validität und Reliabilität sehr hoch sind und sie ökonomisch eingesetzt werden können [10]. Mit der Entwicklung von standardisierten Fragebögen begann die systematische und vergleichende Erforschung von Zahnbehandlungsängsten. Fragebögen zur Ermittlung der Zahnbehandlungsangst sollten so konstruiert sein, dass sie die Angst unabhängig von der Befragungssituation als zeitlich konstante Größe erfassen. Dies ist mit einem prospektiven Fragebogen möglich, der dem Patienten bestimmte Situationen vorgibt (zum Beispiel „Stellen Sie sich vor...“) [9].

Die folgenden Fragebögen stellen bekannte und häufig verwendete Messmethoden dar, eine Zahnbehandlungsangst zu qualifizieren und zu quantifizieren:

1.Dental Anxiety Scale (DAS, [5, 32])

2.State Trait Anxiety Inventory (STAI, [29])

3.Dental Fear Survey (DFS, [18, 32])

4.Dental Cognitions Questionnaires (DCQ, [7])

5.Dental Anxiety Inventory (DAI, [30])

6.Selbsteinschätzung auf einer Visuellen Analog-Skala (VAS)

7.Hierarchischer Angstfragebogen (HAF, [12])

Der Hierarchischen Angstfragebogen (HAF) unserer Arbeitsgruppe und die visuelle Analogskala (VAS) bieten sich zur Selbsteinschätzung der Angst im Zusammenhang mit einer zahnärztlichen Behandlung an. Inzwischen sind aber auch die Dental anxiety scale nach Corah und das Dental fear survey nach Kleinknecht ins Deutsche übersetzt und validiert. Das Fehlen dieser validierenden Untersuchungen hat 1997 zur Entwicklung eines eigenen Fragebogens geführt. Dieser hierarchische Angstfragebogen (HAF) besteht aus elf Fragen und unterteilt die Patienten in drei Gruppen:

• niedrig ängstlich (bis 30 Punkte),

• mittelmäßig ängstlich (von 31 bis 38 Punkte),

• hoch ängstlich (über 38 Punkte).

Die Diagnose Zahnbehandlungsphobie ergibt sich aus einem Angstscore von über 38 Punkten bei gleichzeitiger anamnestischer Vermeidung der Zahnbehandlung von zwei oder mehr Jahren. Die am häufigsten benutzte Methode zur Quantifizierung einer Selbsteinschätzung, bekannt vor allem aus der klinischen Schmerzmessung, stellt die visuelle Analogskala (VAS) dar, eine zehn Zentimeter lange Linie mit den Extrempunkten an jedem Ende. Der Patient bezeichnet durch einen Strich irgendwo auf dieser Linie die Stelle, die den Grad der von ihm erfahrenen Angst wiedergibt. Die VAS eignet sich gut, um als initiales Screeninginstrument in den zahnärztlichen Anamnesebogen aufgenommen zu werden [8].

Therapeutische Verfahren bei Zahnbehandlungsangst

Zahlreiche Methoden sind beschrieben worden, um ängstliche und krankhaft ängstliche Patienten wieder an eine regelmäßige zahnärztliche Betreuung heranzuführen. Folgende Einteilung der Therapieansätze hat sich bewährt: primär anxiolytische Verfahren werden von primär Schmerz reduzierenden Verfahren unterschieden. Innerhalb dieser Gruppen müssen jeweils medikamentöse von nicht medikamentösen Therapieansätzen abgegrenzt werden (siehe Tabelle 1). Es sind jedoch nicht alle Methoden gleichermaßen geeignet, eine Zahnbehandlungsphobie zu behandeln. Die medikamentösen Verfahren ermöglichen zwar die zahnärztliche Behandlung phobischer Patienten, führen aber langfristig nicht zu einem nachhaltigen Angstabbau [15]. Vor allem die Behandlung unter Vollnarkose wird immer noch zu häufig bei hoch ängstlichen und phobischen Patienten eingesetzt, weil sie der einfachste Weg für die Therapie dieser Patienten zu sein scheint.

Dabei wurde bereits im Jahre 1984 in einer klinisch kontrollierten prospektiven Behandlungsstudie (n=99) der zahnärztliche Eingriff unter Allgemeinanästhesie einem Eingriff in Kombination mit einer psychologischen Verhaltenstherapie gegenübergestellt. Eine Behandlung unter Allgemeinanästhesie macht eine Behandlung phobischer Patienten zwar möglich, baut aber in keiner Weise die Angst ab. Eine Behandlung unter Allgemeinanästhesie unterstützte hingegen den Patienten in seiner Vermeidung derart, dass im Anschluss an den Eingriff eine regelmäßige Behandlung unter Lokalanästhesie die Ausnahme blieb [4].

Im Vergleich zwischen einer Prämedikation über Midazolam, vorheriger psychologischer Therapie und einer Kontrollgruppe konnte ebenfalls gezeigt werden, dass die psychologische Vorbehandlung erfolgreicher ist als das primär analgetisch und anxiolytische Verfahren. In Bezug auf die Angst konnte die psychologische Therapie zu einer deutlichen Verminderung beitragen, wohingegen in der Kontrollgruppe und in der Midazolamgruppe die Angst beinahe unverändert hoch blieb [17] (Diagramm 2).

Folgende primär anxiolytische, nicht medikamentöse Verhaltenstherapien bei Zahnbehandlungsphobie sind als erfolgreich beschrieben worden:

• Modell-Lernen [23, 24]

• systematische Desensibilisierung (SD) mit Video [2] in-vivo [25, 26]

• reine Entspannungsverfahren [19]

• reine Kognitive Verfahren: Kurzintervention [6]

• kombinierte Therapieformen: Stressimpfungstraining: SD+KR [22, 31] Angstmanagementtraining: E+KR [27]

Im Therapiezentrum für Zahnbehandlungsangst Bochum in Kooperation mit der Abteilung für Psychologie und Klinische Psychotherapie der Universität Wuppertal und der Fakultät für Zahn-, Mund, und Kieferheilkunde der Universität Witten /Herdecke werden die Patienten mittels einer psychologische Kurzintervention (Dauer: dreimal eine Stunde im wöchentlichen Abstand) auf die zahnärztliche Behandlung vorbereitet. Diese Kurzintervention umfasst vier Komponenten:

1.Informationsvermittlung:

Angst, Angsterkrankung, Diagnostik und Aufzeigen von therapeutischen Möglichkeiten

2.Entspannungstraining:

Kurzfassung der progressiven Muskelentspannung nach Edmund Jacobson [11], Aushändigung einer Übungskassette

3.Angewandte Entspannung:

Einsatz der Entspannung bei Vorstellung hierarchisch angeordneter Behandlungssituationen, Desensibilisierung

4.Selbstverbalisation:

Erarbeiten förderlicher Selbstverbalisationen, Hausaufgabe zur Überprüfung der Compliance

Nach dieser psychologischen Kurztherapie werden die Patienten behutsam an eine zahnmedizinische Therapie herangeführt. Hierbei sind die Angaben des Patienten im HAF hilfreich, und es werden zuerst die Therapien durchgeführt, vor denen sich der Patient am wenigsten fürchtet: Zunächst erfolgt meistens eine Hygienephase mit Motivation und daran anschließend zahnärztliche Behandlungen, welche von der Invasivität und der zeitlichen Beanspruchung so geplant sind, dass für den Patienten sehr überschaubare erste Behandlungssitzungen von jeweils zirka 15 Minuten Länge entstehen.

Ziele dieser ersten zahnärztlichen Behandlungen sind:

1.kein erneutes Trauma für den Patienten zu setzen

2.Vertrauen in sich selbst und zu dem behandelnden Zahnarzt zu entwickeln

3.ein Kontrollgefühl beim Patienten über die Behandlung aufzubauen.

Die Zunahme der Invasivität der zahnärztlichen Behandlungen über die Zeit wird von den Patienten gut verkraftet und zumeist auch gefordert, da im gleichen Maße das Selbstbewusstsein des Patienten in Bezug auf die zahnärztliche Behandlung wächst. Diese schrittweise „Desensibilisierung im Behandlungsstuhl“ ist Teil der verhaltenstherapeutischen Betreuung durch den Zahnarzt. Über diesen einschleichenden Therapieansatz konnten in Bochum zirka 70 Prozent der Angstpatienten einer erfolgreichen systematischen zahnärztlichen Behandlung zugeführt werden [13].

Für das primär Schmerz reduzierende, medikamentöse Verfahren der Allgemeinanästhesie im Rahmen der zahnärztlichen Behandlung von Angstpatienten sind folglich enge Indikationsgrenzen zu setzen: Bei größeren oder medizinisch dringlichen Behandlungssituationen, bei denen die zeitlich aufwändigere psychologische Vorbehandlung nicht primär angewendet werden kann, und bei Patienten, welche sich der psychologischen Vorbehandlung nicht unterziehen können oder wollen, zum Beispiel bei geistig behinderten Patienten oder Patienten mit fehlender Compliance, bietet die Vollnarkose neben der Behandlung unter Midazolam die einzige Behandlungsoption.

Unabhängig von der Art der psychotherapeutischen Intervention bei Zahnbehandlungsphobie brachen auch bei anderen Untersuchungen zirka 30 Prozent der Phobiker die Therapien ab [4, 16]. Daher wird im aktuellen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt untersucht, welche Faktoren das Vermeidungsverhalten bei Patienten mit phobischer Angst vor der Zahnbehandlung begünstigen beziehungsweise einen Behandlungsabbruch wahrscheinlich machen.

Ergebnisse der Untersuchung

Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass der Wunsch nach Kontrollbedürfnis, ein geringes Kontrollerleben, sowie eine große Diskrepanz zwischen diesen beiden Parametern und eine geringe Selbstüberzeugung das Vermeidungsverhalten zu 30 Prozent vorhersagen können [14]. Diese Ergebnisse sind nicht überraschend, da auch in der Bochumer Umfrage seitens der Befragten für den Abbau der Angst vor allem Information durch den Zahnarzt gefordert wurde. Auf die Frage, wie der Zahnarzt auf die Anspannung und Angst eingehen sollte, wurde wie folgt geantwortet – es waren jeweils mehrere Aussagen möglich [21]:

• genaueste Informationen über Länge, Art und Dauer der Behandlung (69 Prozent)

• der Zahnarzt sollte menschliche Wärme ausstrahlen (62 Prozent)

• der Zahnarzt sollte mich schmerzfrei behandeln (58 Prozent)

• er sollte mir helfen mich zu beruhigen und zu entspannen (53 Prozent)

• er sollte mit mir über meine Angst reden (45 Prozent).

Diese Zahlen bestätigen, dass sich gerade die ärztliche Kommunikation – das ärztliche Gespräch – neben der kompetenten Information auch auf Zuwendung und helfende Komponenten stützen sollte, auf Wertschätzung des anderen und auf menschliche Wärme.

Dr. Dr. Norbert EnklingProf. Dr. Gudrun SartoryGabriele MarwinskiPriv. Doz. Dr. Peter JöhrenUniversität Witten /HerdeckeAbteilung für Zahnärztliche ChirurgieundZahnklinik BochumAugusta-Kranken-AnstaltBergstraße 2644791 Bochum

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