Gastkommentar

Die Bayern kommen

Eigentlich müsste jede künftige Bundesregierung die Finanzierung des Sozialsystems auf andere Beine stellen. Das Wahlergebnis stellt aber grundsätzliche Strukturveränderungen in Frage. Indessen setzen sich die Christsozialen von der herrschenden neoliberalen Wirtschaftstheorie ab.
Dr. Rudi Mews
Parlamentskorrespondent in Berlin

Als diese Ausgabe der zm in Druck ging, klebte der amtierende Bundeskanzler noch an seinem Sessel, den seine Herausforderin Angela Merkel einnehmen wollte. Aber: Es lag bereits die Zusage des bayerischen Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) vor, in der nächsten Bundesregierung Verantwortung zu übernehmen. Gestärkt durch sein Wahlergebnis 2002, es war besser als das der CDU-Kandidatin Angela Merkel 2005, will Stoiber offensichtlich in Berlin der größeren Schwesterpartei mehr auf die Finger schauen. Stoiber hatte schon die unpopuläre Mehrwertsteuererhöhung im Unionswahlprogramm nur ungern mitgetragen. Weder dafür noch für die von der CDU adaptierte neoliberale Wirtschaftsauffassung gab es eine Mehrheit in der Bevölkerung. Ebenso wenig für die so genannte solidarische Gesundheitsprämie, mit der die CDU die CSU auf ihrem Parteitag in Leipzig präjudiziert hatte.  

Wenn es stimmt, dass Frau Merkel Frauen der CSU-Landesgruppe im Bundestag Staatssekretärinnenposten versprochen hat, ohne sich mit Stoiber darüber abzustimmen, ist eine gewisse Säuernis des CSUChefs auch hier nachzuvollziehen. Stoiber will – wenn schon nicht die Kanzlerschaft – so doch einen schwergewichtigen Ministersessel einnehmen, CSU-Landesgruppenchef Michael Glos ebenfalls. Günther Beckstein, schon jetzt Stellvertreter des Ministerpräsidenten, würde dieses Amt voll übernehmen. Auch der ehemalige Gesundheitsminister Horst Seehofer, im Amt des stellvertretenden CSU-Vorsitzenden mit den bestmöglichen Stimmenzahlen bestätigt, meldet sich zurück. Hingegen können weder seine Intimfeindin Merkel noch Stoiber daran interessiert sein, dass Seehofer eine neue Machtbasis direkt vor ihrer Haustür erhält. Sollte ihm jedoch nicht gelingen, Glos als Landesgruppenchef zu beerben, sagt man in Kreisen des Sozialverbandes VdK in Bayern, könnte sich das politische Berlin auf ein neues Machtzentrum ganz anderer Art gefasst machen: Ein Netzwerk nach Rotary- Muster, dem alle Sozialverbände angehören sollen und überdies der DGB. Jeder bleibt dabei frei für die eigene Politik, jeder bringt ein, was er kann. Das ist nicht wenig.   

Der bayerische VdK, dessen Vorsitzender Seehofer ist, gilt als reich. Allen stehen eigene Apparate zur Verfügung, einschließlich eigener Zeitungen. Seehofer hat überdies die Bischöfe auf seiner Seite, nicht zuletzt die katholischen. Sie haben mehrfach gemahnt, nicht der Shareholder Value, sondern der Mensch habe im Mittelpunkt der Politik zu stehen. Der Aufstand gegen die grassierende Wirtschaftstheorie, die bekanntlich Arbeitsplätze weder zu sichern, noch zu schaffen vermochte, könnte somit von der katholischen Soziallehre ausgelöst werden, nicht von der Linken. Sie hat nur nominell mehr als die Hälfte der Wählerstimmen hinter sich, ist aber nicht regierungsfähig. Die SPD, die kürzlich ebenfalls ihr soziales Gewissen wieder entdeckt hat, könnte aber gleichwohl auf größeren Terraingewinn in der großen Koalition hoffen.  

Diese hat sich zuvor schon im GKV-Modernisierungs- Gesetz (GMG) manifestiert. Aber das GMG war auch aus der Sicht seiner Eltern Ulla Schmidt (SPD) und Horst Seehofer eine Zwischenlösung vor einer grundlegenden Reform. Politisches Patt oder die Chance, überfällige Strukturentscheidungen zu bewältigen? Zu erwarten sind als erstes eher Kostendämpfungsgesetze, die traditionsgemäß nur kurzfristig Remedur geschaffen haben. Die steigenden Arzneimittelausgaben drängen sich jedoch als erstes Exempel dafür auf. Kleinere gemeinsame Nenner wären auch beim Risiko-Struktur- Ausgleich der Krankenkassen sowie bei Disease Management- Programmen denkbar. Eine weitere Einbeziehung des angeblich mündigen Patienten in die Finanzierung des Gesundheitswesens ist vor dem angenommenen Hintergrund schwer vorstellbar.  

Für die Zahnärzte heißt das, ihrer Lobby bleibt wenig mehr übrig, als sich auf die Konsolidierung befundorientierter Festzuschüsse zu konzentrieren. Der große Wurf einer Neuordnung der GKV-Finanzierung ist damit – wenn überhaupt – kaum rasch zu erwarten. Gesundheitspolitik, verstanden als umfassende Gesellschaftspolitik, kam ja schon in den Wahlprogrammen nur als Marginalie vor.  

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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