Berufliche Alternativen für Zahnärzte

Abgebogen

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Bürokratiefrust und Lust auf Neues sind die zwei Hauptgründe, die Zahnärzte dazu bringen, ihre Arbeit in der Praxis aufzugeben. Nicht viele wollen beruflich andere Wege einschlagen. Aber diejenigen, die dennoch wechseln, können auf die Zahnmedizin als gute Basis bauen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Manche sind ein Sprung ins kalte Wasser, andere entwickeln sich über die Jahre. Acht Beispiele.

Die Gesundheit der Patienten zu erhalten und das Beste für sie zu erreichen, waren für die ehemaligen Zahnärzte Dr. Susanne und Dr. Hartmut Voss-Vornweg schon immer die zentralen Anliegen in ihrer Arbeit. Durch den fortschreitenden Trend zur Rationierung im Gesundheitswesen und die zunehmende Bürokratie fühlten sie sich aber im Laufe der Zeit in ihren Möglichkeiten immer weiter eingeschränkt. 2003 entschieden sie sich dafür, ihre Praxis in Arnsberg zu verkaufen und ein Fortbildungsinstitut für ganzheitliche Prävention zu gründen.

„Unsere Arbeit mit den Patienten war schon immer sehr präventiv orientiert“, erzählt Hartmut Voss-Vornweg. Neben Ernährungsberatung und -lenkung bot das Ehepaar auch komplementäre Heilverfahren wie Akupunktur und Homöopathie an. Ausführliche Gespräche und viel Zeit für den einzelnen Patienten waren elementarer Teil der Praxisphilosophie. Die Resonanz auf die Methoden sei gut gewesen, der Zulauf groß. „Von den Krankenkassen sind wir für unser ganzheitliches Konzept jedoch abgestraft worden“, erinnert sich die Medizinerin. „Wir mussten uns dafür rechtfertigen, dass wir mit Prophylaxeleistungen in vielen Bereichen über dem Schnitt lagen.“ Dass gleichzeitig die Zahl der konservierenden, chirurgischen und prothetischen Behandlungen sank, habe niemanden interessiert. „Irgendwann entschlossen wir uns, dieses auf Reparaturbetrieb getrimmte Gesundheits-Unwesen nicht länger zu unterstützen“, erklärt Susanne Voss-Vornweg. Für das Ehepaar erschien der Wechsel die beste Alternative.

Geringe Abwanderung

Bundesweit gibt es nach Angaben der BZÄK über 16 000 Zahnärzte „ohne zahnärztliche Tätigkeit“. Hauptsächlich besteht diese Gruppe aus Ruheständlern und Zahnärztinnen im Mutterschutz, es gehören aber auch Zahnärzte in „berufsfremder Stellung“ dazu. Ihre Zahl ist überschaubar. In der größten Länderkammer Bayern gibt es zum Beispiel nur 22 solcher Fälle. Verglichen mit den Ärzten ist die Abwanderungsrate in der Zahnmedizin damit gering. Wie der Weltärztebund vor kurzem mitteilte, praktizieren von 11 000 Medizinstudenten später lediglich 8 000 als Arzt. Viele arbeiten stattdessen für Pharmaunternehmen oder als Berater in der Gesundheitsbranche.

Die meisten Jobwechsler unter den Zahnärzten bleiben der heilberuflichen Ethik treu. Viele orientieren sich in Richtung Selbstverwaltung und arbeiten für Kammern, KZVen oder Krankenkassen. Das Ehepaar Voss-Vornweg entschied sich für den Bereich Wellness und Gesundheit. In dieser Branche arbeiteten 2002 laut Statistischem Bundesamt fast 36 500 Menschen. Erwirtschafteter Umsatz: 844 Millionen Euro. Das Interesse an Wellness-Angeboten ist einer aktuellen Umfrage von TNS Emnid zufolge nach wie vor hoch, der ganz große Boom ist laut der Studie jedoch vorbei. Nur noch knapp jeder Zehnte lege regelmäßig einen Wellnesstag ein. Mangelndes Interesse kann Hartmut Voss- Vornweg nicht erkennen: „Der Wunsch unserer Kunden, gesund zu leben, ist sehr groß. Nicht nur, aber gerade für die ältere Generation ist das ein starkes Bedürfnis, in das sie auch investieren.“ Dieser Trend sichert den beiden nicht nur ihre wirtschaftliche Existenz, er bringt ihnen auch viel Spaß am Job. „Es ist toll, mit Menschen zu arbeiten, die wollen, dass es ihnen noch lange gut geht“, erklärt der Sauerländer. Ein weiterer Pluspunkt für die beiden: Ihre Beratertätigkeit bindet sie nicht an einen Ort. Sie geben Seminare in Deutschland, Österreich, der Schweiz und auf ihrer Trauminsel Mallorca.

Viele Patienten erreichen

Die Mundgesundheit liegt Dr. Mathias Lehr am Herzen. Er will Patienten vermitteln, wie man seine Zähne gesund erhält. Eine Einzelpraxis reichte dem Zahnarzt als Wirkungsbereich nicht aus – er wollte mehr Menschen erreichen. Als Geschäftsführer des Vereins für Zahnhygiene (VfZ) hat er die Möglichkeit dazu. Die Organisation bietet zu Themen wie Prophylaxe und Ernährung Broschüren, Spiele und Unterrichtsmaterialien an.

Gefallen an der PR-Arbeit fand Lehr schon im Studium, als er in einer Agentur jobbte. Während seiner Assistenzzeit merkte er dann, dass ihm die kreative Komponente fehlte. Die Leitung des VfZ bot sich als ideale Alternative zur Niederlassung in eigener Praxis an: „Öffentlichkeitsarbeit im zahnmedizinischen Bereich bietet mir die Möglichkeit, meine beruflichen Interessen zu kombinieren“, sagt der Geschäftsführer. Zu seiner Arbeit gehört unter anderem die Konzeption von Flyern und anderen Infomaterialien. Außerdem entwirft er Exposés für Spiele und DVDs, die sich beispielsweise mit dem Thema Ernährung befassen. Hinzu kommen juristische und betriebswirtschaftliche Aufgaben. „Das war schon manchmal ein Sprung ins kalte Wasser“, erinnert sich Lehr. „Aber man eignet sich die nötigen Kenntnisse mit der Zeit an.“ Qualifikationen, die man seiner Meinung nach für den PR-Bereich mitbringen sollte, sind ein aufgeschlossenes Wesen und die Fähigkeit, Kontakte zu machen und zu pflegen. „Wortkarg darf man nicht sein.“

Dass PR auch eine berufliche Option für Zahnarzthelferinnen ist, beweist Marlena Kvesic. Seit einigen Monaten arbeitet die 28-Jährige in einer Agentur in Bad Homburg. „Zu unseren Kunden zählen führende Unternehmen aus der Dentalbranche. Für sie bieten wir der Fach- und Publikumspresse zu einer Vielzahl von Themen Artikel an“, erklärt Kvesic. „Meine Aufgabe ist es unter anderem, den kompletten Weg von der Idee über das Finden eines Autors bis hin zur Veröffentlichung des Textes zu koordinieren.“

hre mehrjährige Berufserfahrung in zahnärztlichen sowie chirurgischen Praxen und Kliniken machte sie zur optimalen Besetzung für diese Stelle. Und auch der Zeitpunkt stimmte. „Ich war an einem Punkt angekommen, an dem ich einen Schritt weitergehen und die Zahnmedizin von einer neuen Seite kennenlernen wollte“, erinnert sie sich. Dass ihr Fachwissen und ihre Erfahrungen in dem neuen Umfeld gefragt sind, gibt Kvesic viel Bestätigung: „Ich hatte anfangs schon Bedenken. Aber jetzt bin ich begeistert und überzeugt, dass es die richtige Entscheidung für mich war.“ Vorbereitungskurse waren für die neue Stelle nicht nötig. Das wissenschaftliche und journalistische Know-how, das Kvesic braucht, lernt sie vor Ort von den Kollegen. Erfahrung als Autorin von Fachtexten hatte sie außerdem schon während ihrer Zeit als Zahnarzthelferin sammeln können. Irgendwann wieder in einer Praxis zu arbeiten, bleibt für sie eine Option. Parallel zu ihrem neuen Job absolviert sie daher eine Aufstiegsfortbildung zur Zahnmedizinischen Fach-Assistentin. Schließlich sei es wichtig, „auf dem Laufenden zu bleiben“.

Dem Kostendruck entgehen

Die Arbeit in der Dentalbranche ist eine weitere Alternative, die es Zahnmedizinern ermöglicht, ihr Wissen außerhalb der Praxis einzusetzen. Unendlich viele Stellen stehen in der Industrie jedoch nicht zur Verfügung. „Außer mir sind noch vier weitere der insgesamt 350 Kollegen Zahnärzte“, sagt Dr. Constanze Bösel. Sie leitet den Professional Service eines Baden-Württemberger Dentalunternehmens und hält in dieser Funktion engen Kontakt zu den Hochschulen in Deutschland, der Schweiz und Österreich. Außerdem schult sie Außendienstmitarbeiter, betreut Förderprogramme sowie Studien und beantwortet wissenschaftliche Produktanfragen von niedergelassenen Zahnärzten und Hochschullehrern.

Praktische Erfahrung als Zahnärztin sammelte die 32-Jährige als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Charité, als Praxisvertretung und in einem der drei Untersucherteams, die für die DMS IV-Studie unterwegs waren. Eine eigene Praxis zu gründen, erschien Bösel nie als die für sie beste Möglichkeit, ihren Beruf auszuüben. „Ich behandele zwar gerne, aber den Kostendruck in den Praxen finde ich nicht besonders verlockend“, begründet sie ihre Entscheidung. Die Arbeit im Unternehmen entspreche auch ihrem Wesen: „Ich mag die Arbeit in einem großen Team und den engen Kontakt zu den Hochschulen. Eine Praxis kann mir das nicht bieten.“ Als Bindeglied zwischen Industrie und Kunden hat sie beides. Sie kann als Zahnmedizinerin in einem bundesweiten und internationalen Rahmen tätig sein. Für diesen Job muss man laut Bösel Inhalte gut präsentieren können und den Servicegedanken verinnerlicht haben. Auch entscheidend: Netzwerke aufbauen, denn Kontakte, so sagt sie, sind das A und O. Einen typischen Werdegang für Zahnärzte in der Industrie gibt es ihrer Ansicht nach nicht. „Es werden Kollegen aus allen Bereichen gebraucht.“

Diese Einschätzung teilt auch Prof. Dr. Jean- François Roulet. Er leitet seit vier Jahren die klinische Forschungsabteilung eines Liechtensteiner Dentalunternehmens. „Es gibt zum einen Stellen für die Behandlung von Patienten in der hausinternen Klinik. Gesucht werden auch erfahrene Forscher und Zahnärzte für das Produktmanagement mit businessorientierten Zusatzkenntnissen“, so der gebürtige Schweizer. Roulet selbst hat vor seinem Wechsel in die Industrie jahrzehntelang an Hochschulen gearbeitet. Zuletzt an der Charité in Berlin. „Das Angebot aus Liechtenstein war ein Lockruf, dem ich nicht widerstehen konnte“, erzählt der 58-Jährige. „Gar nicht so sehr aus finanziellen Gründen, sondern weil ich an der Universität immer mehr vom Forscher zum Verwalter des Mangels wurde.“ Angetreten sei er aber, um etwas zu bewegen – der Wechsel erschien ihm die besseren Perspektiven dafür zu bieten.

In der freien Wirtschaft zu arbeiten, empfindet Roulet nicht als Druck. Im Gegenteil: „Jeder Euro, der ausgegeben wird, muss vorher verdient werden. Das sorgt für klare Verhältnisse und eine effiziente, zielgerichtete Arbeitsweise.“ Auch die Wege seien in einem Unternehmen kürzer, so dass man Projekte schneller anstoßen könne. Ohne erst eine Flut von Anträgen zu bewältigen. Unter diesen Bedingungen bleibe ihm viel mehr kreative Energie für die zahnmedizinische Forschung. Für den Wissenschaftler besteht auch kein Interessenskonflikt zwischen ärztlicher Ethik und Wirtschaft: „Meine primäre Motivation ist es, Gutes für die Patienten zu erreichen. Und in meiner jetzigen Stellung habe ich mehr Möglichkeiten, dieses Ziel umzusetzen.“

Zu hoher Leidensdruck

Für einige Zahnärzte wiegen die systemischen Zwänge im Gesundheitswesen irgendwann so schwer, dass sie einen kompletten Ausstieg aus dem Beruf vorziehen. Für Dr. Jürgen Brater aus Aalen wurde der Leidensdruck nach über 20 Jahren in eigener Praxis zu hoch: „Die politische Entwicklung, die Einschränkungen, der Verwaltungsaufwand – das alles hat mir den Spaß an der Arbeit immer mehr vermiest.“ Grundsätzlich behandelte der Zahnarzt gerne, die Veränderungen im Gesundheitssystem – vor allem der zunehmende Zeitdruck – ließen bei ihm aber immer mehr Unzufriedenheit aufkommen: „Viele Patienten sind bekanntlich nervös oder sogar ängstlich vor der Behandlung.

Um richtig auf sie einzugehen, muss man sich Zeit nehmen. Die fehlte oft und das fand ich sehr frustrierend.“ 1996 verkaufte der damals 47-Jährige schließlich seine Praxis und fing neu an – in mehreren Jobs.

Sein Geld verdient Brater zum einen mit Artikeln für Abrechnungszeitschriften und Seminaren zu diesem Thema. Bis vor kurzem unterrichtete er außerdem Zahnmedizinische Fachangestellte. Am Abendgymnasium ist er Fachlehrer für Biologie. Der ehemalige Zahnarzt musste richtig büffeln, um sich in Bereichen wie Molekulargenetik oder Stammzellforschung auf den neuesten Stand zu bringen. Daneben fand er aber noch Zeit für einen vierten Job: als Buchautor.

Brater kann mittlerweile eine ansehnliche Liste von Veröffentlichungen vorweisen. Mehr als fünf Bücher hat er schon herausgebracht. Unter anderem das „Lexikon der rätselhaften Körpervorgänge“ oder „Biologie für den Laien“. In seinem neuesten Werk „Wir sind alle Neandertaler“ geht es um menschliche Verhaltensweisen, die auf unsere evolutionäre Entwicklung zurückzuführen sind.

Unterm Strich verdient der Aalener weniger, seit er seine Praxis aufgegeben hat. Trotzdem bereut er die Entscheidung nicht. „Ich glaube, es entspricht einfach meinem Naturell, viele verschiedene Jobs zu haben. Ich bin ein Typ Mensch, der die Abwechslung braucht.“ Er genießt es auch, seine Zeit freier einteilen zu können: „Wenn es sonntags mal regnet, setze ich mich an den Computer und schreibe. Dafür kann ich dann unter der Woche frei machen, wenn die Sonne scheint.“

Am Scheideweg

Für Dr. Anna Carls* aus Mecklenburg-Vorpommern gaben persönliche Gründe den Ausschlag, über einen Berufswechsel nachzudenken. Zehn Jahre lang war sie als angestellte Zahnärztin in verschiedenen Praxen beschäftigt. Als ihr letzter Arbeitgeber seine Praxis schließen musste, sah die 37-Jährige sich plötzlich an einem Scheideweg angekommen. „Ich fragte mich, warum ich mich noch nicht in eigener Praxis niedergelassen habe“, erzählt sie. Desinteresse an der zahnmedizinischen Arbeit war nicht der Grund. Die finanzielle Belastung durch eine Praxisgründung schon eher. Noch stärker wog aber die Versuchung, einem alten Berufswunsch nachzugehen: dem Schreiben. „Schon als Kind habe ich gerne geschrieben. Das war immer meine Methode, Dinge zu verarbeiten“, erinnert sich Carls. „Als Journalistin zu arbeiten, fand ich deshalb sehr reizvoll.“ Ihr gefiel auch der Gedanke, sich einer neuen Herausforderung zu stellen.

Anfang des Jahres hieß es schließlich: Jetzt oder nie. Seitdem versucht Carls, im Wissenschaftsjournalismus Fuß zu fassen. Als ersten Schritt in den neuen Beruf versucht sie, möglichst viele praktische Erfahrungen zu sammeln. Dabei kann die Einsteigerin auf ihre zahnmedizinischen Kenntnisse zurückgreifen. Für einen Medizinverlag schreibt sie Fortbildungsberichte und beim NDR-Gesundheitsmagazin „Visite“ hat sie ein Praktikum gemacht. Obwohl Carls noch in den Anfängen steckt, hat sie eines bereits erkannt: Wissenschaftsjournalismus ist ein hartes Brot. „Davon zu leben, ist extrem schwierig“, bestätigt Eva Kahlmann vom Magazin „Spektrum der Wissenschaft“. Grundsätzlich seien Redaktionen aber offen für Neulinge, die ein interessantes Thema hätten und gut schreiben könnten, fügt sie hinzu.

Wie schwierig es ist, sich als Autor zu etablieren, betont auch der Arbeitskreis Medizinpublizisten (AK MED). Über eines sollten sich angehende Journalisten im Klaren sein, heißt es auf dessen Homepage: „Ohne Lust am Schreiben und Ausdauer für komplizierte Sachverhalte geht es ebenso wenig wie mit der Hoffnung auf eine 38,5-Stunden-Woche.“ Carls ist sich all dieser Bedingungen bewusst – Angst oder Druck empfindet sie aber nicht. Falls der Versuch scheitert, kann sie sich eine Rückkehr in den Zahnarztberuf jederzeit vorstellen.

* Name von der Redaktion geändert.

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