Shared Decision Making in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde

Zahnärzte sind Vorreiter

pr
In Sachen Patientenbeteiligung spielt die Zahnmedizin vor allem in der Prothetik eine Vorreiterrolle. Mehr Wahlfreiheit und eine Bandbreite von Therapien öffnen dem Patienten neue Wege und stellen die Weichen für ein verändertes, weil souveränes Arzt-Patienten-Verhältnis. Wer sich eigenverantwortlich entscheiden soll, braucht verlässliche Informationen. Dazu gibt es in der Zahnärzteschaft eine breite Palette von Möglichkeiten.

Docterbest und Doktor-Implantat liefern sich ein Preisgefecht im Internet, um in Sachen Zahnersatz eine Behandlung zu ersteigern. Über Plattformen wie www.2te-zahnarztmeinung.de, www.zahngebot.de oder www.zep24.de stellen Patienten einen Heil- und Kostenplan ein, Zahnärzte können daraufhin ihre Behandlungsangebote abgeben; wer am wenigsten verlangt, erhält vom Patienten den Zuschlag. Stiftung Warentest legte sogar einen Testbericht für Auktionsportale für Zahnersatz vor (test, 6/2006). „Gesundheit unterm Hammer“, titulierte „Spiegel online“ (22.5.2006). Auch Ärzte- und Zahnärzteverbände laufen Sturm gegen eine solche Taktik, dort spricht man von Unseriosität und von „Geiz-ist-geil-Mentalität“ gegenüber dem eigenen Körper.

Kostentransparenz und Entscheidungshilfen für die Behandlung – das ist manchem Patienten ein großes Anliegen. Zumal die erweiterte Wahlfreiheit mit der Einführung befundbezogener Festzuschüsse bei Zahnersatz im Jahre 2005 neue Wege öffnet. Was das Bedürfnis des Patienten nach verlässlichen Informationen angeht, herrscht noch eine Menge Aufklärungsbedarf. BZÄK und KZBV ist es ein wichtiges Anliegen, dass Patienten hochwertige und kostenfreie Beratungsangebote bekommen, um den berechtigten Wunsch nach Entscheidungshilfen und Kostentransparenz zu erfüllen. Dabei gilt es, problematischen Entwicklungen, wie einer risikobehafteten Behandlung im Ausland oder Angeboten in Internetportalen, eine qualitativ hochwertige Alternative entgegenzusetzen. Die auktionsähnlichen internetbasierten Bieterbörsen sind berufsrechtlich kritisch zu sehen, weil die damit verbundene Reduzierung des Arzt-Patienten- Verhältnisses der Vergewerblichung des zahnärztlichen Berufes Vorschub leistet. Zudem gibt der mitsteigernde Zahnarzt ein Angebot ab, ohne den Patienten zu kennen oder ihn selbst untersucht zu haben – was medizinisch bedenklich ist.

Shared Decision Making (SDM) oder Partizipative Entscheidungsfindung (PEF; siehe dazu vorherigen Beitrag) spielt gerade in der Zahnmedizin in der Prothetik eine entscheidende Rolle. Der Grund: Die Zahn-, Mundund Kieferheilkunde ist – mehr noch als die Medizin - dadurch geprägt, dass es für eine Befundsituation beziehungsweise Diagnose verschiedene wissenschaftlich anerkannte Therapiemöglichkeiten gibt.

Ausdrücklich begrüßt

SDM wird von der Zahnärzteschaft als Ausdruck einer souveränen Zahnarzt-/Patientenbeziehung sehr begrüßt und gefördert. Zwar wurde diese Methode in der Zahnarztpraxis auch in der Vergangenheit schon praktiziert, erhält aber durch das Festzuschusssystem eine noch größere Bedeutung. Dreh- und Angelpunkt sind auch im zahnmedizinischen Bereich die verlässlichen Informationen. Dem Patienten steht eine breite Palette von Möglichkeiten zur Verfügung:

• Patienten- beziehungsweise Gesundheitsinformationen:

Dazu zählen allgemeine Informationen in schriftlicher oder elektronischer Form, die im besten Fall qualitätsgesichert und möglichst auch evidenzbasiert sind. Im zahnärztlichen Bereich bieten BZÄK, KZBV, die Landeskammern und KZVen oder die wissenschaftlichen Fachgesellschaften Hilfestellung.

• Individuelle Beratung beim Zahnarzt:

Das individuelle Arzt-Patientengespräch ist sehr komplex und kann durch eine allgemeine Patientenberatung nicht aufgefangen werden. Dazu zählt die Aufklärung über Befund und Diagnose und die Prognose der Krankheit, die Therapieaufklärung mit den möglichen Alternativen, die Aufklärung über mögliche Risiken sowie über die anfallenden Behandlungskosten.

• Patientenberatungsstellen:

Die Zahnärztekammern und KZVen haben bundesweit ein flächendeckendes Netz von Patientenberatungsstellen eingerichtet, das zum Teil in Zusammenarbeit mit Verbraucherzentralen oder anderen unabhängigen Beratungsstellen funktioniert. Hier besteht für den Patienten die Möglichkeit, telefonisch oder auch persönlich entsprechende Informationen durch Zahnärzte und Mitarbeiter der Kammern und KZVen zu seiner zahnärztlichen Versorgung zu erhalten.

• Patientenhotline:

Die BZÄK bietet eine bundesweite Patientenhotline an (siehe Kasten).

Zweitmeinung und Zweite Meinung

Hinzu kommen Möglichkeiten, das Zweitmeinungsmodell der KZBV in Anspruch zu nehmen, sich eine Zweite medizinische Meinung einzuholen, eine Begutachtung zu veranlassen oder im Streitfall die Schlichtungsstelle der Zahnärztekammer einzuschalten.

Wichtig ist, hier zwischen dem Zweitmeinungsmodell der KZBV zur Festzuschussberatung und der Zweiten medizinischen Meinung, also der Abklärung einer medizinischen Entscheidungssituation bei schwerwiegenden Eingriffen oder vor einer kostenintensiven Behandlung, zu unterscheiden. Dies sind Dinge, die in der Öffentlichkeit immer wieder vermischt werden. Klärung bietet eine gemeinsame Stellungnahme von BZÄK und KZBV, die unter Federführung des BZÄK-Vizepräsidenten Dr. Dietmar Oesterreich und des stellvertretenden KZBV-Vorsitzenden Dr. Wolfgang Eßer erarbeitet wurde und die in Kürze auch auf den Internetseiten von BZÄK und KZBV erscheinen wird.

• Zweitmeinungsmodell:

Das Zweitmeinungsmodell der KZBV erweitert das Patientenberatungsangebot insbesondere zur Zahnersatzversorgung vor dem Hintergrund des Festzuschusssystems. Dazu bieten die Patientenberatungsstellen von Kammern und KZVen fachlich fundierte Beratung zu Heil- und Kostenplänen an. Diese Initiative dient als sachliche Entscheidungshilfe für Patienten, die zum Thema Zahnersatz Bedarf an zusätzlichen Informationen haben. Die Beratung erfolgt mündlich durch speziell geschulte Zahnersatzgutachter und Kombigutachter der Kammern und KZVen, wobei in der Regel keine nochmalige Befunderhebung beziehungsweise Diagnostik durchgeführt wird.

• Zweite medizinische Meinung:

Von der Zweitmeinung ist die Zweite medizinische Meinung zu unterscheiden. Der Patient hat das Recht, sich zur Abklärung einer schwierigen medizinischen Entscheidung eine weitere Meinung einzuholen. Sie kann nur von einem Fachmann (Arzt oder Zahnarzt) erfolgen und dient der Abklärung einzelner Fragen oder bezieht sich auf die Absicherung der diagnostischen und therapeutischen Entscheidung des ersten Zahnarztes. Voraussetzung für die Entscheidungsfindung ist eine ausführliche Befunderhebung und Diagnostik. Aufgrund fachwissenschaftlicher Erkenntnisse sind hier die Möglichkeiten in den letzten Jahren stark gestiegen. Zu verweisen ist dabei auf das System der Neubeschreibung der präventionsorientierten Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, wo in eine Basis- sowie in eine erweiterte Untersuchung und Befunderhebung unterschieden wird. Wichtig für die Therapieentscheidung sind außerdem verhaltensdiagnostische Erkenntnisse sowie die extraorale und intraorale Befunderhebung. Am Ende dieses Prozesses steht die neue Diagnose- und Therapieplanung – die entweder die erste Meinung bestätigt oder in einen unterschiedlichen Vorschlag münden kann.

• Gutachterwesen und Schlichtungsstellen:

Zahnärztekammern und KZVen bestellen besonders qualifizierte erfahrene Zahnärzte zu Gutachtern. Mit Zahnärzten und Juristen besetzte Schlichtungsstellen vermitteln im vorgerichtlichen Streitfall zwischen Patient und Zahnarzt. Hochschullehrer und erfahrene Zahnärzte stehen als Sachverständige darüber hinaus bei Gericht zur Verfügung. pr

Lesetipp: Im Zahnärzteblatt Baden-Württemberg (6/2006) ist ein Titelschwerpunkt zum Thema Patientenmitentscheidung erschienen.

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