Zahnersatz aus dem Ausland

Die Mär vom Schnäppchen-Markt

Günstige Preise für Zahnersatz jenseits der Grenzen – für so manchen Patienten scheint sich hier ein lukrativer Schnäppchen-Markt aufzutun. Und immer wieder ist Polen im Gespräch. Doch was rechtlich machbar ist und einfach klingt, wirft noch ganz viele ungeklärte Fragen auf. Der Patient ist gut beraten, sich vorher über alles Für und Wider gründlich zu informieren, um dann eigenverantwortlich seine Entscheidung zu treffen. Und für Zahnärzte gilt: Der Wettbewerb wird schärfer. Gut fährt, wer sich rechtzeitig darauf einstellt.

„Beste Qualität – beste Preise – jeden Tag offen – 24 Stunden lang“: In Mecklenburg-Vorpommern werben polnische Zahnärzte aggressiv per Internet oder Zeitungsanzeige für eine vermeintliche Dumping-Zahnbehandlung in ihrem Land. Diverse Printmedien, wie Flyer oder Broschüren, liegen beim Bäcker, am Kiosk oder in der Tankstelle aus, um Patienten zum Zahnarzt über die Grenze zu locken. Die örtlichen Zeitungen führen mit einer undifferenzierten Berichterstattung Patienten in die Irre mit potenziellen Zahnbehandlungs- Schnäppchenangeboten im Nachbarland. Dr. Hannjo Badzio, Zahnarzt in Wilhelmsburg nahe der polnischen Grenze, wird in seiner Praxis häufig mit diesen Themen konfrontiert. Er muss bei verunsicherten Patienten, die ihn wegen einer Zahnbehandlung in Polen um Rat fragen, viel Aufklärungsarbeit leisten.

Versachlichung und Aufklärung – das ist der Zahnärztekammer Mecklenburg-Vorpommern ein wichtiges Anliegen, wenn es um das Thema Zahnersatz aus Polen geht.

Viele offene Fragen

Zahnersatz aus dem Ausland: Das Thema wirft viele offene Fragen auf. Zu unterscheiden ist zwischen Labortourismus (Zahnarzt lässt Zahnersatz im Ausland fertigen) und Zahn-Reisetourismus (Patient reist ins Ausland, um sich dort zahnmedizinisch behandeln zu lassen). Was den Labortourismus angeht, so ist in den letzten Jahren verstärkt ein Trend festzustellen, dass Zahnersatz zu günstigeren Preisen im Ausland gefertigt wird, um dann hier zu Lande dem Patienten eingegliedert zu werden. Im Zuge der Etablierung des neuen Festzuschuss-Systems ist davon auszugehen, dass sich dieser Trend noch verstärken kann.

Beim Zahn-Reisetourismus muss unterschieden werden zwischen dem „kleinen Grenzgänger“ vor Ort, der regelmäßig zur Zahnbehandlung nach Polen fährt, und dem Touristen, der sich während eines Urlaubs sozusagen in einem Rutsch die Zähne richten lässt.

Bei all diesen Szenarien stellen sich Fragen nach Gewährleistungs- und Haftungsansprüchen und nach Qualitätsstandard. Gerade in diesem Bereich tauchen häufiger Probleme auf, jedoch existieren inzwischen Modelle auf dem Markt, die genau diese Problematik aufgreifen und die über Kooperationen in Deutschland auch deutsche Standards für den Patienten umsetzen. Ein weiteres sensibles Feld sind Fragestellungen nach der Compliance des Patienten und nach dem vertrauensvollen Zahnarzt-Patienten-Verhältnis als Basis für die Behandlung.

Bei umfangreichen und aufwändigen Therapien mit Zahnersatz und insbesondere mit Implantaten scheint der Kostenvorteil auf den ersten Blick zwar sehr verlockend. Aber gerade bei diesen Behandlungen ist eine entsprechende Vorbehandlung und intensive Nachsorge notwendig. Und sollten Nachbehandlungen anfallen, die ein Behandler über einen festgelegten Zeitraum kostenfrei zu erbringen hat, so werden die hiesigen Zahnärzte Nachbesserungen sicher nicht zum Nulltarif leisten. Hinzu kommen Reiseund Aufenthaltskosten, die zur eigentlichen Zahnbehandlung dazugezählt werden müssen. Auch mit Sprachproblemen ist zu rechnen. Bei Klagefällen ist das Gericht am Sitz des Zahnarztes im Ausland zuständig.

Interessant ist eine Untersuchung der Stiftung Warentest („Test“, 6/2005), die ergab, dass in Polen und Deutschland von Zahnärzten zum Teil sehr unterschiedliche Therapievorschläge gemacht wurden, bis hin zu der Tatsache, dass polnische Zahnärzte vergleichbare Leistungen nicht immer preiswerter als in Deutschland anbieten.

„Zumindest ist es nicht das zahnärztliche Honorar, bei dem die Kosten zu Buche schlagen, sondern vielmehr die Material- und Laborkosten. Und deren Höhe liegt in der Verantwortung der Zahntechniker “, erklärt Dr. Jürgen Fedderwitz, Vorsitzender der KZBV. Der Patient gehe ins Ausland wegen des Spareffekts. Von daher müssten materielle Anreize für ihn vor allem vom zahntechnischen Bereich ausgehen. Ein Schulterschluss der Zahntechniker mit der Zahnärzteschaft bezüglich Einsparungen an Material- und Laborkosten wäre wünschenswert, zumal das zahnärztliche Honorar nicht der kostentreibende Faktor sei. Das lasse sich auch international belegen.

 Dass sich das deutsche Honorar in der zahnmedizinischen Versorgung im Vergleich von sieben Ländern im europäischen Mittelfeld bewegt, zeigt auch eine Studie des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDS) aus dem Jahr 2000 („Preisvergleiche zahnärztlicher Leistungen im europäischen Kontext EURO-Z“, IDZ-Information 1/2000). Der prozentuale Anteil des zahnärztlichen Honorars in Relation zu den Material- und Laborkosten ist in Deutschland recht gering. Beispielsweise liegen Dänemark und Frankreich an der Spitze und Großbritannien und Ungarn am Ende der Honorarskala.

Grenzübergreifend

Grundsätzlich sind dem Zahntourismus rechtlich Tür und Tor geöffnet. Mit Urteil vom 13. Mai 2003 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass der Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs nationale Regelungen verbietet, nach denen eine ambulante Versorgung, die in einem Mitgliedsstaat der EU erfolgt, von einer vorherigen Genehmigung erforderlich gemacht wird. Der deutsche Gesetzgeber hat daraufhin im GKVModernisierungsgesetz (GMG) diese Maßgaben umgesetzt und die Kostenerstattung für die im EU-Ausland in Anspruch genommene Behandlung geregelt. Damit ist im Prinzip eine ambulante zahnärztliche/ärztliche Behandlung im europäischen Ausland für GKVPatienten nun jederzeit ohne vorherige Genehmigung gegen Kostenerstattung durch die eigene gesetzliche Krankenkasse möglich. Weitere Relevanz erhielt dieser Bereich durch die EU-Ost-Erweiterung zum 1. Mai 2004.

„Wir kennen die Situation vom kleinen Grenzverkehr etwa zu den Niederlanden, Österreich, oder der Schweiz. So gesehen ist das, was sich derzeit an der deutsch-polnischen Grenze abspielt, nichts Neues“, betont KZBVChef Fedderwitz. „Wir Zahnärzte stellen uns dem verstärkten Wettbewerb. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir gut heißen können, wenn massiv GKV-Gelder aus dem deutschen System abgezogen und ins Ausland getragen werden. Gegen solche Modelle verwehren wir uns.“

Knackpunkt: Heil- und Kostenplan

Bundeszahnärztekammer und Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung raten Patienten an, sich ausgiebig zu informieren, bevor sie sich für Zahnbehandlungen im Ausland entscheiden. Sie empfehlen, vor einer Behandlung einen Heil- und Kostenplan beziehungsweise eine Gebührenvorausberechnung durch den Zahnarzt erstellen zu lassen. Das Sozialgericht Siegen stellt sogar fest, dass ein Heil- und Kostenplan zwingend vorzulegen ist, da die Krankenkasse sonst keine Möglichkeit hat, die Notwendigkeit der Behandlung zu prüfen. Dieser sollte dann mit der gesetzlichen Krankenkasse abgeklärt werden, um die Höhe der selbst zu tragenden Kosten zu ermitteln. Zu Hause erstatten die Krankenkassen zwar die Kosten – allerdings nur für die Behandlungen, die auch in Deutschland erstattet werden und nur bis zu der Höhe, die auch im Inland übernommen wird.

Die KZBV hat, was den Umgang mit Heil- und Kostenplänen angeht, in einem Schreiben an die KZVen zu einigen rechtlichen Fragestellungen klärend Stellung bezogen. Rechtlich sei es möglich und nicht zu verhindern, dass ein GKV-Versicherter ohne die Abgabe besonderer Erklärungen einen Heil- und Kostenplan bei einem Vertragszahnarzt erstellen lässt, um ihn dann bei einem anderen Vertragszahnarzt oder im EU-Ausland durchführen zu lassen. Der Heil- und Kostenplan ist kostenfrei. Anders sieht es aus, wenn der Versicherter explizit erklärt, er benötige den Heil- und Kostenplan für eine Behandlung im EU-Ausland. Hierbei, so die KZBV, ziele die Erstellung von vornherein nicht auf die Durchführung im Rahmen der vertragszahnärztlichen Versorgung ab. Die Kostenerstattung beziehe sich auf eine Leistung außerhalb des Systems, deswegen stehe es dem Vertragszahnarzt frei, eine derartige Behandlungsplanung vorzunehmen und dieses dem Versicherten privat in Rechnung zu stellen.

Die Entscheidung liegt jedoch eigenverantwortlich beim – hoffentlich gut informierten – Patienten. Eine wachsende Bedeutung kommt deshalb neutraler und fachkompetenter Patientenberatung sowie der Etablierung von Zweitmeinungsmodellen zu. So hat die KZBV auf ihrer letzten Vertreterversammlung auf Initiative des stellvertretenden Vorsitzendem Dr. Wolfgang Eßer beschlossen, sich dafür einzusetzen, bei den KZVen bundesweit Zweitmeinungsmodelle einzuführen. „Nicht zuletzt vor dem Hintergrund zunehmender Werbeinitiativen und unseriöser Angebote von Internetbörsen wollen wir neutrale Anlaufstellen für alle die Patientinnen und Patienten schaffen, die Informationsbedarf zum Zahnersatz und zu den Festzuschüssen haben“, betonte Eßer in einem Interview im Rheinischen Zahnärzteblatt (RZB 3/2006).

Dr. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer, hatte auf der letzten Koordinierungskonferenz der Patientenberatungsstellen der Länderkammern und KZVen die Bedeutung von Patientenberatung und zweiter Meinung sehr differenziert dargestellt. Vor allem gehe es darum, die Beziehung von Zahnarzt und Patient zu stärken. „Im Ergebnis der Bewertung der Befunde und der daraus gestellten Diagnose können nicht zuletzt auf Grund der unterschiedlichen Erfahrungen des Behandlers mit den Therapiemethoden und zahnmedizinischen Technologien unterschiedliche Lösungsvorschläge resultieren. Außerdem ist die Compliance (Verhaltensanamnese) und Erwartungshaltung des Patienten, die nicht aus einer Momentaufnahme zuverlässig beurteilt werden kann, von entscheidender Bedeutung für die Therapiefestlegung. Eine zweite Meinung kann somit nur im unmittelbaren Verhältnis zwischen Arzt/Zahnarzt und Patient erstellt werden.“ Wer eine zweite Meinung abgebe, müsse sich über diese komplexen Prozess bewusst sein. Zweitmeinungsmodelle, die diese Aspekte nicht beachten, würden von der Bundeszahnärztekammer abgelehnt. Die Propagierung von Zahnbehandlung im Ausland lasse die aufgezeigten Erkenntnisse aus Wissenschaft und Soziologie außer Acht.

AOK-Vertrag mit Polen

Die „Dritten“ aus Polen – mit diesem Modell kam im Sommer 2005 die AOK Brandenburg auf den Markt. Sie ermöglicht ihren Mitgliedern, Zahnersatz dort machen zu lassen. Der AOK-Patient vereinbart über das Unternehmen Medpolska, mit dem die AOK einen Vertrag hat, einen Termin bei einem Zahnarzt in Polen. Medpolska ist eine Tochter des deutschen Medizin- Dienstleisters Medent, München. Sieben Praxen entlang von Oder und Neiße haben sich dem Projekt angeschlossen. Der polnische Zahnarzt erstellt für den Patienten einen Heil- und Kostenplan, den Medpolska der AOK zur Genehmigung einreicht. Damit fährt der Patient zum polnischen Zahnarzt, dort zahlt er zum Abschluss der Behandlung den Eigenanteil, sofern er anfällt. Beim ersten Zahnarztbesuch in Polen werden auch die zehn Euro Praxisgebühr fällig. Der Zahnarzt rechnet über Medpolska mit der AOK ab.

Das Projekt sorgte in der Presse für viel Furore, Printmedien, Radio und Fernsehen berichteten ausführlich. Die intensive AOK-Werbung, beispielsweise im Hörfunk, führte zu einer erheblichen Verunsicherung der Patienten. Die KZBV sieht das Projekt der AOK Brandenburg kritisch. Mit massiver Kritik reagierten auch die brandenburgischen Zahnärzte auf das Projekt. Es sei „medizinischer, ökonomischer und politischer Unfug“. Gerhard Bundschuh, Vorstandsvorsitender der KZV und Jürgen Herbert, Präsident der Landeszahnärztekammer Brandenburg, wandten sich in einem offenen Brief an Ministerpräsident Matthias Platzeck. Sie wiesen darauf hin, dass Zahnersatz immer in den gesamten Kontext einer Behandlung gehöre, dies bedürfe einer intensiven Vorbereitung und ständigen Nachsorge. Das sei aber nur gewährleistet, wenn die gesamte Behandlung in einer Hand bleibe. „Eine handwerkartige Herstellung von Zahnersatz, wie von der AOK angeboten, hat mit moderner Medizin nichts zu tun und schädigt auf längere Sicht die Zahngesundheit insgesamt.“ Bundschuh und Herbert befürchten, dass zahlreiche Arbeitsplätze im mittleren zahnmedizinischen Bereich und im Laborbereich gefährdet sein könnten, falls das AOK-Angebot weiter Schule machen sollte.

Jetzt, rund ein Dreivierteljahr nach der Einführung, hat sich bereits gezeigt, dass das Projekt der AOK Brandenburg nicht gerade der Renner ist. Nicht einmal 100 Behandlungsfälle lägen vor, wie Jürgen Herbert berichtet. Der Landeszahnärztekammer seien im letzten halben Jahr unverhältnismäßig viele Mitteilungen über Behandlungsfehler zur Kenntnis gegeben worden. Kritisch geht er mit dem Argument der AOK um, dass mit dem Projekt Gelder für das Gesundheitswesen gespart würden. Eine solche Denke sei scheinheilig, da die AOK größtenteils Härtefälle nach Polen schicke, den Profit der günstigeren Behandlung trage also die Kasse selbst davon.

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