Der Wandel bei den Lebensversicherungen

Fairplay gefordert

Die knappe Hundertschaft der Lebensversicherer steht mal wieder im Scheinwerferlicht. Sie offenbart ihren Kunden, dass die Renditen sinken und der Garantiezins wackelt. Gleichzeitig will die Regierung sie zu mehr Freundlichkeit gegenüber den Verbrauchern verdonnern.

Wer hätte das gedacht? Die große Koalition unter der Führung von CDU-Kanzlerin Angela Merkel macht der mächtigen Assekuranz das Leben schwer. Justizministerin Brigitte Zypries gießt nun endlich die Vorgaben von EU und Gerichten in Gesetzesformen. Das knapp 100 Jahre alte Versicherungsvertragsgesetz (VVG) wird renoviert. Der Druck, den der Bund der Versicherten und die Verbraucherschützer auf die Unternehmen der Versicherungsbranche ausüben, zeigt Wirkung.

Die Europäische Union, das Bundesverfassungsgericht und der Bundesgerichtshof setzten sich vehement für die Rechte der Versicherten ein. Doch leider kam der lautstarke Trommelwirbel bei den Betroffenen bislang nur als ein kleines Säuseln an, weil die Unternehmen der Versicherungswirtschaft sich sehr schwer tun, die Vorgaben umzusetzen.

Eine EU-Richtlinie vom 15. Januar 2005 schreibt vor, dass Versicherungskunden in Zukunft besser vor Beratungsfehlern der Versicherungsvertreter geschützt werden sollen. Erreichen wollen die Eurokraten, dass die Vermittler sich registrieren lassen, eine Qualifikation nachweisen, ihre Beratung schriftlich dokumentieren und letztendlich für ihre Beratungsfehler haften. Bis jetzt ist diese Vorgabe nicht in deutsches Recht umgesetzt worden. Die alte Regierung schob das Vorhaben auf die lange Bank und die neue Mannschaft in Berlin fand erst jetzt Zeit dazu, sich Gedanken über eine Gesetzesänderung zu machen. Bis sie in die Praxis umgesetzt wird, dürfte es noch ein Weilchen dauern. Noch liegt es also an den Kunden selbst, darauf zu achten, dass sie qualifiziert beraten werden. Von den derzeit 407 000 Versicherungsvermittlern betreiben 320 000 die Beratung als Nebenjob. 79 000 sind Profis und rund 8 000 arbeiten als selbständige Makler. Zurzeit gilt die Devise der Umsichtigen: Wer sich versichern will, erkundigt sich erst nach der Qualifikation des Beraters, bevor er seine Unterschrift unter einen Vertrag setzt.

Zum Wohle des Kunden

Zum Wohl der Kunden entschied im vergangenen Jahr das Bundesverfassungsgericht (BVG). Es verlangte mehr Klarheit in den Versicherungsbedingungen und mehr Transparenz bei den erwirtschafteten Überschüssen.

Die Richter des Bundesgerichtshofs (BGH) unterstützten im Herbst diese Entscheidung und verlangten gerechtere Rückkaufwerte für die Kunden. Damit ist der Betrag gemeint, den ein Kunde erhält, wenn er seine Lebensversicherung vor Ablauf des Vertrages kündigt. Er setzt sich zusammen aus der Summe der eingezahlten Beiträge abzüglich der Abschlusskosten, Risikoprämien und Stornogebühr. Der Rückkaufwert steigt im Lauf der Zeit und mit der Höhe der eingezahlten Beiträge.

In den ersten Jahren bleibt – bisher noch – von den eingezahlten Spargroschen so gut wie nichts übrig. Denn die Versicherer dürfen ihre Kosten und die Provisionen der Vertreter noch komplett von den ersten Jahresbeiträgen abziehen. Viele Kunden, die ihren Vertrag während dieser Phase kündigten und das Ersparte woanders anlegen wollten, guckten in die Röhre: Das Guthabenkonto war leer. Dem BGH erschien diese Handlungsweise als sehr ungerecht und entschied, dass den Kunden bei vorzeitiger Kündigung des Vertrags mindestens 40 Prozent der eingezahlten Beiträge zustehen. Die Unternehmen müssen nun ihre Kosten eben über längere Zeit verteilen.

Nachzuzahlen

Anspruch auf Nachzahlungen haben rund 7,5 Millionen Kunden, die zwischen 2000 und 2001 ihre Verträge gekündigt haben. Tatsächlich gemeldet hatten sich bis Ende November letzten Jahres aber nur 25 000 Berechtigte. In vielen Fällen mauern die Versicherer und versuchen, auf Zeit zu spielen. Schon jetzt hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Ba- Fin) gedroht einzuschreiten, falls die Gesellschaften die Auszahlungen weiter verzögern.

Der Gesetzesvorschlag von Justizministerin Brigitte Zypries soll nun für mehr Klarheit sorgen. EURichtlinie und Gerichtsurteile finden in dem Katalog ihren Niederschlag. Die Änderungen beschränken sich nicht auf die Lebensversicherung: Bei den Neuerungen geht es vor allem darum, dass die Kunden vor dem Abschluss eines Vertrages qualifizierter über die Bedingungen aufgeklärt werden. Der Vollständigkeit halber werden hier alle Neuerungen aufgeführt. Die folgenden Punkte betreffen Versicherungsverträge im Allgemeinen.

Bessere Beratung

Die Versicherer beziehungsweise die Vermittler müssen zukünftig verständlich erklären und informieren, und zwar bevor der Vertrag abgeschlossen wird. Alle Absprachen zwischen Kunde und Vertreter werden schriftlich festgehalten. Der Versicherte legt dieses Dokument zu den Akten, damit er später nachweisen kann, wenn die Gesellschaft Versprechen nicht einhält.

Policenmodell

Bisher verläuft der Abschluss einer Versicherung so: Der Kunde unterschreibt den Vertrag und bekommt die Unterlagen und die Bedingungen später zugeschickt, wenn der Vertrag schon läuft. Diese Regelung gilt in Zukunft nur noch, wenn der Kunde dies ausdrücklich wünscht und schriftlich erklärt. Für ihn besteht dann Handlungsbedarf, wenn er einen sofortigen Versicherungsschutz braucht. Ansonsten gilt der Vertrag erst dann, wenn der Kunde alle Unterlagen beisammen hat.

Anzeigepflichten

Der Kunde, der einen Vertrag über eine Versicherung abschließen will, braucht nur die schriftlichen Fragen zu beantworten. Dadurch ist er bei einem späteren Schadensfall besser geschützt als heute. Verschweigt er etwa beim Abschluss einer Hausratsversicherung, dass sich im Erdgeschoss eine Praxis befindet und bei ihm wird eingebrochen, würde die Versicherung nach altem Recht vielleicht die Erstattung verweigern, weil Fremde sich theoretisch leicht hätten Zugang zu Haus und Wohnung verschaffen können. Geht es nach Justizministerin Zypries, muss die Gesellschaft zahlen, wenn sie es versäumt hat, sich im Fragebogen nach Gewerbebetrieben im Haus zu erkundigen.

Widerrufsrecht

Ohne Angabe von Gründen dürfen Versicherte ihre Verträge demnächst innerhalb von zwei Wochen (bei Lebensversicherungen sind es 30 Tage) widerrufen, und zwar unabhängig davon, ob sie bei einem Vermittler, Vertreter, Makler oder bei einer Bank ihre Unterschrift geleistet haben.

Gerechterer Interessenausgleich

Bisher bekommt der Kunde bei einem Schadensfall entweder die volle Entschädigung oder nichts. Trifft ihn nur wenig Schuld, bekommt er die volle Summe. Führt er einen Schaden grob fahrlässig herbei, geht er leer aus. Zum Beispiel: Der Versicherte renoviert sein Haus und baut deshalb ein Gerüst auf. Nachts brechen Diebe ein und entwenden wertvollen Schmuck. Für die Versicherung trifft den Kunden derzeit die volle Schuld, er geht leer aus. In Zukunft jedoch soll ihm ein Teil der Entschädigung zustehen, je nachdem wie hoch sein Schuldanteil ist.

Die Urteile von BGH und BVG verlangten ebenfalls Änderungen bei den Bedingungen für die Lebensversicherungen. Auch sie sollen in Zukunft verbraucherfreundlicher gestaltet werden:

Anspruch auf Überschussbeteiligung

Wer sein Geld in eine Kapital bildende Lebensversicherung anlegt, hofft am Ende der Laufzeit auf möglichst große Erträge. Grundsätzlich versprechen die Gesellschaften den garantierten Zins. Der liegt zurzeit für Neuabschlüsse bei 2,75 Prozent. Was die Unternehmen darüber hinaus mit den Beiträgen ihrer Kunden erwirtschaften, schreiben sie als Überschussbeteiligung gut. Anspruch hat der Kunde darauf keinen, und er weiß auch nicht, wie viel die Versicherung vom Gewinn in die stillen Reserven, also ihr eigenes Sparschwein steckt und wann sie es schlachten wird. Künftig werden die Reserven dem einzelnen Kunden zugeordnet und dieser weiß dann, wie hoch sein Anteil ist.

Auflösung von Lebensversicherungen

Hier hat die Justizministerin sich das BGH-Urteil zu Herzen genommen. Statt um die Höhe von Rückkaufwerten zu streiten, soll es bald einheitliche Regeln für deren Berechnung geben. Beispielsweise sollen demnächst die Kosten für die Vertreterprovision über fünf Jahre verteilt werden.

Transparenz bei Abschlussund Vertriebskosten

Dieser Punkt wird dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gerecht. Die Versicherer müssen in Zukunft ihre Kosten offenlegen. Die Verbraucher können dann vergleichen, welches Angebot für sie das günstigste ist.

Die Verbraucherschützer reagierten begeistert auf die Vorschläge aus Berlin. Wolfgang Scholl vom Bundesverband der Verbraucherzentralen meinte gegenüber der Financial Times: „Sie enthalten viele positive Dinge, die wir schon lange fordern. Die Position der Kunden wird deutlich gestärkt.“ Die Versicherungsgesellschaften zeigten sich naturgemäß reserviert. Was die Transparenz angeht, geben sie sich aber einsichtig. Für den 1. März 2006 kündigten sie eine Erklärung an. Die Ministerin rechnet damit, dass das Gesetz 2008 in Kraft tritt.

Eher ärgerlich für die Kunden der Lebensversicherer entwickelt sich hingegen die Höhe der Gewinnbeteiligung. Eine Umfrage des Wirtschaftsmagazins Capital und der Ratingagentur Assekurata ergab eine durchschnittliche Verzinsung der Kapitallebens- und Rentenversicherungen von 4,2 Prozent im Jahr 2006. Die Tendenz zeigt klar nach unten. Zwei Drittel der 80 Gesellschaften, die an der Umfrage teilgenommen haben, halten ihre Leistungen. Der Rest kürzt die Gewinnbeteiligung. Bis das neue Gesetz in Kraft getreten ist, wissen die Kunden zwar etwas über die Höhe der Überschussbeteiligung, mit der die Unternehmen den Garantiezins aufstocken. Doch wieviel die anfallenden Kosten für Verwaltung und Risikoschutz schlucken, bleibt bis dahin ein Geheimnis der Assekuranz. Angeblich sind es zurzeit von 100 Euro Monatsbeitrag 25 Euro. Nur der Sparanteil von 75 Euro wird verzinst.

Die Höhe der Gewinnbeteiligung legen die Versicherer jedes Jahr aufs Neue fest. Sie setzt sich zusammen aus dem garantierten Zins und der Überschussbeteiligung. Die Höhe des Garantiezinses richtet sich nach dem Zeitpunkt, zu dem der Vertrag abgeschlossen wurde. (Siehe zm-Info). Bleibt von den Rücklagen für Risiko- und Verwaltungskosten etwas übrig, fließt diese Summe auch in den Gewinn ein. Kunden, die alte Verträge haben, profitieren von den guten Erträgen der vergangenen Jahre.

Unter der Lupe

Zurzeit erwirtschaften die Gesellschaften nur magere Erträge. Manche von ihnen haben sogar Probleme, den garantierten Zins aufzubringen. Die Gründe liegen in der Art, wie die Unternehmen die Kundengelder am Kapitalmarkt anlegen. Die meisten Versicherer halten ihren Aktienanteil nach den Erfahrungen am Neuen Markt klein. Deshalb profitieren sie nur wenig von den derzeit steigenden Kursen vor allem an der deutschen Börse. Nur der Branchenriese Allianz kann seinen Kunden dank des größeren Aktiendepots eine höhere Rendite zahlen als die Konkurrenz. Ein so großes Engagement in Aktien können sich nur Unternehmen leisten, die über ausreichende finanzielle Polster verfügen. So verlangt es seit 2003 die BaFin.

Dank der niedrigen Zinsen werfen die Investitionen in festverzinsliche Wertpapiere wie Anleihen nur wenig Profit ab. Viele Versicherungen haben große Teile ihres Kapitals in Immobilien gesteckt. Doch gerade deutsche Büropaläste sind derzeit deutlich weniger wert als noch vor wenigen Jahren, so dass deren Wert in den Bilanzen herabgesetzt werden muss. Rund 11,5 Milliarden Euro stecken in Spezial-Immobilienfonds, die speziell für Unternehmen gedacht sind. Und gerade diese Fondsart steht in Deutschland zurzeit unter Beschuss. Da verwundert es nicht, dass die BaFin ab März auch die Immobilienbestände der Versicherungen unter die Lupe nehmen will. Die Anstalt hat aus den Erfahrungen der Vergangenheit gelernt. Sie will testen, ob die Versicherer in der Lage sind, bei fallenden Aktienkursen und Wertverfall bei Immobilien den garantierten Zins zu zahlen.

Um diese Probleme klein zu halten, locken die Versicherer ihre Kunden zunehmend in fondsgebundene Policen. Dabei wandern die Beiträge nicht in Anlagen wie Aktien, Anleihen und Immobilien, sondern ausschließlich in Investmentfonds. Einen Garantiezins gibt es für diese Verträge nicht. Das Risiko bleibt also beim Kunden.

Gefahr für die Erträge aus den Lebensversicherungen droht noch von einer anderen Seite. Die Gesellschaften wollen in Zukunft ihre Aktionäre besser bedienen und einen größeren Teil ihrer Gewinne als Dividende ausschütten. Zurzeit schreibt das deutsche Gesetz noch eine 90- prozentige Ausschüttung vor. Die hiesige Assekuranz drängt auf eine Anpassung an die 80- Prozent-Regel wie sie im Ausland üblich ist.

Zu schaffen macht der Versicherungswirtschaft die steigende Lebenserwartung der Deutschen. Diese Entwicklung trifft neben der staatlichen Rente auch die private Rentenversicherung. Bei dieser Form der Lebensversicherung zahlt die Gesellschaft am Ende der Laufzeit statt einer einmaligen Summe das Kapital in Form einer lebenslangen Rente aus. Seit dem 1. Januar 2005 gelten neue Basisdaten – im Fachjargon Sterbetafel genannt – für die Kalkulation der privaten Rentenversicherung. Danach werden heute 65 Jahre alte Männer 89 Jahre alt und Frauen 92 Jahre. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Das Statistische Bundesamt rechnet mit einer Lebenserwartung bei Männern von 81 und bei Frauen von 85 Jahren. Die Versicherer glauben aber, dass Kunden, die sich eine private Rentenversicherung zulegen, besser verdienen, mehr auf ihre Gesundheit achten als andere und deshalb länger leben. Um die längere Rentenzahlung zu finanzieren und zudem den garantierten Zins halten zu können, werden die Renten wahrscheinlich stagnieren oder sogar sinken.

Das ist besonders ärgerlich für diejenigen, die sich für eine Rentenpolice entschieden haben, weil für die Kapitallebensversicherung der Steuervorteil – die Erträge müssen künftig voll versteuert werden – weggefallen ist. Von den Renten hingegen, die ein 65-Jähriger kassiert, müsste er nur den Ertragsanteil von 18 Prozent versteuern, respektive mit zunehmendem Alter noch niedriger. Wer gut verdient und sich zusätzliche Einnahmen fürs Alter verschaffen will, ist mit einer privaten Rentenversicherung besser bedient als mit einer klassischen Lebensversicherung. Allerdings: Zu hohe Erwartungen an Gewinne darf er nicht haben.

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