Wilhelm Conrad Röntgen (1845-1923)

Die Entdeckung der X-Strahlen

202337-flexible-1900
Heftarchiv Gesellschaft
Heute sind modernste Röntgengeräte in jeder Zahnarztpraxis unerlässlich. Neben Röntgenapparaten gibt es gegenwärtig eine Reihe weiterer Möglichkeiten, zum Beispiel Sonographie oder Magnetresonanztomographie, um in das Innere des Körpers zu schauen. Als Conrad Röntgen im Jahre 1895 die X-Strahlen entdeckte, revolutionierte dies auch die Diagnostik in der Zahnmedizin. Bereits im Januar 1896 wurde die erste Röntgenaufnahme von Zähnen gemacht.

Im bergischen Lennep, das heute zur Stadt Remscheid gehört, wurde Wilhelm Conrad Röntgen am 27. März 1845 geboren. Er war das einzige Kind des Tuchfabrikanten Friedrich Conrad Röntgen (1801-1884) und dessen Frau Charlotte Constanze, geborene Frowein (1806-1880). Sein Geburtshaus, ein typisches bergisches Haus mit Schieferverkleidung, steht heute noch Am Gänsemarkt 1.

1848 zog die Familie Röntgen, wohl aus ökonomischen Gründen, ins niederländische Apeldoorn. Zunächst besuchte Conrad die Schule vor Ort und ab 1862 die Technische Schule in Utrecht. Auf dieser Schule wurden Jungen in einem zweijährigen Studium in Mathematik und Naturwissenschaften auf einen technischen Beruf vorbereitet. Der Schulabschluss berechtigte aber nicht zum Besuch einer Hochschule. Auf der Schule wurde Röntgen 1863 Opfer eines folgenschweren Irrtums, den er sein Leben lang nicht vergaß. Zu Unrecht wurde er beschuldigt, eine abschätzige Karikatur eines Lehrers gezeichnet zu haben. Aber aus dem Schülerstreich wurde Ernst. Da Röntgen den wahren Täter nicht verriet, wurde er von der Schule verwiesen. Aber die Behörden erlaubten ihm, ein Privatstudium zu absolvieren, das auch alte Sprachen wie Alt-Griechisch und Latein umfasste. Als Externer sollte er dann eine Prüfung ablegen, die ihm ein Reifezeugnis garantiert hätte und somit den Zugang zu einer Hochschule. Aber das Pech wollte es, dass ein Lehrer seiner alten Schule im Prüfungsvorstand saß und ihn durchfallen ließ. Ohne Abitur konnte Wilhelm Conrad Röntgen die Universität Utrecht nur als Gasthörer besuchen. Da er dadurch keine Möglichkeit hatte, ein Examen zu machen, exmatrikulierte er sich nach zwei Semestern wieder. Einen Ausweg fand Röntgen 1865 in der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich, die ihm die Zulassung per Aufnahmeprüfung ermöglichte. Wegen seiner hervorragenden Zeugnisse wurde sie ihm aber erlassen. Röntgen hatte das Studium des Maschinenbaus gewählt, das er 1868 mit einem Diplom abschloss.

Privatleben nicht zu kurz

Neben dem gründlich betriebenen Studium ließ Wilhelm Conrad Röntgen das Privatleben nicht zu kurz kommen. In der Gaststätte „Zum grünen Glas“ hatte Anna Bertha Ludwig (1839-1919), die Tochter des Wirtes, Röntgen mit ihrem charmanten und humorvollen Wesen in den Bann gezogen. Am 19. Januar 1872 wurde die Ehe zwischen beiden in Apeldoorn geschlossen. Die Ehe blieb kinderlos, aber 1887 nahmen die Röntgens die Nichte von Anna Bertha, Josephina Bertha Ludwig, auf, die sie später adoptierten.

Aufbauend auf seinem Diplom studierte Röntgen nun Physik bei Professor August Kundt (1839-1894) an der Universität Zürich. Im Jahre 1869 machte er bereits seinen Doktor mit einer Dissertation „Studie über Gase“, die über Probleme aus der Thermodynamik handelte. Röntgen wurde Assistent des Experimentalphysikers und folgte diesem 1870 an die Julius-Maximilians-Universität nach Würzburg. Trotz seiner Fähigkeiten wurde ihm die Möglichkeit zur Habilitation verweigert, weil er kein Abitur hatte. Glücklicherweise bot sich Röntgen erneut ein Ausweg, als sein Professor nach Straßburg ging. An der dortigen Universität konnte er 1874 habilitieren und dann als Privatdozent arbeiten.

Nach einem kurzen Zwischenspiel als Professor an der Landwirtschaftlichen Akademie in Hohenheim ging Röntgen wieder nach Straßburg. Dort wurde er 1876 neben August Kundt Außerordentlicher Professor für Physik. In dieser Zeit forschte Röntgen unter anderem in den Bereichen der Thermo- und Elektrodynamik. Besonderes Interesse hatte er an der Kristallphysik. Von großer Bedeutung war der exakte Nachweis der Drehung der Polarisationsebene des Lichtes in Gasen, der Röntgen zusammen mit seinem Lehrer August Kundt gelang. Seine Forschungen brachten ihm 1879 einen Ruf an die Universität Gießen ein. Dort führte er seine Arbeiten über die Drehung der Polarisationsebene des Lichtes in Gasen weiter und beschäftigte sich unter anderem mit dem photoakustischen Effekt in Gasen und dem Verschiebungsstrom, – einer physikalischen Größe, die zur Beschreibung der elektromagnetischen Wellen dient. Röntgen selbst und Forscherkollegen hielten die Arbeit über den Verschiebungsstrom für viel bedeutender als die danach entdeckten Röntgenstrahlen.

Im Jahre 1888 ging Röntgen von Gießen wieder nach Würzburg, wo er an der Universität eine Ordentliche Professur für Physik annahm.

Passionierter Jäger

Die Röntgens wohnten in einer geräumigen Wohnung im Obergeschoss des Physikalischen Institutes. Die Familie nahm gerne am kulturellen Leben der Stadt Würzburg teil, sie besuchte Theater und Konzerte. Von seinem Naturell war Wilhelm Conrad Röntgen aber eher ein Mensch, der die Abgeschiedenheit der Natur liebte. Er war ein leidenschaftlicher Jäger. Im nahe gelegenen Gramschatzer Wald hatte er eine Jagd. Schon in seiner Gießener Zeit pachtete Röntgen eine Jagd. Später während seiner Professorenzeit in München frönte er in der Gögerl-Jagd bei Weilheim in Oberbayern seinem Hobby. Im Jahre 1904 baute sich Röntgen dort eine Villa und blieb seiner Jagdleidenschaft bis ins hohe Alter treu.

In den Schweizer Alpen ging Röntgen gerne seiner Passion für das Bergwandern nach. Oft hat er mit seiner Frau Bertha den Ort Pontresina im Schweizer Kanton Graubünden besucht. In einem Brief an eine Bekannte schrieb Röntgen 1921: „… heute morgen gingen wir ein gut Stück weit in das wirklich schöne Roseggtal durch Wald am Rand des rauschenden Gletscherwassers. Von Zeit zu Zeit wundervolle Ausblicke auf die weit im Hintergrund liegende Gletscherwelt … Es ist mir häufig, als träumte ich einen glücklichen Traum. Am liebsten ist es mir noch immer, von den begangenen Wegen abzugehen und über Stock und Stein zu wandern.“

Wilhelm Conrad Röntgen nahm seine akademischen Pflichten an der Würzburger Universität gewissenhaft wahr. Neben dem alltäglichen Geschäft der Vorlesungen kümmerte er sich auch um Doktoranden. Eine Genugtuung war für Röntgen das Amt des Rektors der Universität, das er im Jahre 1894 antrat. Also genau an der Universität, die ihm Jahre zuvor aus formalen Gründen die Habilitation verweigert hatte! In seiner Antrittsrede als Rektor las Röntgen der Bayrischen Universitätsverwaltung die Leviten: „Die Unterhaltung und Förderung der Universität möge vom Fürsten und seinen Beratern als eine Ehrensache aufgefasst und nicht bloß danach bemessen werden, wie viel brauchbare Beamte, Ärzte und so weiter jährlich auf derselben ausgebildet werden.“

Eine neue Art von Strahlen

Am Abend des 8. November 1895 arbeitete Wilhelm Conrad Röntgen allein in seinem Labor und wollte eigentlich mithilfe einer Entladungsröhre, die an einem Spannungsfeld angeschlossen war, Kathodenstrahlen untersuchen. Dabei entdeckte er zufällig eine neue Art von Strahlen. Röntgen war über seine Entdeckung so verblüfft, dass er sich erst selbst über die tatsächliche Existenz der neuartigen Strahlen vergewissern wollte. Auch seiner Frau erzählte Röntgen nur, dass er an etwas sehr Bedeutendem arbeite.

Ende Dezember beschrieb Röntgen seine Versuchsanordnung und seine Entdeckung in seiner Schrift „Über eine neue Art von Strahlen“ so: „Läßt man durch eine Hittorfsche Vakuumröhre oder einen genügend evakuierten Lenardschen, Crookesschen oder ähnlichen Apparat die Entladungen eines größeren Ruhmkorffs gehen und bedeckt die Röhre mit einem ziemlich eng anliegenden Mantel aus dünnem, schwarzen Karton, so sieht man in dem vollständig verdunkelten Zimmer einen in die Nähe des Apparates gebrachten, mit Bariumplatinzyanür angestrichenen Papierschirm bei jeder Entladung hell aufleuchten, fluoreszieren, gleichgültig ob die angestrichene oder die andere Seite des Schirmes dem Entladungsapparat zugewendet ist. Die Fluoreszenz ist noch in 2 m Entfernung vom Apparat bemerkbar. Man überzeugt sich leicht, daß die Ursache der Fluoreszenz vom Entladungsapparat und von keiner anderen Stelle der Leitung ausgeht.“

Röntgen stellte fest, dass Gegenstände, die er zwischen Röhre und Schirm hielt, durchsichtig zu sein schienen. Als Röntgen nun auch seine Hand dazwischen hielt, konnte er die Knochen seiner Hand sehen. Am 22. Dezember hatte Röntgen die Hand seiner Frau Bertha durchleuchtet und auf einer fotografischen Platte festgehalten.

Anfang Januar 1896 wurde Röntgens Entdeckung der so genannten X-Strahlen der Fachwelt bekannt, die es kaum glauben mochte. Aber die fotografischen Aufnahmen waren der unumstößliche Beweis. Am 23. Januar hielt Röntgen seine erste und einzige Vorlesung über die von ihm entdeckten X-Strahlen vor der Physikalisch-Medizinischen Gesellschaft an der Universität Würzburg, die mit großem Beifall aufgenommen wurde. Im Anschluss an seinen Vortrag gab Röntgen dem Auditorium eine Live-Demonstration der X-Strahlen. Der Anatom Geheimrat Albert Kölliker (1817-1905) ließ eine Aufnahme seiner Hand machen, die allen Zuschauern die ungeheure Tragweite von Röntgens Entdeckung vor Augen führte.

Dem Kaiser präsentiert

Einladungen aus aller Welt zu Vorlesungen lehnte Röntgen mit der Begründung ab, er brauche seine Zeit, um die Erforschung der X-Strahlen fortzusetzen. Allein dem Deutschen Kaiser, Wilhelm II., wurde die Ehre zuteil, die X-Strahlen von Röntgen vorgeführt zu bekommen. In einem ausgedehnten Vortrag präsentierte er dem Kaiser, der Kaiserin und den geladenen Gästen seine Entdeckung. Seine Majestät war sehr beeindruckt und bedankte sich mit der Verleihung des Königlich Preußischen Kronenordens 2. Klasse und einem Abendessen.

Über die wahre Natur der X-Strahlen, die später Röntgen-Strahlen genannt wurden, war sich Röntgen nicht völlig sicher. Dies zu erforschen blieb später anderen Wissenschaftlern überlassen. Erst 1912 wurde bewiesen, dass es sich bei den Röntgenstrahlen um extrem kurzwellige energiereiche elektromagnetische Strahlen handelte. Röntgen hat selbst lediglich drei Arbeiten über die X-Strahlen veröffentlicht.

Die neuen Strahlen fanden sofort Anwendung in der Medizin. Vor allem auch deshalb, weil Röntgen darauf verzichtete, seine Entdeckung durch Patent schützen zu lassen. Er war der Überzeugung, dass ein solcher wissenschaftlicher Fund der Alleingemeinheit zugänglich gemacht werden müsse.

Erste Aufnahme der Zähne

So wurden die Röntgenstrahlen auch in der Zahnmedizin sehr schnell angewandt. Bereits wenige Tage nach der Veröffentlichung von Röntgens Entdeckung machte der Zahnarzt Dr. Friedrich Otto Walkhoff (1860-1934) in Braunschweig im Januar 1896 die erste Röntgenaufnahme von Zähnen. Er hatte mit einer improvisierten Röntgenapparatur seine eigenen Zähne intraoral photographiert. Die Belichtungszeit betrug damals ungefähr 25 Minuten. Dr. Walkhoff wurde zum Pionier, die Röntgentechnik für Diagnostik in der Zahnheilkunde zu benutzen. Dass die neuen Strahlen leider auch negative Auswirkungen hatten, blieb der medizinischen Fachwelt nicht verborgen. So litten Personen an den bestrahlten Gesichtshälften unter Haarausfall oder an Verbrennungen der Haut.

Im Laufe der Jahre wurde die Entdeckung von Röntgen immer weiter entwickelt. Die Röntgenapparate wurden immer besser und die Strahlenbelastung für den Patienten geringer. Eine wichtige Verbesserung der Diagnostik in der Zahnmedizin bietet heute das digitale Röntgen. Dabei konkurrieren zwei unterschiedliche Systeme. Die eine Technik basiert auf den sogenannten Festkörper-Sensoren und die andere auf Speicherfolien, die den Röntgenfilm ersetzen. Im Gegensatz zu den althergebrachten Verfahren liegt der Vorteil der modernen Systeme vor allem in der deutlichen Reduktion der Strahlendosis. Eine weitere Optimierung besteht darin, dass der Zahnarzt wesentlich detailreichere und zuverlässigere Aufnahmen erhält. Im Jahre 1900 ging Röntgen an die Ludwig-Maximilians-Universität nach München, an der er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1920 lehrte und forschte. Zum Teil wirkte der große Ruhm, der Röntgen vorauseilte, wie eine Bürde. Er arbeitete weiter an der Erforschung von Kristallen. Die letzte seiner 60 Arbeiten aus dem Jahr 1921 trug den Titel: „Über die Elektrizitätsleitung in einigen Kristallen und den Einfluß einer Bestrahlung darauf.“ Mit großer Aufmerksamkeit verfolgte er auch die genauere Erforschung der Röntgenstrahlen.

Nobelpreis für Physik

1901 wurde der erste Nobelpreis in Physik an Wilhelm Conrad Röntgen vergeben „als Anerkennung des außerordentlichen Verdienstes, das er sich durch die Entdeckung der nach ihm benannten Strahlen erworben hat.“ Von der hohen Ehre machte er aber kein großes Aufheben. Zur Nobelpreisverleihung reiste Röntgen im Dezember 1901 nach Stockholm. Den Preis überreichte ihm der schwedische Kronprinz Gustav, aber einen Vortrag hielt Röntgen nicht. Das Preisgeld in Höhe von 50 000 Schwedischen Kronen stiftete Röntgen testamentarisch der Universität Würzburg.

Im Laufe der Jahre hatte Röntgen Dutzende von Ehrungen aus aller Welt erhalten. Seine Geburtsstadt Lennep hatte ihm 1896 die Ehrenbürgerschaft verliehen. Die Royal Society in London hatte Röntgen im gleichen Jahr mit der goldenen Rumford Medaille ausgezeichnet. 1900 ehrte ihn die New Yorker Columbia University mit der Barnard Medaille. Im Jahre 1896 hatte Prinzregent Luitpold von Bayern Röntgen den Königlich Bayrischen Kronenorden verliehen. Typisch für Röntgen, lehnte dieser den mit dem Orden verbundenen persönlichen Adelstitel ab.

Der Erste Weltkrieg und die damit verbundenen Einschnitte und Veränderungen trafen auch die Röntgens. Die ersten Jahre in der Weimarer Republik brachten auch keine Besserung. Röntgens Frau Bertha erkrankte und starb im Jahre 1919.

Nach dem Tod seiner geliebten Frau zog sich Röntgen immer mehr zurück und fing an zu kränkeln. Die nachrevolutionäre Epoche hatte den bescheidenen Wilhelm Conrad Röntgen wohl auch beunruhigt. So schrieb er im März 1922 an eine gute Bekannte: „Von dem verschwenderischen, durch Aufputz und Benehmen ekelhaften Faschingsleben hier können Sie sich keinen Begriff machen: im Jahr 1921 wurden in Deutschland 4 Millionen Flaschen Sekt mehr getrunken als im Jahr 1914, also täglich 10 000 Fl. mehr! Und dabei leiden so viel, viel Menschen not. Es ist furchtbar traurig …“

Am 10. Februar 1923 starb Wilhelm Conrad Röntgen im Alter von 78 Jahren an einem Darmkarzinom. Wie schon seine Frau und seine Eltern wurde er auf dem Alten Friedhof in Gießen im Familiengrab beigesetzt. Seit 1930 existiert in Röntgens Geburtsstadt Lennep das Deutsche Röntgen-Museum, das in diesem Jahr eine teilweise Neueröffnung erlebt (siehe nachfolgenden Artikel Seite 102f).

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