Der Forschung auf die Finger geschaut

Prothese als Medikamentenspender

Wer in den letzten Tagen die Zeitungen gründlich gelesen hat, dachte sich sicherlich bereits in den April geschickt. Denn eine Meldung, die durchaus für den Zahnarzt spannend ist, ging durch die Medien und schien aufs erste recht unglaubwürdig und futuristisch. Eine Prothese als Medikamentenspender! Für einen Aprilscherz im Jahr aber viel zu früh und völlig falsch. Die zm hakten nach und sprachen mit den Forschern im St. Ingberter Fraunhoferinstitut.

Die Idee ist eigentlich einfach. Wem ein Zahn fehlt, der erhält eine Prothese. Soweit so gut. Warum diese Lücke aber mit einem "normalen" Zahn füllen? Es könnte doch auch etwas Sinnvolles sein, was die Zahnreihe schließt. So dachte es sich Dr. Andi Wolff aus Tel Aviv bereits vor einigen Jahren und entwickelte sein Saliwell-System. Eine Mikroapparatur in Form eines Zahnersatzes sollte rund um die Uhr, elektronisch gesteuert und in ein Minigerät verpackt, den Speichelfluss stimulieren, so sein Bericht aus dem Jahr 2004. Die Idee des Medikamentendosiersystems im "hohlen Zahn" stammt ebenfalls von Dr. Wolff, der ein EU-Forschungsprojekt mit zahlreichen Partnern, darunter auch das IBMT, initiierte. Findige Ingenieure vom Fraunhofer Institut für Biomedizinische Technik in St. Ingbert (Saarland) arbeiten nun an der Praxisreife eines Gerätes. Das Ziel war und ist es, eine Möglichkeit der 24-Stunden-Dosierung zu entwickeln, die es dem Patienten ermöglicht, unabhängig von äußeren Zwängen, regelmäßig und dauerhaft sein für ihn nötiges Medikament zu erhalten. Und das möglichst ohne großen Aufwand für den Patienten. Das ist nun gelungen, wie Dr. Oliver Scholz erklärte. Der Mediziningenieur erläutert das Prinzip: "Stellen Sie sich eine Zahnlücke vor, möglichst in Größe eines oder besser sogar zweier Molaren. Anstatt eines herkömmlichen künstlichen Zahnes wird nun ein kleines zahnähnliches Gebilde, das aus Metall gefertigt ist, eingebracht und wie eine herkömmliche Klammerprothese befestigt". Dieses "Gehäuse" enthält eine Pille in Form einer Kunststoffmatrix, die man sich wie Bienenwaben vorstellen kann. Hierin ist nun der entsprechende Wirkstoff als Feststoff integriert. Wenn der Speichel durch eine semipermeable Membran in das Innere der Prothese gelangt und durch die Waben hindurchdringt, gehen fest definierte Mengen des Wirkstoffes in Lösung, was genau über den Lösungsdruck (Osmotischer Druck) des Wirkstoffes und die Beschaffenheit der Fluidkanälchen regelbar ist. Resorbiert wird dann wie üblich über Mundschleimhaut und Zunge. Gesteuert wird die Freisetzung auf elektronischem Wege, also mit einem Minisensor, der in der "Zahn"-Prothese integriert ist. Dieser wiederum ist mit einer Fernsteuerung delegierbar.

Zum Drogenersatz und bei Morbus Alzheimer

Derzeit plant man folgende Einsatzmöglichkeiten, wie Dr. Scholz erläuterte: Eines der aktuell kurz vor der klinischen Testphase befindlichen Projekte ist die Substitution bei Drogenabhängigen mit Naltrexon. Der Wirkstoff blockiert die Opiatrezeptoren. Naltrexon ist verschreibungspflichtig (fällt aber nicht unter das Betäubungsmittelgesetz) und stellt damit keinen Drogenersatzstoff, wie etwa Methadon, dar. Naltrexon soll die Wirkung von Opiaten aufheben, so dass keine Drogen mehr konsumiert werden. Wird diese Behandlung vorzeitig abgebrochen, scheitert die Therapie, und die Patienten werden rückfällig. Aus diesem Grund wird die Einnahme von Naltrexon in vielen Programmen überwacht. IntelliDrug® kann hier helfen, die Kontrollbesuche zu reduzieren. Derzeit müssen die Betroffenen - meist leben sie in Millionenstädten wie Berlin und Hamburg - quer durch die Stadt fahren, um sich ihr Substiturat in der hierfür legalisierten Praxis abzuholen. Eine Resozialisierung jedoch, die ja gewünscht wird, wird dadurch meist sehr erschwert. Die "Prothesendosierung" würde über mehrere Wochen halten, der Patient käme nur noch in großen Abständen zur Kontrolle. Bei diesen Terminen wird dann das Gerät gereinigt, gleichzeitig neu bestückt und mit einer neuen Batterie gewartet. Ein anderes Einsatzgebiet ist die Therapie von Patienten, die an Morbus Alzheimer leiden. Da sie auf eine regelmäßige Medikamenteneinnahme (das Alkaloid Galantamin, das als Antidementivum Einsatz findet) angewiesen sind, diese aber häufig aufgrund von Vergessen sehr unregelmäßig erfolgt, sieht das Forscherteam hier einen großen Anwenderkreis. Klinische Studien, die auch durch ein EU-Forschungsprojekt gefördert werden, sind in der Startphase.

Interessante Fragen für den Zahnmediziner

Was den Zahnarzt hierbei noch interessiert: Die Frage nach der Okklusion ist geklärt, so Dr. Scholz weiter, nach Abdrucknahme wird die Prothese, in die der Metallkörper (er besteht aus einem inerten Stahlgehäuse) wie eine Schublade eingeschoben wird, individuell angefertigt. Interaktionen mit bereits im Mund befindlichen Metallen sind derzeit nicht getestet worden, scheinen aber unwahrscheinlich. Das Gerät ist so stabil gebaut, dass es selbst die hohen Kaudrucke des Seitenzahnbereiches aushält, ohne dass die kleine Batterie, sowie die Elektronik herausgebissen werden können oder gar das Medikamentenreservoir plötzlich unerwünscht zur Entleerung kommt. Die Entwickler des Gerätes arbeiten eng mit der Zahnklinik der Charité in Berlin sowie der Zahnklinik in Tel Aviv zusammen, um hier zahnärzlicherseits alle Eventualitäten abklären zu können. Wann das Gerät zur Produktion kommt, wollen die zm wissen - "ich schätze mal, wir brauchen noch gute drei Jahre", prognostiziert Dr. Oliver Scholz .

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