Krebsprävention als allgemeinmedizinische Aufgabe

Das Angebot, gesund zu bleiben

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Heftarchiv Zahnmedizin
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Krebserkrankungen haben gute Heilungsaussichten, wenn der Tumor früh erkannt und schnell behandelt wird. Dies ist in der Öffentlichkeit weitgehend bekannt. Deshalb ist es erstaunlich und auch tragisch, dass viele Menschen in Deutschland die Möglichkeiten zur Krebsprävention nicht nutzen. Der Zahnarzt kann viel zur Früherkennung beitragen – durch allgemeinmedizinisches Engagement im Rahmen seiner Gesundheitsberatung

An den Krebserkrankungen der Mundhöhle lässt sich beispielhaft ein Grundproblem der Krebsvorsorge veranschaulichen: Mundhöhlentumoren sind mit ihren Symptomen schon frühzeitig für die betroffenen Menschen wahrnehmbar. Das äußert sich unter anderem durch leichte Bewegungsstörungen der Zunge beim Sprechen oder durch Blutspuren im Mund und Beigeschmack beim Essen, durch andauernde entzündliche Schmerzen, durch spürbare Schwellungen oder durch Taubheitsgefühl und Kribbeln oder gar durch Ulzerationen am Zahnfleisch, die täglich beim Zähneputzen zu sehen sind.

Dennoch warten sehr viele Patienten mit derartigen Frühzeichen von Krebs mehrere Monate, bevor sie sich ärztlichen Rat holen, um nur den schon lange selbst gehegten Verdacht bestätigt zu bekommen. Nach so viel verschleppter Zeit sind viele Tumoren dann in ein Stadium hineingewachsen, das keine guten Heilungschancen mehr kennt. Eine Umfrage der Arbeitsgruppe Cancer Politics der Universität Greifswald (siehe Kasten) zeigt viele Gründe, warum Menschen über rational begründbare Einwände hinaus die Möglichkeiten der Früherkennung ausschlagen. Dazu zählen beispielsweise lähmende Krebsangst, diffuse Angst vor Ärzten, konkrete Angst vor Schmerzen und Belastungen, kein Vertrauen in den Nutzen der Untersuchungen, eine Vogel-Strauß-Einstellung, die sich dem Krebsproblem überhaupt verschließt, Fatalismus und Sorglosigkeit, finanzielle Knappheit, ein wenig ausgeprägtes Gesundheitsbewusstsein, die Angst vor einer überraschenden Lebenswende und vor Entscheidungsnot oder Angst vor schlechten Heilungschancen (mehr dazu im nachfolgenden Beitrag).

Offene politische Fragen

Kann Politik mit ihrem Handlungsspektrum zwischen Vorsorgepflicht und Stärkung der Eigeninitiative diesen Ängsten und Vorbehalten entgegenwirken? Für ein Pflichtprogramm zur Krebsvorsorge sprechen die Erfahrungen der täglichen ärztlichen Lebenswirklichkeit verschleppter Tumorerkrankungen und die tatsächlichen niedrigen Teilnehmerzahlen. Für eine Stärkung der Eigeninitiative spricht, dass man eine verantwortungsvolle und gesundheitsbewusste Lebensweise, zu der viel mehr gehört als nur die Teilnahme an Krebsvorsorgeuntersuchungen, nicht verordnen kann. Ob ein einheitlicher Zugang für alle Menschen überhaupt sinnvoll sein kann, ist eine offene politische Frage.

Wie Anreizsysteme geschaffen werden können, die es günstiger machen, gesund zu leben statt ungesund, ist eine weitere und nicht nur ökonomische Frage. Der Sachverständigenrat [1] zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen hat dazu gesagt, „dass Anreizstrukturen die Umsetzung des Präventionsgedankens sowohl unterstützen als auch konterkarieren können“. Entscheidend wird sein, „ob es gelingt, individuelle Anreizsysteme sowohl für den Arzt als auch für den Patienten zu schaffen, die es ermöglichen … den gesunden Menschen zu belohnen“, [2].

Was kann man tun, um die Krebsvorsorge aus ihrer Angstbelastung zu lösen? Die Wahrnehmung von Krebs wird in der Öffentlichkeit oft bestimmt durch die Begriffe Schmerz, Unheilbarkeit, zerstörtes Leben, Tod. In den Vordergrund muss treten, dass Krebs heilbar ist, insbesondere wenn er früh erkannt wird. Nach dieser Wende der Betrachtung ist Krebsvorsorge dann nicht ein angstbelastetes Verfahren, dem man gerne aus dem Wege gehen möchte, sondern ein Angebot, gesund zu bleiben, das man gerne aufsucht.

In engem Zusammenhang mit dieser Aufgabe der Öffentlichkeitsarbeit steht die Frage, wie man durch Bildungspolitik die Krebsprävention stärken kann. Wissen und Einstellung zur Krebsprävention werden erheblich beeinflusst durch die soziale Schichtzugehörigkeit. Angehörige der Ober- und Mittelschicht sind oft besser informiert und auch handlungsbereiter, sie nehmen häufiger an den Programmen der Krebsvorsorge teil. Vermutlich kann geeignete Schulpolitik über gute Gesundheitserziehung zu einer Verbesserung der Krebsprävention beitragen.

Gesundheitsberatung

Auf jeden Fall kann dies jedoch erreicht werden durch ein stärkeres allgemeinmedizinisches Engagement von Zahnärzten im Rahmen einer Gesundheitsberatung zur Verbesserung der Krebsprävention. Schon heute sind Zahnärzte selbstverständlich zuständig für die Früherkennung von Mundkrebs, sie sind damit in ihrer Ausbildung vertraut gemacht worden (siehe Abbildungen). Sie kümmern sich um die Information ihrer Patienten über die Risikofaktoren dieser Tumoren und über Maßnahmen zur Krebsverhütung, zum Beispiel Nichtrauchen, Vermeidung von Alkoholabusus, sorgfältige Mundhygiene oder regelmäßige Selbstbeobachtung der Mundhöhle. Über diese typischen Aufgaben hinaus könnten sich Zahnärzte auch verstärkt einbringen in die allgemeinmedizinische Krebsprävention, vorrangig in die hausarztähnliche Gesundheitsberatung, die ein zentrales Element aller Vorbeugeprogramme darstellt.

Gesundheit wird im Wesentlichen durch gesundheitsbewusstes Verhalten erreicht [3], vor allem durch richtige Ernährung [4] und regelmäßige körperliche Aktivität [5]. Der Einfluss der Lebensweise auf die Sterblichkeit ist nach Schätzung des US-amerikanischen Centers for Disease Control doppelt so groß wie die Einflüsse der Umwelt und der biologischen Prädisposition und viermal so groß wie der Einfluss des Gesundheitswesens [6]. Die positive Wirkung von körperlicher Aktivität auf die Gesundheit ist für eine Reihe von Krankheitsbildern nachgewiesen, zum Beispiel für Darmkrebs [7]. Die negative Wirkung von falscher Ernährung ist umgekehrt ebenso dokumentiert [8], für etwa 35 Prozent aller Tumoren, darunter auch die Krebserkrankungen in der Mundhöhle, wird die Ernährung verantwortlich gemacht.

Geeignete Berater

Zahnärzte sind sehr geeignete Gesundheitsberater: Sie besitzen einerseits eine ausgeprägte Kümmer-Kompetenz, die sie für Patienten mit vernachlässigter Oralhygiene und desolaten Gebissverhältnissen regelmäßig aufbringen müssen, sie sind andererseits auch mit einem gesundheitsbewussten Lebensstil bei ihren Patienten gut vertraut, zum Beispiel im Bereich der ästhetischen Zahnmedizin. Sie sind aber keine Onkologen, deshalb gilt ihre Zuwendung bei allen Aspekten der Krebsprävention außerhalb ihres Fachgebietes auch nicht der Krankheit auf sachlicher Ebene, sondern dem Patienten persönlich – so formuliert es das Oxford Handbook of Clinical Medicine für ärztliche Gesprächsführung [9]. Ihre medizinische Kompetenz erlaubt ihnen eine patientenzentrierte Grundhaltung von Akzeptanz, Empathie und Kongruenz, mit der sie die Angstbarrieren vieler Menschen im Zusammenhang mit Krebserkrankungen überwinden können, [10].

Zahnärzte gehören zu der fachärztlichen Gruppe mit den häufigsten Patientenkontakten. Sie sehen unter ihren Schmerzpatienten sogar Menschen, die sich sonst jedem Arztkontakt entziehen. Sie haben deshalb die Chance, über ihr Fachgebiet hinaus besonders viele Menschen zur Krebsvorsorge zu erreichen. Dies sollte in Zukunft verstärkt genutzt werden, um die Wirksamkeit der Krebsprävention in Deutschland zu verbessern.

So können Zahnärzte gezielt informieren über die wissenschaftlich gesicherten Elemente der Krebsprävention: Dazu gehören Vorsorgeuntersuchungen, vor allem bei Menschen mit genetischer Belastung oder mit früheren Tumorerkrankungen. Die Vermeidung von Rauchen und Passivrauchen, von Ernährungsrisiken wie Alkohol und Übergewicht, von übermäßiger Sonnenbestrahlung und von Schadstoffen in der Umwelt sowie die Nutzung von Schutzfaktoren in der Ernährung sind wichtige Punkte einer gesundheitsbewussten Lebensführung. Neuerdings gibt es auch Impfverfahren gegen virusbedingte Tumorerkrankungen, zum Beispiel beim Karzinom des Gebärmutterhalses.

Eine Möglichkeit besteht, schon im Wartezimmer den Patienten Informationsmaterial zur Krebsprävention zugänglich machen, das zum Beispiel von der Deutschen Krebsgesellschaft oder von der Deutschen Krebshilfe erarbeitet worden ist.

Zahnärzte können darüber hinaus Anregungen geben zu richtiger Ernährung, das heißt zu einer natürlich kalorisch zurückhaltenden, ballaststoffreichen, schadstofffreien, zucker- und fettarmen, vitaminreichen Kost.

Hilfreich sind auch Hinweise auf die Bedeutung regelmäßiger körperlicher Aktivität. Nordic Walking, Schwimmen, Radfahren, aber auch Golfsport sind hier zu nennen, angemessene Programme für ein Ganzkörpertraining, dessen Wert für die gesundheitliche Prävention und insbesondere auch für die Krebsprävention in den skandinavischen Ländern früher erkannt worden ist als in Deutschland.

Stärkere ärztliche Orientierung

Die Krebsprävention in der Zahnarztpraxis bedeutet eine stärkere ärztliche Orientierung der Zahnmedizin, wie sie der Wissenschaftsrat seit langem fordert, und sollte deshalb Eingang finden nicht nur in die Weiterbildungsprogramme, sondern auch in das zahnmedizinische Studium. In den Studiengängen einiger Universitäten ist dies bereits geschehen, zum Beispiel im Intergrationsmodell GRYPSDENT, das auf den Erkenntnissen des Forschungsschwerpunktes Community Dentistry der Universität Greifswald aufbaut.

Das allgemeinmedizinische Engagement der Zahnmedizin setzt dort an, wo die Krebserkrankung nach Auffassung aller Onkologen und nach den Daten der WHO heute am wirkungsvollsten bekämpft werden kann: bei der Krebsverhütung.

Arbeitsgruppe Cancer Politicsder Universität Greifswald:Universitätsklinikum GreifswaldInstitut für PolitikwissenschaftWirtschaftswissenschaftenInstitut für Medizinische PsychologieInstitut für Community MedicineZentrum für Zahn-, MundundKieferheilkundeNorddeutscher Rundfunk

Prof. Dr. Dr. Hans-Robert Metelmann,Universitätsklinikum Greifswald,F.-Sauerbruch-Str. BH117475 Greifswaldmetelmann@uni-greifswald.de

Die Fotos stammen aus dem Beitrag vonHans-Robert Metelmann und Wolfram Kaduk,„Tumoren im Kopf-Hals-Bereich“, Praxis derZahnheilkunde Band 10, H.-H. Horch (Hrsg.),4. Auflage 2007, Elsevier, Urban & FischerVerlag, München.

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