20 Jahre Arbeitskreis Psychologie und Psychosomatik in der Zahnheilkunde

Teil eines umfassenden Behandlungskonzeptes

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Am Karnevalswochenende 2008 tagte der AK Psychologie und Psychosomatik in der Zahnheilkunde (AKPP) der DGZMK zusammen mit der Westfälischen Gesellschaft im Schloss der Universität Münster. Aus Deutschland, Österreich und der Schweiz waren über 250 Kongressteilnehmer angereist. Der AKPP zeigte sich für das hochkarätige Programm der Jubiläumstagung zum 20. Bestehen verantwortlich.

Primarius Dr. Gerhard Kreyer aus Langenlois  präsentierte das in den Jahren 1973 bis  2006 in Wien entwickelte Konzept zur Lösung  der Zahnbehandlungsangst. Grundlage  dazu waren die 60 000 psychisch kranken  und psychisch behinderten Patienten  des Otto-Wagner-Spitals in Wien. Die ursprüngliche  Vollnarkosequote von 16 Prozent  bei der Zahnbehandlung dieser Patienten  konnte durch die systematische Umsetzung  des Anxiolysekonzeptes auf aktuell 0,7  Prozent gesenkt werden. Das Wiener Konzept  der „Integrativen Anxiolyse“ stellt eine  Synthese von verschiedenen Methoden dar  und ist hierarchisch wie folgt aufgebaut:

Psychokonkordante Terminierung – Ärztliche  Gesprächsführung – Systematische  Desensibilisierung – Positive Reiztherapie –  Suggestive Techniken – Hypnose – Pharmakotherapie  – Vollnarkose. Bei starker Angst  sind die kognitiven Fähigkeiten der entsprechendenPerson stark eingeschränkt. Es  müssen zwei Angstarten voneinander getrennt  werden: „trait anxiety“ und „state  anxiety“. Die Trait-Angst ist die personenspezifische  Grundangst, welche als Persönlichkeitsmerkmal  praktisch unveränderlich  ist. Dagegen ist die State-Angst ein Zustand  aktueller Angst, hier setzten die gängigen  Anxiolyseverfahren an. 

Anti-Angst-Training

Dr. Peter Macher, Achern, unterstrich in seinem  Vortrag die Aussagen des Vorredners  und stellte sein Konzept des Anti-Angst-Trainings (AAT) vor, welches ebenfalls eine  Kombination von Therapien darstellt, die  über die reine Verhaltenstherapie hinausgeht.  Oralphobiker haben häufig neben der  pathologischen Angst vor der Zahnbehandlung  auch weitere traumatische Erlebnisse.  Diese müssen bei einer kausalen Angsttherapie  berücksichtigt werden. Allgemein betonte  Dr. Macher die psychologische Bedeutung  des Redens des Zahnarztes, neben  positiven könnten damit natürlich auch  negative Wirkungen erzielt werden.

Dr. Gabriele Marwinski, Bochum, präsentierte  ihr Konzept einer angstfreien Praxis:  Die ersten zehn Sekunden beim Eintreten in  die Praxisräumlichkeiten sind entscheidend,  ob der Patient sich wohl fühlt oder  nicht. Räume können somit positiv aber  auch negativ leben. Die Farb- und Duftgestaltung  wurde in einem wissenschaftlichen  Projekt mit Prof. Axel Venn und Ilka Brüderle  erarbeitet: Über allem stand die Frage  an die Patienten: „Was können Sie sich  vorstellen, um Ihre Angst zu verlieren?“ Als  Farben wurden warme, pastellartig aufgetragene  Farbtöne gewählt.

Angst und Lebensqualität

Dr. Dr. Norbert Enkling, Bern, präsentierte  Ergebnisse einer Studie zum Zusammenhang  der Zahnbehandlungsangst und der  mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität.  Die Lebensqualität rückt aktuell immer  weiter in den Fokus der modernen Medizin.  Die Therapien der Medizin werden daraufhin  überprüft, inwieweit sie neben der  Therapie der Erkrankung auch die Lebensqualität  positiv verändern. Das Ziel der  positiven Beeinflussung der mundgesundheitsbezogenen  Lebensqualität hat ebenfalls  die moderne Zahnmedizin. Über validierte  Fragebögen werden entsprechende  Daten erhoben, welche aussagekräftigersind, als die reine Frage: „Sind Sie mir Ihrem  Zahnersatz zufrieden?“. Es konnte gezeigt  werden, dass die Zahnbehandlungsangst  die mundgesundheitsbezogene Lebensqualität  massiv beeinflusst und dass dieser  Einfluss mit sinkender Angst ebenfalls sinkt.  In der Studie hatte der Zahnersatzversorgungsgrad  keinen Einfluss auf die Ergebnisse  zur mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität.Angstspezifische Patientenwünscheaus einer Stichprobe von 492 Probandeneiner Standardpraxis stellte ZahnarztSchwichtenhövel, Meschede, vor. JüngerePatienten wünschen bei der Zahnbehandlung  eher Ablenkung, ältere lehnten  diese eher ab. Eine strenge Behandlungsführung  wird von allen Patienten abgelehnt  und eine empathische auf Information und  Schmerzfreiheit aufgebaute Behandlung gewünscht.  Der Wunsch nach Information  nimmt mit zunehmenden Patientenalter zu.  Die Psychologin Mag. rer. nat. Ursula  Sigmund, Stuttgart, sprach über die Behandlung  von Kindern. Ein kongruentes  Verhalten des zahnärztlichen Teams ist  Grundlage für ein belastbares Vertrauensverhältnis.  Unstimmigkeiten im Verhalten  würden von den Kindern sofort erkannt.  Besonders wichtig ist das Ende der Behandlung.  Hier sollte das Kind immer gelobt  werden, so dass es mit einem guten Gefühl  den Behandlungsraum verlässt.

Über chronische Schmerzpatienten, also  dauernde Schmerzen über einen Zeitraum  von mehr als drei Monaten, sprach PD  Dr. Dr. Monika Daubländer, Mainz. Die  Maximalform des chronischen Schmerzes  ist beim Krankheitsbild der Fibromyalgie  erreicht, hier sind in allen Körperarealen  ständig starke Schmerzen zu verspüren.  Die Patienten mit Craniomandibulären Dysfunktionen  (CMD) und die mit Fibromyalgien  zeigen starke Überschneidungen.  75 Prozent der Fibromyalgiepatienten  zeigen Zeichen einer CMD und umgekehrt  25 Prozent. Bei den Fibromyalgiepatienten  ist häufig eine reduzierte Ruheschwebe,  dumpfe Druckschmerzen in der Muskulatur  und eine höhere Zahl ersetzter Zahnflächen  festzustellen. Die erhöhte Zahl ersetzter  Zahnflächen kann darauf hindeuten, dass  in der Vergangenheit versucht wurde, die  Schmerzen über eine Zahnbehandlung in  den Griff zu bekommen.

Dr. Hajo Hantel, Berlin, untersuchte den  Zusammenhang von Stress und Stressverarbeitung  auf die Entstehung und Unterhaltung  einer CMD. Besonderer Stellenwert  kommt dabei dem Coping zu, der Stressbewältigungskompetenz.  Frauen zeigten in  der Studie Schwächen in Copingstrategien,  was in direktem Zusammenhang zu erhöhten  CMD Werten stand. Alter, Vorkommen  von anterioren Schlifffacetten und der Helkimo  Okklusionsindex zeigten keine Korrelation  zur Ausprägung der CMD.

Mit der Attraktivitätsforschung beschäftigte  sich die Psychologin Lea Höfel, Leibzig. Sie  wurde für Ihren Vortag mit dem Thema  „Wahrnehmung kosmetischer Veränderungen  der Zähne und ihr Einfluss auf die Attraktivität  des Gesichtes“ mit dem Vortragspreis  als bester wissenschaftlicher Vortrag  eines Nichthabilitierten mit dem durch  Prof. Peter Jöhren, Bochum, gestifteten  Preis des AKPP im Jahr 2008 ausgezeichnet.  Gemäß den Ergebnissen dieser Studie werden  geringe Veränderungen an den Zähnen  zwar bemerkt, haben jedoch keinen relevanten  Einfluss auf die Gesamtattraktivität  eines Menschen. Diese Information kann  bei der ästhetischen Beratung von Patienten  hilfreich sein: Fremd- und Eigenwahrnehmung  sind oft divergent.

Soma und Psyche

Unter dem Titel: jedes „Psycho“ braucht  auch ein „Soma“ referierte Priv.-Doz. Dr.  Ruscheweyh, Münster. Die Neurologin  sprach über neueste Erkenntnisse, dass plastische  Veränderungen des Nervensystems  chronische Schmerzzustände aufrechterhalten  können, auch wenn eine eingetretene  Schädigung bereits ausgeheilt erscheint.  Nach einer Verletzung kann der periphere  Nerv seine nocizeptiven Eigenschaften ändern.  Es tritt dann eine Hyperalgesie mit  Übererregbarkeit und Spontanaktivität ein.  Nach einem Schmerzreiz wird der wiederholte  Schmerz am selben Nerven bis zu 100  Prozent verstärkt empfunden. Dies liegt an  der synaptischen Langzeitpotenzierung  (LTP). Dabei verdoppelte sich bei gleicher  Reizstärke die synaptische Übertragungsstärke  an der ersten Umschaltung. Ein ähnlicher  Mechanismus läuft auch beim Lernen  ab, so dass man daher auch von einem im  Rückenmark, an der ersten synaptischen  Umschaltung gelegenem, Schmerzgedächtnis  sprechen kann. Bei extremen Schmerzen  wird ebenso die körpereigene Spinalanästhesie  aktiviert: im Rückenmark werden  gesteuert über absteigende Mechanismen  aus dem Hirnstamm hemmende Substanzen,  wie Noradrenalin und Serotonin,  ausgeschüttet. Diese absteigende  Hemmung kann durch mehrere Zentren  im Gehirn, unter anderem dem Thalamus,  aktiviert werden. Die physiologische  Funktion der absteigenden Hemmung  liegt in der Aufrechterhaltung der  Flucht- und Kampfmöglichkeit des  Organismus in großer Gefahr trotz  extremer Verletzungen. Möglichkeiten,  die absteigende Hemmung auch zur  Schmerztherapie einzusetzen, sind der  „Schmerz bekämpft Schmerz“ Mechanismus  und das Placebo. Die wissenschaftlich  eindeutig belegte Wirksamkeit  des Placebo auf die absteigende  Hemmung weist eine Schnittstelle zwischen  Psyche und Soma auf.

Werkstoffunverträglichkeit

Wert und Unwert der Verdachtsdiagnose  „Dentale Werkstoffunverträglichkeit“ besprach  Priv.-Doz. Dr. Brehler. Die Werkstoffunverträglichkeit  zeigt sich über die Typ-IVReaktion  einer Kontaktallergie. Allergien  sind immer erworben, nie angeboren. Eine  prognostische Testung ist daher nicht möglich.  Das menschliche Immunsystem weist  zu Beginn nur naive T-Zellen auf. Nach dem  Kontakt mit einem Allergen differenzieren  sich die T-Zellen zu regulatorischen und effektivenT-Zellen. Regulatorische T-Zellenbedeuten eine Toleranz, effektive T-Zellen  eine Sensibilisierung. Die Haut wie die  Schleimhaut haben beide die gleichen immunologischen  Eigenschaften, wobei die  Schleimhaut weniger anfällig ist, da sie weniger  Langerhanssche Zellen aufweist, stärker  durchblutet ist und durch den Speichelfluss  die Kontaktzeit des Werkstoffs zur  Schleimhaut reduziert ist. Eine eingetretene  Toleranz, die auch über eine orale Exposition  entwickelt worden sein kann, ist praktisch  lebenslang vorhanden. Es wurde  nachgewiesen, dass Kinder mit KFO-Geräten,  welche Nickeldrähte enthielten, zu weniger  Nickelallergien im Alter neigten. Zur  Testung einer Allergie gilt weiterhin der  Epikutantest, der nach 48 Stunden abgelesen  wird, als Mittel der Wahl. Das bei dieser  Testung entstehende Ekzem ist Hinweis auf  eine Sensibilisierung. Diese Sensibilisierungbedeutet jedoch nicht, dass eine klinisch  manifeste Allergie vorliegen muss. Eine allergische  Reaktion ist immer eine Entzündungsreaktion,  die im Kontaktbereich zu lokalen  Veränderungen führt. Der Befund einer  Sensibilisierung muss also immer mit  dem lokalen Befund in der Mundhöhle oder  im Gesicht abgeglichen werden.

Der Lymphozytentransformationstest (LTT)  über die MELISA-Methodik ist eine ebenfalls  eingesetzte Allergietestung. Dabei werden  in einer Blutprobe allergenspezifische T-Zellen  nachgewiesen. Es kann jedoch keine  Aussage dazu getätigt werden, ob es regulatorische  oder effektive T-Tellen sind. Zudem  wird die Bewertung der Ergebnisse  nicht einheitlich durchgeführt: Bei einem  Cut-Off von 7,9 wäre eine Spezifität von 97  Prozent vorhanden. Von den Laboren wird  hingegen in der Regel ein Cut-Off von zwei  bis drei gewählt, welcher jedoch durch eine  Spezifität von 25 Prozent zu sehr vielen  falsch positiven Ergebnissen führt. Die LTT  Ergebnisse bei diffuser Beschwerdesymptomatik  sollten daher nicht zu einer kritiklosen  Diagnose führen.

„Vergiftet ohne Gift – Wie biokompatibel  sind Zahnersatzmaterialien?“, fragte Priv.-Doz. Dr. Strietzel in seinem Vortrag: Kunststoffen  wird eine östrogenähnliche Funktion  nachgesagt; Aluminiumionen des  Aluminiumoxyds sollen Alzheimer begünstigen;  Zirkonoxyd stellt eine radioaktive  Belastung dar; vielen Metallen, wie dem  Palladium und dem Amalgam, werden  zahlreiche negative Nebenwirkungen nachgesagt.  Die meisten dieser Vorwürfe sind  pharmakologisch nicht haltbar, aber bedingt  durch Anwendungsfehler kann die  Biokompatibilität sämtlicher Materialien  stark reduziert werden. Der gezielte Einsatz  der in Mitteleuropa auf dem Markt erhältlichen  Dentalprodukte ist aus Sicht der Biokompatibilität  unbedenklich. Diese Aussage  ist jedoch für den asiatischen und amerikanischen  Raum nicht gültig: Dort werden in  der Regel Legierungen eingesetzt, welche  wesentliche höhere Korrosionswerte aufweisen.  Dies ist aus materialkundlicher  Sicht ein Argument gegen Zahnersatzimport  aus dem fernen Ausland.

Okklusion und Schmerz

Dr. Stefanie Janko, Frankfurt, referierte über  den Einfluss der Okklusion auf die Beschwerden  im Kopfbereich. In einem historischen  Rückblick zeigte sie die Veränderungen  auf, die die Bewertung Okklusion und  CMD in den letzen Jahrzehnten durchlaufen  hatte. Die frühere Behauptung, dass die  gesamte CMD-Problematik getriggert  durch Stress auf eine fehlerhafte Okklusion  zurückgeführt werden könnte, ist heute  sicherlich falsch. Die Patientengruppe die  unter CMD zusammengefasst wird, ist jedoch  so heterogen, dass die Frage nach der  Bedeutung der Okklusion patientenspezifisch  beurteilt werden muss. In der Regel  sind jedoch zur Therapie der CMD stark  invasive, okklusale Therapien kontraindiziert.  Eine minimalinvasive Aufbissschienentherapie  zum Ausschluss okklusaler Faktoren  ist bei CMD jedoch nie falsch.

Prof. Dr. Stephan Döhring verwies in seinem  Vortrag auf die Verdienste von Prof. Müller-Fahlbusch und Prof. Marxkors, die den Fokus  der Zahnmedizin auf psychosomatische  Zusammenhänge gerichtet hätten. Die Diskrepanz  zwischen lokalem Befund und von  Patienten geschilderten Beschwerden sollte  weiterhin für die Zahnärzte ein Warnsignal  sein. Die ICD-10-Klassifizierung unter F 45  schildert „somatoforme Störungen“ als Beschwerden,für die keine körperlichen Ursachenzu eruieren sind. Wichtig bei der Behandlung  von Patienten mit somatoformen  Störungen ist der Aufbau einer vertrauensvollen  Beziehung, die „Droge Arzt“. Eine  vertrauensvolle Arzt-Patientenbeziehung ist  unbedingte Voraussetzung, wenn eine  Überweisung zu einer Psychotherapie  erfolgreich sein soll. Das Thema psychotherapeutische  Behandlung ist in unserer Gesellschaft  weiterhin ein Tabu.

Ehrungen

Im Rahmen des Gesellschaftsabends im  Schloss der Universität Münster wurden die  beiden Gründungsväter des AKPP Prof. Dr.  Sergl, Mainz, und der bereits verstorbene  Prof. Dr. Müller-Fahlbusch, Münster, zu  Ehrenmitgliedern des AKPP ernannt.

Termin 2009

Die 21. Jahrestagung des AKPP wird am  25./26. September 2009 in den Horst  Schmidt Kliniken in Wiesbaden zusammen  mit der Interdisziplinären Gesellschaft für  psychosomatische Schmerztherapie (IGPS)  abgehalten.

Weitere Informationen zum AKPP sind über  die Homepage des AKPP akpp.uni-muenster.  de zu finden. Der AKPP bietet zusammen  mit der APW ein Curriculum Psychosomatische  Grundkompetenz an, dass 2008  terminlich verschoben werden musste: Der  neue Termin ist der 11. bis 18. Oktober  2008 und 23. bis 25. Januar 2009.

Dr. Dr. Norbert EnklingKlinik für zahnärztliche Prothetik Universität BernFreiburger Str. 7, CH-3010 Bernnorbert.enkling@zmk.unibe.ch

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