Zwischen Lob und Kritik
Mit Inkrafttreten der Vergütungsreform erhalten die Ärzte ab 2009 für die ambulante Versorgung zehn Prozent mehr Geld. Ein deutlicher Zuwachs – die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) lobt den Abschluss dementsprechend als „höchste Steigerung der Gesamtvergütung seit Bestehen der ärztlichen Selbstverwaltung“. Doch das Verhandlungsergebnis wird von den verschiedenen Akteuren im Gesundheitswesen sehr unterschiedlich bewertet. Während Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt den Ärzten nun ein „gerechteres und auch transparenteres Honorarsystem“ attestiert, kritisieren die Krankenkassen den Abschluss als zu teuer und beklagen die große Belastung für den Beitragszahler. Und auch innerhalb der Ärzteschaft ist das Echo geteilt.
Kassen boten wenig an
Erster Stein des Anstoßes ist, so der innerärztliche Vorwurf, eine inkonsequente Verhandlungstaktik des KBV-Chefs Dr. Andreas Köhler. Nachdem er 2007 noch gefordert hatte, dass rund 33 Prozent mehr Geld in das vertragsärztliche Vergütungssystem fließen müssten, ging die KBV in die konkreten Verhandlungen mit der Forderung von 4,5 Milliarden Euro, was einem Zuwachs von knapp 20 Prozent entsprochen hätte. Zuvor hatte Köhler aber in Hintergrundgesprächen angemerkt, dass ein Plus von 2,5 Milliarden Euro bereits ein akzeptables Ergebnis sei. Dr. Klaus Bittmann, Vorsitzender des NAV-Virchowbundes, attestierte Köhler daraufhin, er habe „von Verhandlungstaktik keine Ahnung“.
Die Kassen boten im Bewertungsausschuss erwartungsgemäß wenig an. Nachdem klar war, dass eine kostenneutrale Honorarreform utopisch wäre, stellten sie ein Plus von maximal zwei Milliarden Euro in Aussicht. In den direkten Verhandlungen des Bewertungsausschusses konnte keine Einigung erzielt werden, deshalb musste der Erweiterte Bewertungsausschuss angerufen werden. Dort gab nach mehreren Verhandlungsrunden der unparteiische Vorsitzende des Erweiterten Bewertungsausschusses, Prof. Dr. Jürgen Wasem, mit seinem Stichentscheidungsrecht den entscheidenden Ausschlag – und er stellte sich auf die Seite der Ärzteschaft.
Die Kassen kritisierten nach Abschluss der Verhandlungen nicht nur das Ergebnis, sondern vor allem auch sein Zustandekommen. Zusagen der Politik an die Ärzte von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) seien „in die Gespräche hineingetragen“ worden. Das sei nicht erträglich, so der Verhandlungsführer der Kassen, Magnus von Stackelberg. Er forderte die Politik auf, „die Selbstverwaltung das Geschäft alleine machen zu lassen“.
Das Ergebnis im Detail
Im Einzelnen sieht das erzielte Verhandlungsergebnis ab Januar 2009 einen Orientierungspunktwert von 3,5085 Cent vor. Die bisherige Budgetierung wird abgeschafft, an ihre Stelle tritt der morbiditätsbedingte Leistungsbedarf, der in Punktzahlen im Voraus festgelegt wird und damit das individuelle Regelleistungsvolumen eines Arztes vorgibt. Insofern sind die Mengen der voll abrechenbaren Leistungen weiterhin begrenzt. Kassen zahlen künftig an die KVen keine Kopfpauschalen mehr pro Patient, sondern vergüten abhängig von der tatsächlichen Morbidität ihrer Versicherten. Präventionsleistungen werden nicht in den morbiditätsbedingten Behandlungsbedarf einbezogen, also nicht begrenzt. Ebenfalls neu: Das bisher im Sozialgesetzbuch verankerte Instrument der ärztlichen Honorarverteilung, die regionalen Honorarverteilungsverträge, sind künftig gestrichen.
Kassenärztliche Vereinigungen (KVen), die in der Vergangenheit durch Praxisbudgets, also eine Begrenzung der Leistungsmenge, möglichst hohe Punktwerte für ihre Ärzte erreichen konnten, sind die großen Verlierer der Reform. So werden etwa die Ärzte in Nordrhein und Schleswig-Holstein von nur 3,6 beziehungsweise 3,9 Prozent mehr Honorar profitieren, während der Spitzenreiter Thüringen ein Plus von 21,6 Prozent für sich verzeichnen kann.
Hintergrund: Es war eins der primären Ziele der Verhandlungen, die Ärzte in den östlichen Bundesländern endlich angemessener zu bezahlen. Allein die ostdeutschen Ärzte erhalten deshalb 2009 ein Mehrhonorar von 680 Millionen Euro, was einer durchschnittlichen Honorarsteigerung von rund 20 Prozent entspricht. Damit steigt das Vergütungsniveau in den neuen Bundesländern künftig von 81 auf etwa 95 Prozent des Westniveaus.
Gewinner und Verlierer
Es liegt auf der Hand, dass die KVen der Verliererländer mit dem erzielten Ergebnis unzufrieden sind. Da die regionalen Honorarverteilungsverträge abgeschafft wurden, verlangen sie nun von der KBV Nachverhandlungen. Während die Zuwächse in den ostdeutschen Bundesländern allgemein begrüßt werden, weist die KV Nordrhein beispielsweise auf den Zuwachs in Bayern hin, wo die Honorare immerhin noch um 6,8 Prozent steigen sollen. Dort stünden bereits bisher 400 Euro pro Jahr und Versichertem für die ärztliche Versorgung zur Verfügung, während es in Nordrhein nur 310 Euro seien. Die Steigerungen in Bayern würden also letztlich „von den Versicherten im Rheinland mitbezahlt“, betont Dr. Leonhart Hansen, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein. Der neue Orientierungspunktwert von 3,5 Cent liege um 0,3 Cent unter dem aktuellen Punktwert in Nordrhein. Dies bedeute eine Abwertung der Leistung der nordrheinischen Ärzte um 7,9 Prozent, argumentieren die Ärzte aus Nordrhein, die sich nun sorgen, dass die ambulante Versorgung im Rheinland ausblute.
Ganz ähnlich sehen es die Kollegen aus Schleswig-Holstein, die KBV-Chef Köhler bei einer Abgeordnetenversammlung Anfang September in die Pflicht nahmen, im Bewertungsausschuss nachzuverhandeln. Die Gerechtigkeitslücke Ost dürfe nicht gegen die Gerechtigkeitslücke Nord eingetauscht werden, so die Vorstandvorsitzende der KV Schleswig-Holstein, Dr. Ingeborg Kreuz.
Und auch die nordrhein-westfälische Landespolitik fühlt sich berufen, die heimische Ärzteschaft zu unterstützen: Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann kritisierte, er habe „erwartet, dass die Reform dazu genutzt würde, um die Einkommensverhältnisse anzugleichen, statt die Unterschiede zu vergrößern“.
Es wird nachverhandelt
Die Beschwerde der „Verlierer-KVen“ brachte zunächst auch Erfolg: Das Bundesgesundheitsministerium, so Köhler, habe der Selbstverwaltung nachträglich einen Verhandlungsspielraum eingeräumt, den die KBV im Bewertungsausschuss nutzen wollte, um die Honorarergebnisse vor allem für Schleswig-Holstein und Nordrhein zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. Die Verhandlungen wurden jedoch am 17. September ergebnislos abgebrochen und auf die Sitzung des Erweiterten Bundesausschusses am 17. Oktober vertagt. „Der Ausschuss zeigte einmal mehr seine Unfähigkeit, für Honorargerechtigkeit zu sorgen“, reagierten umgehend die KV-Vorsitzenden aus Nordrhein und Schleswig-Holstein in einer gemeinsamen Presseerklärung.
Die Kritik an der KBV-Spitze reißt also nicht ab. Von extern wie von intern. Denn auch die organisierte Hausärzteschaft nimmt kein Blatt vor den Mund. Das Verhandlungsergebnis sei kein wirklicher Erfolg für die hausärztliche Vergütung, ließ der Deutsche Hausärzteverband verbreiten. Insbesondere im Bereich der hausärztlichen Versorgung sei das Engagement der KBV eher zurückhaltend gewesen.
Solche Reaktionen sind allerdings weniger mit dem konkreten Verhandlungsergebnis zu erklären – sie müssen vielmehr vor dem Hintergrund bewertet werden, dass zwischen Haus- und Fachärzten seit Langem ein interner Grabenkampf ausgefochten wird. Der jetzige Vorsitzende des Hausärzteverbandes, Dr. Ulrich Weigeldt, war erst 2007 per Misstrauensvotum aus dem Vorstand der KBV hinauskatapultiert worden. Doch zumindest finanziell herrscht zwischen den Fronten vorläufig Burgfrieden: 2006 hatte die Ärzteschaft bei der Vertreterversammlung in Magdeburg beschlossen, für Haus- und Fachärzte eine Vergütungstrennung einzuführen.
Grabenkampf der Ärzte
Einen neuerlichen Honorar-Verteilungskampf zwischen Haus- und Fachärzten konnte Köhler mit dem Verhandlungsergebnis zumindest vertagen. Die Vergütungstrennung hatte in der Vergangenheit zu höheren Punktwerten bei den Hausärzten geführt. Da diese Trennung so nicht im GKV-WSG steht, hätte ein einheitlicher Punktwert für Haus- und Fachärzte dazu geführt, dass Honorarzuwächse von den Haus- zu den Fachärzten umverteilt worden wären. Ein Teil der von der KBV und den Kassen gewollten Leistungsaufwertungen des EBM 2008 wäre den Hausärzten damit genommen worden. Der Hartmannbund hatte im Vorfeld der Verhandlungen gewarnt, ohne diese künstliche Friedensgrenze komme es zu einer weiteren Kannibalisierung der Ärzteschaft. Das Bundesgesundheitsministerium hatte ein Einsehen und stimmte einer Verlängerung der Vergütungstrennung um weitere drei Jahre zu.
Otmar MüllerNürburgstr. 650937 Köln