Mit Architekturpsychologie auf den Patienten zu

Gesteuerter Mehr-Wert

Wer hat nicht schon einmal die Praxis eines Kollegen betreten, war beeindruckt und wusste am Ende nicht, warum? Wer die Möglichkeiten kennt, darf zum Nachahmer werden.

Um auch der eigenen Praxis ein besonderes Flair zu verleihen, eruiert der Zahnarzt am besten erst den Ist-Zustand. Dazu schlüpft er in die Rolle des Patienten und inszeniert eine Zeitreise der Wahrnehmungen: Ein Wechsel der Perspektive kann ein erster Schritt sein, das Geheimnis zu lüften. Erinnert er sich an den Geruch, an die Farben? Wie hat er die Praxis „erlebt“, wie empfand er die Zeit im Wartezimmer? Man sollte sich in der Erinnerung dem Wechselspiel von Wahrnehmen und Erleben, von Erwartung und Enttäuschung hingeben.

Ist die Inszenierung gelungen, lässt sie erahnen, was eine patientenorientierte Praxis bewirken kann.

Mit dem Thema „Praxisgestaltung“ setzt sich wohl jeder Zahnarzt früher oder später auseinander. Er kann auf die Hilfe zahlreicher Experten zurückgreifen, sei es ein Designer oder (Innen-)Architekt oder – weniger geläufig – ein Architekturpsychologe. In den USA längst etabliert, ist dieser Beruf hierzulande nur Insidern bekannt. Er geht der Frage nach, wie Gebäude und Räume auf die Menschen wirken. Als anwendungsorientierte Disziplin macht sie sich vor allem die Erkenntnisse der Allgemeinpsychologie, der Sozialpsychologie und der klinischen Psychologie zunutze.

So kann etwa die Wahrnehmungspsychologie Aussagen zur optimalen Farbgestaltung machen. Die Gesundheitspsychologie stellt Stressbewältigungsmechanismen zur Verfügung. Mit psychologischem Know-how eröffnen sich für die Praxisgestaltung bislang ungeahnte Möglichkeiten. Patienten haben unterschiedlichste Emotionen, Erwartungen und Wahrnehmungen. Diese betreffen den Zahnarzt, sein Team und die Praxisräume. Etwa 75 bis 80 Prozent der Eindrücke, die ein Patient beim Betreten der Praxis gewinnt, sind visueller Natur. Dafür nimmt er sich durchschnittlich sieben bis zehn Sekunden Zeit, für den Rest der Praxis weit mehr. Entsprechend sollte der Eingangsbereich als Visitenkarte der Praxis betrachtet werden: Er vermittelt den ersten und den letzten Eindruck.

Auswirkung

Primär kompensieren Patienten negative Wahrnehmungen durch entsprechendes Verhalten (wie Angst, mitunter Ärger oder Wut). Dies führt kurzfristig zu mehr Stress – auch beim Praxisteam – langfristig bedroht es die Reputation der Praxis. Patienten kommen schließlich nur noch zur Grundversorgung in die Praxis oder wandern ab (Sekundärfolgen).

Die primären Folgen bemerkt der Zahnarzt bereits während seiner Behandlung. Der Patient benötigt unter Umständen eine höhere Dosis Lokalanästhetika, reagiert gereizt auf seine Fragen, negiert seine Behandlungsvorschläge und ist wenig geneigt, individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) in Anspruch zu nehmen. Eine stachelige Angelegenheit. Das Übel nimmt seinen Lauf, denn ein verärgerter Patient beansprucht das Praxisteam. Die Folge: das Betriebsklima leidet. Der Zahnarzt kann seine Praxis entsprechend optimieren, Richtung „Wohlfühl-Praxis“ entwickeln, und zwar mit dem Patienten im Mittelpunkt der Betrachtung. Devise: Was dem Patienten nutzt, kommt auch dem Praxisteam und dem Zahnarzt zugute.

Beispielhaft einige Faktoren, die bei einer patientenorientierten Praxisgestaltung eine Rolle spielen:

„Erlebnispark“ WartezimmerBehandlungsgeräusche gehören zu der typisch Angst-evozierenden Kulisse einer Zahnarztpraxis. Daher sollte das Wartezimmer nicht in unmittelbarer Nähe zu einem Behandlungsraum liegen. Noch ein Tipp: mancher Patient hat sich schon einmal verlaufen und ist statt im Wartezimmer versehentlich vorzeitig im Behandlungsraum erschienen. Die Praxisgestaltung sollte den Patienten die Orientierung erleichtern.

Sonnenlicht weckt die LebensgeisterBei der Praxisgestaltung sollte, wo immer möglich, auf Tageslicht gesetzt werden. Durch regulierbare Beschattungselemente lässt sich die Lichtintensität bedarfsgerecht steuern. Ein Vorteil für den Praxisinhaber: Das Spektrum des Tageslichts wirkt sich positiv auf das Befinden des gesamten Teams aus. Die Motivation steigt.

Sonnenlicht weckt die LebensgeisterBei der Praxisgestaltung sollte, wo immer möglich, auf Tageslicht gesetzt werden. Durch regulierbare Beschattungselemente lässt sich die Lichtintensität bedarfsgerecht steuern. Ein Vorteil für den Praxisinhaber: Das Spektrum des Tageslichts wirkt sich positiv auf das Befinden des gesamten Teams aus. Die Motivation steigt.

„Betörende“ DüfteMit allergiefreien Duftspendern kann der von Patienten häufig angesprochene „Zahnarztgeruch“ aufgefangen werden. Geeignet wäre beispielsweise ein Lavendelduft. So kann der Zahnarzt der negativen Erwartungshaltung der Patienten begegnen (siehe zm 21/2006, Seiten 92 bis 96).

Kunst und KitschEine Künstlerin hatte einmal die Idee, Patienten Herzen aus speziell gefertigtem Holz zur Verfügung zu stellen. Sie hatte sie derart bearbeitet, dass deren Berührung zum haptischen Erlebnis wurde: unweigerlich stellte sich bei den Probanden ein Gefühl der Wärme und Beruhigung ein. Bleibt die Frage, wie werden die keimfrei gemacht?

Kunst nimmt den Menschen ein. Der Zahnarzt kann dies nutzen (siehe auch „Galerie“ unter www.zm-online.de). Weitere wichtige Themen der Architekturpsychologie im Praxisumfeld betreffen das Erleben von Dichte und Enge, die Symbolik von Räumen, den Aufforderungscharakter von gestalterischen Elementen, Raumaneignung und kognitive Kartierung. Es lohnt sich, sich mit dem Gedanken dieser Patientenorientierung zu befassen, jedoch lässt sich Architekturpsychologie nur individuell realisieren. Die Möglichkeiten ausreizen und der Praxis die richtige Richtung geben, das liegt ganz im Handlungsspielraum des Zahnarztes.

Dipl.-Psych. Ralf Zeuge, ArchitekturpsychologeHinrichsenstr. 37, 04105 Leipzigzeuge@psysolution.de

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