Sachverständigengutachten 2009 zur Gesundheitspolitik

Es gibt viel zu tun

Für das bundesdeutsche Gesundheitssystem gibt es viel zu tun, um die qualitativ hochwertige Versorgung der Patienten zu sichern. Dies macht das aktuelle Gutachten des Sachverständigenrates Gesundheitswesen mehr als deutlich. Mit Blick auf die Zahnmedizin stellt der Rat fest, dass die zahnmedizinische Versorgung älterer Menschen und Pflegebedürftiger verbessert werden muss.

Unter dem sperrigen Titel „Generationsspezifische Gesundheitsversorgung in einer Gesellschaft des längeren Lebens“ hatte der Sachverständigenrat im Auftrag des Gesundheitsministeriums sein Gutachten erstellt. In ihm beschreibt er umfassend, was in Prävention, Ausbildung, Finanzierung und Politik getan werden muss, um den Herausforderungen bei der zukünftigen Versorgung von jungen und alten Patienten gerecht zu werden.

In den zahnmedizinischen Kapiteln des Gutachtens konnte sich der Gesundheitsrat auf fundierte Zuarbeiten von Bundeszahnärztekammer (BZÄK) und der Deutschen Gesellschaft für Alterszahnmedizin (DGAZ) stützen. Beide Organisationen kooperierten eng mit dem Rat, die Aspekte von BZÄK und DGAZ wurden denn auch umfangreich in den Bericht aufgenommen. So erwähnt das fast 900 Seiten starke Gutachten etwa explizit die Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS IV) des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ) sowie den Leitfaden zur Gerostomatologie der BZÄK.

Mangelnde Mundhygiene

Ausführlich wird auf das ansteigende Parodontitis-Problem in der Bevölkerung und auf die ungedeckten Versorgungsbedarfe bei Menschen mit Behinderungen sowie pflegebedürftiger alter Menschen eingegangen. Wissenschaftlich begleitete Prophylaxe-Programme für Pflegebedürftige belegten, so der Rat, dass „Vorbeugung“ im Alter durchaus sinnvoll sei. Wegen Zeitmangels einerseits und Unkenntnis über die Wichtigkeit andererseits würde das Pflegepersonal jedoch häufig die Zahnhygiene vernachlässigen. In den Pflegeeinrichtungen sollten deshalb zahnärztliche prophylaktische Maßnahmen genau definiert werden. Daher empfiehlt der Rat, die in den Rahmenlehrplänen für den Pflegeberuf definierten Mundhygienemaßnahmen zu überprüfen und durch ein modulares Ausbildungs- und Fortbildungssystem in den Pflegeschulen zu unterlegen.

Finanzierung regeln

Da die Mundhygieneschulungen des Pflegepersonals nicht dauerhaft ehrenamtlich erbracht werden können, sei es erforderlich, entsprechende Ressourcen zur Verfügung zu stellen, um die Finanzierung zu sichern. Der § 22 SGB V könne dahingehend verändert werden, dass die Allokation von Mitteln der gesetzlichen Krankenkasse sich an den Prinzipien des Bedarfes der Zielgruppe orientiert.

Die verbesserte Prophylaxebetreuung Pflegebedürftiger werde sich an anderer Stelle auszahlen: Der regelmäßige Kontakt des Pflegebedürftigen zum Zahnarzt lasse Präventions- und Therapiebedarf frühzeitig erkennen. Damit würden weniger Notfallbehandlungen, die kostenintensiv und schwierig zu organisieren sind, entstehen. Bestimmte Prophylaxeleistungen könnten von speziell fortgebildeten Teammitarbeitern durchgeführt werden. Hier verweist der Bericht auf BZÄK und DGAZ, die gemeinsam Musterfortbildungskonzepte für die zahnmedizinische Prophylaxe in der Pflege abstimmen. Auch hierfür bedürfe es einer entsprechenden finanziellen Absicherung durch Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen, so der Rat.

Ärztlicher Nachwuchs fehlt

Neben den Aufgaben in der Zahnmedizin benennt das Gremium eine ganze Reihe weiterer Aufgaben, um das Versorgungssystem zukunftsfähig zu machen:

So stehe etwa wegen der zunehmenden Veralterung der Gesellschaft künftig einer steigenden Nachfrage nach Gesundheitsleistungen ein schrumpfendes Arbeitskräftepotenzial gegenüber, das die erforderlichen Leistungen finanziell zu erbringen hat. Die Gesundheitspolitik habe dabei die Aufgabe, gerade die Versorgung ländlicher Regionen nicht aus dem Auge zu verlieren.

So steigt bundesweit die Zahl der auf dem Land wohnenden über 65-Jährigen um 25 Prozent. 2025 werden doppelt so viele über 85-Jährige in den ländlichen Gebieten Westdeutschlands leben. Im Osten werden es mehr als eineinhalb Mal so viele sein wie heute. Zudem wird auch die Ärzteschaft immer älter. Schon jetzt sind fast 30 Prozent älter als 50 Jahre, der ärztliche Nachwuchs kann den Bedarf in bestimmten Regionen nicht mehr decken. Besonders im Osten Deutschlands ist diese Situation anzutreffen. Dies mache eine völlige Umstrukturierung des Gesundheitswesens nötig und könne nur über eine entsprechende ärztliche Honorierung gelöst werden, so der Vorsitzende des Sachverständigenrats Eberhard Wille.

Außerdem litten mittlerweile mehr als zwei Drittel der über 65-jährigen Kranken an mindestens zwei chronischen Erkrankungen. Deswegen sei dringend erforderlich, dass es eine bessere Koordination und interdisziplinäre Zusammenarbeit der medizinischen Versorgung und der pflegerischen Betreuung gibt. Alle verschiedenen Berufsgruppen im Gesundheitswesen einschließlich der Arztpraxen, Krankenhäuser und Apotheken müssten wesentlich besser zusammenarbeiten.

Gewalt gegen Kinder

Ein weiterer Punkt des Gutachtens: Sowohl Ältere als auch Kinder erhalten oft unnötig oder sogar riskant viele Medikamente. Bei den über 65-Jährigen bekämen 35 Prozent der Männer und 40 Prozent der Frauen neun oder mehr Wirkstoffe in Dauertherapie, Kinder erhielten oft unbegründet Psychopharmaka oder Antibiotika.

Nicht zuletzt kritisierten die Experten Koordinationsmängel in der Gesundheitsversorgung. So hätten etwa Programme zur Gesundheitsförderung von Kindern und Jugendlichen „gravierende Defizite“.

Ebenfalls Thema des Rates: Das ADHS-Syndrom bei Kindern. Hierbei müsse mehr mit Therapien statt einseitig mit Arzneimitteln geholfen werden, sagte Wille. Derzeit haben bereits acht Prozent der Kinder das sogenannte „Zappelphilipp“-Syndrom, spezielle Sprechstunden sollten erprobt werden.

Als ein massives und immer stärker anwachsendes Problem bezeichnet das Gutachten die Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Gerade hier gelte es mangels einer aktuellen validen Datenlage weiter zu forschen. Auch Studien zur Erreichbarkeit belasteter Familien seien notwendig.

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