Repetitorium

Von-Willebrand-Syndrom

Unerwartet starke Blutungen können in der Zahnmedizin und auch in der Allgemeinmedizin leicht zu einem erheblichen Problem werden. Sie gehen in der Mehrzahl der Fälle auf das von-Willebrand-Syndrom zurück, eine Blutgerinnungsstörung, die allerdings in der Bevölkerung nur wenig bekannt ist.

Das von-Willebrand-Syndrom (vWS) stellt in Deutschland mit einer Prävalenz von etwa einem Prozent die häufigste angeborene Blutgerinnungsstörung dar. Rund 800 000 Menschen sind damit hierzulande von der Störung der Hämostase betroffen, viele davon, ohne dies zu wissen. Denn das vWS wird oft erst erkannt, wenn es im Rahmen medizinischer oder zahnmedizinischer Eingriffe zu unerwartet starken Blutungen kommt.

Im Gegensatz zur Hämophilie A tritt das vWS bei Männern und Frauen etwa gleich häufig auf. Denn der genetische Defekt ist auf dem Chromosom 12 lokalisiert. Er ist damit anders als bei der Hämophilie A nicht an die Geschlechtschromosomen gebunden. Die Erkrankung kann je nach Subtyp autosomal rezessiv oder autosomal dominant vererbt werden, was nicht zuletzt das Risiko der Weitergabe der Mutation an die Kinder der Betroffenen bestimmt.

Erscheinungsformen

Verursacht ist das vWS durch eine zu geringe Konzentration, eine fehlerhafte Ausbildung und damit Funktionsstörung oder sogar durch das gänzliche Fehlen des von-Willebrand-Faktors (vWF), einem Protein, das für die Blutstillung bedeutsam ist. Es spielt eine wichtige Rolle bei der Thrombozytenadhäsion und fungiert als Trägerprotein des Blutgerinnungsfaktors VIII. Fehlt vWF, so ist die Thrombozytenadhäsion wie auch die Stabilität des Faktors VIII gestört und die primäre wie auch indirekt die sekundäre Blutstillung beeinträchtigt.

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Klinisch macht sich die Störung durch eine verlängerte Blutungsneigung bemerkbar, wobei verschiedene Erscheinungsformen möglich sind. Bei rund 70 Prozent der Betroffenen liegt ein nur leichter Mangel an vWF (Typ 1) vor, der eine nur moderat erhöhte Blutungsneigung bedingt.

Stärker ausgeprägt ist die Störung bei einem qualitativen Defekt des Faktors (Typ 2), wobei jedoch mehrere Unterformen möglich sind. Beim Typ 2A ist die Bindungsfähigkeit von vWF an Blutplättchen und Kollagen vermindert. Beim Typ 2B dagegen ist die Bindungsfähigkeit an Thrombozyten erhöht, wodurch diese ebenso wie auch der vWF vorzeitig abgebaut werden. Beim Typ 2N ist die Bindungsstelle für Faktor VIII verändert, so dass dieser nicht stabilisiert werden kann, was ein Absinken der Faktor VIII-Spiegel bedingt und damit ebenfalls die Hämostase beeinträchtigt. Wie stark die bei Verletzungen auftretenden Blutungen sind, hängt maßgeblich vom Typ und von der Ausprägung der jeweiligen Störung ab.

Ein lebensbedrohliches Syndrom besteht, wenn kein von-Willebrand-Faktor mehr gebildet werden kann (Typ 3), eine Erscheinungsform, die allerdings nur bei einem Prozent der vWS-Patienten vorkommt. Sie ist mit einer Häufigkeit von 0,5 bis 3 Fällen auf eine Million Einwohner sehr selten und macht sich üblicherweise bereits im Kindesalter bemerkbar.

Das vWS kann außerdem als erworbenes Syndrom auftreten, wenn es beispielsweise im Zusammenhang mit anderen Erkrankungen zu Funktionseinschränkungen des Faktors kommt. Dieses ist bei Vorliegen eines myeloproliferativen Syndroms, bei Herzfehlern, einer Herzklappenstenose sowie Autoimmunerkrankungen wie dem Lupus erythematodes und bei der Bildung von Antikörpern gegen den vWF möglich.

###more### ###title### Motor der primären und sekundären Blutstillung ###title### ###more###

Motor der primären und sekundären Blutstillung

Der von-Willebrand-Faktor zirkuliert im Blut, kommt aber auch in den Thrombozyten und im Endothel der Blutgefäße vor, wo er gespeichert wird. Er ist selbst kein Protein der plasmatischen Blutgerinnung, sondern ein adhäsives Glykoprotein, das aus identischen Bausteinen, den Dimeren, besteht, die zu langen Ketten, den Multimeren, zusammengesetzt sind. Damit stellt der vWF das größte im menschlichen Körper vorkommende Protein dar. Die Multimere enthalten Bindungsstellen für verschiedene lösliche wie auch zelluläre Komponenten wie etwa den Blutgerinnungsfaktor VIII, aber auch Kollagen, Heparin und die Thrombozytenglykoproteine GpIb und GpIIb/IIIa. Sie können einerseits Thrombozyten und andererseits Kollagen der Gefäßwand binden und zwischen diesen praktisch eine Brückenfunktion übernehmen.

Kommt es zu einer Verletzung, so wird dieser Faktor aus den Endothelzellen freigesetzt und startet direkt am Verletzungsort die Blutgerinnung. Der vWF wirkt dabei wie eine Art Klebstoff und vermittelt die Adhäsion zwischen Thrombozyten und Endothel. Er fungiert wie eine Brücke, die die Anlagerung von Thrombozyten an die verletzte Gefäßwand ermöglicht.

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Konkret initiiert der vWF die Gerinnung durch die Bindung an subendotheliale Strukturen wie das Kollagen, was zu einer Konformationsänderung des Faktors führt, die ihrerseits die Bindung von Thrombozytenglykoproteinen erlaubt. Durch diesen Prozess können sich Blutplättchen an die Gefäßwand anheften, was wiederum deren Aktivierung zur Folge hat. Diese ist Anstoß für die Thrombozytenaggregation und damit die Thrombusbildung, die allerdings weitere Schritte in der Gerinnungskaskade erfordert.

Darüber hinaus trägt der vWF auch indirekt zur Blutgerinnung bei. Denn er ist auch Trägerprotein für den Gerinnungsfaktor VIII und zirkuliert mit diesem als Komplex im Blut. Durch die Komplexbildung wird Faktor VIII vor einem raschen proteolytischen Abbau geschützt und hat damit eine deutlich längere Halbwertszeit. Diese beträgt etwa zwölf Stunden und würde ohne Bindung an vWF bei nur ein bis zwei Stunden liegen. Der Gerinnungsfaktor wird zudem durch vWF mit den Thrombozyten an den Verletzungsort transportiert und steht dort in hoher Konzentration für die Blutgerinnung zur Verfügung.

###more### ###title### Geschichte des von-Willebrand-Syndroms ###title### ###more###

Geschichte des von-Willebrand-Syndroms

Die „Entdeckung“ des vWS geht maßgeblich auf den finnischen Internisten Erik Adolf von Willebrand zurück, dem das Syndrom auch seinen Namen verdankt. Er beobachtete 1926 in bestimmten Familien eine offensichtlich angeborene erhöhte Blutungsneigung, die zwar der Hämophilie ähnelte, sich aber auch in wichtigen Symptomen von dieser unterschied. Willebrand bezeichnete die Störung als „hereditäre Pseudohämophilie“.

Auch der Leipziger Hämatologe Rudolf Jürgens beschäftigte sich in den 30-er Jahren intensiv mit der Erforschung des Syndroms und veröffentlichte zusammen mit von Willebrand Arbeiten zu der „neuen Bluterkrankheit“, die schließlich als „von-Willebrand-Jürgens-Syndrom“ bezeichnet wurde, ein Begriff, der inzwischen nicht mehr üblich ist, sondern zum „von-Willebrand-Syndrom verkürzt wurde.

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Erst in den 70-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde schließlich der zugrunde liegende Defekt genauer charakterisiert. Die Beobachtungen, dass das Antibiotikum Ristocetin die Thrombozytenaggregation bei Gesunden wie bei Menschen mit Hämophilie steigert, nicht aber bei vWS-Patienten, führte dazu, dass das entsprechende Protein immunologisch nachgewiesen werden konnte. Es wurde als Ristocetin-Cofaktor und schließlich als von-Willebrand-Faktor bezeichnet.

Leitsymptome

Schlecht kontrollierbare Blutungen sind das Leitsymptom des von-Willebrand-Syndroms. Sie treten schon nach vermeintlich leichten medizinischen und zahnmedizinischen Eingriffen oder nach allgemein leichten Verletzungen auf. Häufiges Nasenbluten ohne erkennbaren Grund, häufiges Zahnfleischbluten sowie das Auftreten ungewöhnlich großer „blauer Flecken“ nach nur geringfügigen Verletzungen müssen ebenfalls an ein vWS denken lassen.

Das gilt auch für ungewöhnlich starke Monatsblutungen bei Frauen, die zudem infolge des Blutverlustes zum Gefühl der Abgeschlagenheit, zu einer ungewohnten Müdigkeit, einer allgemeinen Leistungsschwäche und einer erhöhten Infektanfälligkeit führen können. Hinweisend auf ein vWS kann zudem ein vermehrtes Nachbluten bei operativen Eingriffen sowie bei kleinen Schnitt- und Schürfwunden sein, wie sie zum Beispiel nach dem Rasieren oder bei kleineren Verletzungen entstehen.

###more### ###title### Aufwändige Diagnostik ###title### ###more###

Aufwändige Diagnostik

Die Diagnose ist nicht einfach zu stellen, was nicht zuletzt daran liegt, dass die Menge des Faktors individuell unterschiedlich sein kann und zudem bei körperlicher wie auch psychischer Belastung variabel ist. Die vWF-Spiegel sind ferner von der Blutgruppe abhängig, sie sind bei Personen mit Blutgruppe 0 um rund 25 Prozent niedriger als bei Menschen mit Blutgruppe A, B oder AB.

Ergibt sich anamnestisch der Verdacht auf eine Gerinnungsstörung, so sind deshalb meist mehrere Blutuntersuchungen zu verschiedenen Zeitpunkten zur Diagnosesicherung erforderlich. Die Diagnostik ist damit aufwändig und sollte in einem entsprechend spezialisierten Labor erfolgen. Da es sich um einen angeborenen Defekt handelt, kann auch die Familienanamnese wegweisend für die Verdachtsdiagnose eines vWS sein.

Patienten, bei denen ein von-Willebrand-Syndrom diagnostiziert wurde, sollten unbedingt einen entsprechenden Notfallausweis mit sich führen, der auch über den Typ der Erkrankung Auskunft gibt. So kann sichergestellt werden, dass im Falle eines Unfalls rasch die richtigen Notfallmaßnahmen eingeleitet werden können.

Die Früherkennung der Störung ist noch aus einem anderen Grund bedeutsam: Ähnlich wie bei der Hämophilie A kann es durch die Erkrankung bei unzureichender Behandlung zu wiederholten Einblutungen in Gelenke kommen, was die Gefahr von Arthropathien mit schmerzhaften entzündlichen Veränderungen und sogar die Gefahr einer irreversiblen Versteifung der Gelenke als Langzeitfolge der Gerinnungsstörung bedingt.

Behandlung

Eine Heilung des vWS ist derzeit nicht möglich, allerdings ist das Syndrom im Normalfall gut zu beherrschen. Ziel ist, im akuten Fall die Blutung möglichst rasch zu stoppen und davon unabhängig dem Auftreten von Blutungen vorzubeugen.

Die Behandlung richtet sich nach dem jeweiligen Subtyp der Erkrankung und damit nach deren Schweregrad. Besteht nur ein leichter Mangel an vWF, so ist eine Dauerbehandlung in aller Regel nicht erforderlich. Therapeutische Maßnahmen sind lediglich im Rahmen von Operationen oder nach Verletzungen notwendig und gegebenenfalls bei Frauen mit ungewöhnlich starker und lang anhaltender Regelblutung.

Kommt es zu Blutungen bei Patienten mit einem Typ1 vWF, so wird versucht, durch Gabe des synthetischen Hormonanalogons DDAVP (1-Desamino-8-D-Arginin-Vasopressin) die Freisetzung des vWF aus den endogenen Speichern zu forcieren. Ist eine solche Therapie nicht wirksam oder möglich oder liegt eine Typ 2-Erkrankung mit Funktionsstörung des vWS vor, so muss der fehlende Faktor substituiert werden, was mittels eines Plasmapräparats, das den von-Willebrand-Faktor in ausreichender Menge und Qualität erhält, geschieht. Auch wenn eine Typ 3-Erkrankung vorliegt, ist die Infusion entsprechender Plasmakonzentrate das Mittel der Wahl. In schwierigen Fällen ist sogar eine Dauerbehandlung indiziert, die allerdings nach entsprechender Schulung als Heimselbstbehandlung möglich ist.

Zusätzlich kann mit dem Fibrinolysehemmer Tranexamsäure als Mundspülung zur Hemmung von Blutungen im Mundbereich behandelt werden. Bei Frauen mit vWS und sehr starken Regelblutungen kann außerdem durch die Einnahme hormoneller Antikontrazeptiva eine Reduktion der Blutungen erwirkt werden.

Die Behandlung sollte generell durch einen versierten Spezialisten erfolgen, wobei im Falle chirurgischer oder größerer zahnmedizinischer Eingriffe mit Blutungsrisiko eine enge Kooperation mit dem betreuenden Gerinnungsexperten ratsam sein kann.

###more### ###title### Früherkennung ermöglicht normale Lebensführung ###title### ###more###

Früherkennung ermöglicht normale Lebensführung

Bei frühzeitiger Diagnosestellung können Menschen mit von-Willebrand-Syndrom in aller Regel ein weitgehend normales Leben führen. Idealerweise wird die Diagnose bereits im Kindesalter gestellt, wenn die betroffenen Kinder durch vermehrte Blutungen oder auffallend große Hämatombildungen bei vergleichsweise kleinen Verletzungen auffallen.

Die frühzeitige Diagnose macht es möglich, die Rate an Komplikationen durch die Erkrankung zu minimieren. So können viele Impfungen zum Beispiel subkutan statt intramuskulär verabreicht und damit Muskelblutungen vermieden werden. Es kann zudem frühzeitig darauf geachtet werden, dass blutgerinnungsfördernde Medikamente wie die Acetylsalicylsäure nicht eingenommen werden und auch dass im häuslichen Umfeld entsprechende Vorsorge getroffen wird, damit im Falle einer größeren Blutung als Sofortmaßnahme ein Druckverband angelegt werden kann.

Betroffene Kinder brauchen im Normalfall deswegen nicht vom Sportunterricht befreit zu werden. Im Gegenteil: Körperliche Bewegung ist für die Betroffenen wichtig, da sie die Koordinationsfähigkeit wie auch den Muskelaufbau fördert und die Gelenke stabilisiert. Das aber sind wichtige Faktoren, die das Sturzrisiko wie auch das allgemeine Verletzungsrisiko im Alltag minimieren.

Davon abgesehen ist es sinnvoll, betroffene Kinder bei verletzungsträchtigen Sportarten durch das Tragen eines Helmes sowie durch Schienbein-, Ellbogen- und Knieschoner soweit als möglich vor Verletzungen und damit vor Blutungen zu schützen.

Christine VetterMerkenicher Str. 22450735 Köln

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