Tag der Niedergelassenen

Staatsmedizin oder freier Gesundheitsmarkt

Verplant, verkauft und verstaatlicht – so sieht die Zukunft der ambulanten Versorgung in den Augen von Dr. Andreas Köhler aus. Mit dieser düsteren Prognose eröffnete der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) die Podiumsdiskussion am „Tag der Niedergelassenen“, den die KBV erstmals im Rahmen des Hauptstadtkongresses Medizin und Gesundheit am 29. Mai 2009 in Berlin organisiert hatte.

„Unter dem Segel des Wettbewerbs hat der Gesetzgeber in den vergangenen zehn Jahren die Strukturen des Gesundheitswesens verändert und damit die Frage aufgeworfen, ob der Arztberuf überhaupt noch ein freier Beruf ist“, kritisierte Köhler vor rund 400 Teilnehmern. Die Regelungstiefe der Sozialgesetzgebung schränke den Handlungsspielraum der ärztlichen Selbstverwaltung massiv ein. „Man könnte fast meinen, die KBV sei eine Unterabteilung des Bundesgesundheitsministeriums“, meinte Köhler. Dieser Einschätzung widersprach Franz Knieps, Hauptabteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium (BMG): „Es ist ein Wahn zu glauben, wir wollten das Gesundheitswesen übernehmen und zentral steuern, das geht gar nicht!“

Anders hingegen die Sicht des gesundheitspolitischen Sprechers der FDP-Bundestagsfraktion Daniel Bahr: „Natürlich will das Ministerium die KVen nicht von heute auf morgen abschaffen. Dennoch nimmt der Staat spürbar mehr Einfluss.“ Es gebe viele raffinierte Bausteine, anhand derer die zentralistische Neuausrichtung des Gesundheitswesens deutlich werde, etwa die Einführung des GKV-Spitzenverbands auf Bundesebene und des Gesundheitsfonds sowie die Festsetzung eines einheitlichen GKV-Beitragssatzes: „Letzteres ist nichts anderes als eine Entscheidung der Regierung über die Höhe des Globalbudgets für die gesetzliche Krankenversicherung.“ Die Aussage von Ulla Schmidt, es gebe für niedergelassene Ärzte seit Jahresbeginn keine Budgets mehr, bezeichnete Bahr als irreführend: „Es gibt ja weiter eine klare Mengenbegrenzung. Honorare in Euro und Cent werden nur bis zu einer bestimmten Obergrenze gezahlt, danach wird abgestaffelt – das ist lediglich eine neue Form der Budgetierung!“

Nicht alle Finanzprobleme ließen sich über die Honorarverteilung steuern, meinte auch Köhler: „Wir brauchen eine Steuerung über die Strukturen des Systems. Wir leisten uns derzeit einen riesigen Leistungskatalog, zu dem die Versicherten ungehinderten Zugang haben“, monierte er und empfahl als Steuerungsinstrument höhere Selbstbeteiligungen für die Patienten. Knieps stimmte Köhler zu, dass die Inanspruchnahme von Leistungen im Gesundheitswesen besser dirigiert werden müsse, warnte allerdings: „Wer das Problem auf der politischen Bühne mit dem Instrument höherer Selbstbeteiligung lösen möchte, dem wünsche ich schon jetzt gute Reise!“

Oppositionspolitiker Bahr wiederum war überzeugt, dass sich angesichts der angespannten Wirtschaftslage die GKV-Beiträge nicht weiter erhöhen lassen: „Man muss ehrlicherweise also die Frage nach der Finanzierbarkeit des Status quo – und damit nach höherer Eigenbeteiligung – stellen.“

Rationierung ist Realität

Mit Blick auf die Honorarreform forderte auch der CSU-Vertreter Dr. Hans-Georg Faust, die Mittelknappheit müsse endlich offen diskutiert werden: „Die Rationierung ist auf Seiten der Ärzte durch die Budgets längst Realität, nun muss diese Debatte auch in die Gesellschaft getragen werden.“ Der pauschalen Kritik an der Honorarreform mochte sich Faust allerdings nicht anschließen: „Als Arzt kann ich sie nachvollziehen, als CSU-Politiker sehe ich aber auch eine Menge Positives in der Honorarreform.“ Es sei jedoch ein Fehler gewesen, keine Konvergenzphase analog zur DRG-Einführung im Krankenhaussektor vorzusehen.

Und auch der KBV-Chef verteidigte das neue Honorarsystem zumindest teilweise: „Im alten System hatten wir regionale und kassenabhängige Kopfpauschalen, die an die Entwicklung der Grundlohnsumme gekoppelt waren.“ Mittlerweile trügen die Ärzte kein Morbiditätsrisiko mehr und die GKV-Ausgaben seien von der Grundlohnsumme entkoppelt worden. Als „per se leistungsfeindlich“ bezeichnete Köhler allerdings Honorarpauschalen in Form von Regelleistungsvolumina: „Pauschalen passen nicht zum Selbstverständnis der freien Berufe.“

Zum Thema Sicherstellungsauftrag konnten die Experten auf dem Podium bis zum Ende der Diskussion keinen Konsens erzielen: Immerhin gab Knieps zu, dass das Zusammenspiel zwischen haus- und fachärztlicher Versorgung nicht geklärt sei und dass die Rahmenbedingungen für die Koexistenz von Kollektiv- und Selektivverträgen derzeit „nur suboptimal organisiert“ seien.

Dennoch wäre es Knieps zufolge „politisch naiv“ zu glauben, dass die Paragraphen 73b zur hausarztzentrierten Versorgung und 140 b SGB V zur Integrierten Versorgung wieder abgeschafft werden. „Allerdings sollte die Rolle der KV nicht auf die eines Resteverwalters neben einem Heer von Rosinenpickern reduziert werden“, meinte Knieps. Köhler konterte: „Rosinen machen gemeinhin höchstens fünf Prozent eines Kuchens aus“ und bekräftigte damit seine Forderung nach einem Sicherstellungsauftrag der KVen für die flächendeckende Versorgung, der durch Selektivverträge für die spezialisierte Versorgung lediglich ergänzt werden solle. In seiner aktuellen Form sei der § 73b SGB V jedoch ein Substitutionsvertrag neben dem Kollektivvertrag.

Antje SoleimanianFreie Journalistin aus Hamburg

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