Expertenanhörung zur Patientenverfügung

Der letzte Wille

Mit Patientenverfügungen wollen sich viele Menschen vor einem Lebensende an Schläuchen und Apparaten schützen. Für den behandelnden Arzt oft eine schwere Entscheidung. Per Gesetz versucht nun die Große Koalition, Rechtssicherheit zu schaffen. Dem Bundestag liegen drei Gesetzesentwürfe zur Abstimmung vor. In einer Anhörung konnten sich Experten zu den drei Vorschlägen äußern.

Das Ende des Lebens kommt nur einmal. Es lässt sich nicht üben. Dementsprechend verunsichert sind alle Beteiligten: Ärzte, Betreuer, Angehörige und nicht zuletzt die Patienten selbst, denen der Tod womöglich bevorsteht. Wohl jeder Mensch wünscht sich einen Tod ohne lange Leidenszeit. Doch die Entscheidung über den Todeszeitpunkt muss in einer Zeit der hoch technisierten Medizin immer öfter der Arzt treffen. Dabei setzt der eindeutig formulierte Wille des Patienten die Grenzen für das ärztliche Tun. Doch auch, wenn eine Patientenverfügung rechtlich bindend ist, ist die Rechtslage häufig unklar. Dem Selbstbestimmungsrecht des Erkrankten steht immerhin die ärztliche Verpflichtung gegenüber, Leben zu schützen. Der behandelnde Arzt braucht in dieser Situation belastbare Antworten, ob der Patient diesen Willen tatsächlich hatte, ob sein Entscheidungsvermögen zum Zeitpunkt der Verfügung klar oder getrübt war. Bei einer älteren schriftlichen Patientenverfügung weiß der Arzt nicht, ob sich die Meinung des Patienten möglicherweise zwischenzeitlich geändert hat.

Drei Entwürfe

Seit 2005 bemüht sich der Gesetzgeber deshalb, die Rechtsunsicherheit im Zusammenhang mit der Verfügung anzugehen. Die unterschiedlichen politischen Vorstellungen haben sich mittlerweile in drei Entwürfen kristallisiert, von denen ein Entwurf die Selbstbestimmung des Patienten in den Vordergrund rückt, ein zweiter den Fürsorgegedanken betont und der dritte den dialogischen Prozess der Umsetzung einer Patientenverfügung in die Mitte rückt. Die Gruppe von Parlamentariern um die Abgeordneten Joachim Stünker (SPD) und Michael Kauch (FDP) misst der Patientenverfügung die größte Verbindlichkeit zu. Ihr Gesetzentwurf soll prinzipiell die Beachtung des Patientenwillens durchsetzen – und zwar völlig unabhängig von Schwere und Stadium der Erkrankung. So wollen die Parlamentarier für alle Betroffenen mehr Rechtssicherheit schaffen. Es „soll sichergestellt werden, dass der das Betreuungsrecht prägende Grundsatz der Achtung des Selbstbestimmungsrechts entscheidungsunfähiger Menschen auch bei medizinischen Behandlungen beachtet wird“, heißt es im Gesetzentwurf. Die Patientenverfügung bedarf grundsätzlich der Schriftform, eine ärztliche Beratung ist im Stünker-Entwurf nicht vorgesehen. Nur im Falle besonders schwerwiegender Entscheidungen des Betreuers oder Bevollmächtigten – und auch nur dann, wenn Zweifel am Patientenwillen besteht – soll die Verfügung vor einem Vormundschaftsgericht verhandelt werden können.

Eine weitere Gruppe von Abgeordneten um den Parlamentarier Wolfgang Bosbach (CDU/CSU-Fraktion) sieht den Fürsorge gedanken im Vordergrund und stellt deutlich höhere Hürden für die Verbindlichkeit einer Verfügung auf. Der entsprechende Gesetzentwurf sieht vor, dass der oder die Betroffene eine umfassende ärztliche und rechtliche Beratung in Anspruch genommen hat und die Patientenverfügung vom Notar beurkundet wurde, bevor lebensverlängernde Maßnahmen abgebrochen würden. Eine solche Verfügung darf nach dem Willen der Initiatoren nicht älter als fünf Jahre sein. Sie gilt dann aber generell für alle Stadien einer Erkrankung. Wenn eine solche Verfügung ohne diese Bedingung aufgesetzt worden sei, seien die Ärzte nur daran gebunden, wenn „eine unheilbare, tödlich verlaufende Krankheit“ vorliege, bei der der Patient das Bewusstsein niemals wieder erlangen werde.

Deutlich geringere Hürden sieht der Vorschlag des stellvertretenden Unionsfraktionsvorsitzenden Wolfgang Zöller (CSU) und der ihn unterstützenden Parlamentarier vor. Seine Vorlage, die vor allen auf den Dialog setzt, sieht vor, dass sowohl der Betreuer als auch der Bevollmächtigte verpflichtet sein sollen, den Willen des Patienten „Ausdruck und Geltung zu verschaffen“. Bestünde Uneinigkeit zwischen dem behandelnden Arzt und dem Betreuer, so seien nahestehende Angehörige hinzuziehen. Wenn noch immer keine Einigkeit herrsche, soll das Vormundschaftsgericht angerufen werden. Der Entwurf sieht zwar schriftliche Patientenverfügungen als Regelfall vor, erkennt aber auch mündliche Willenserklärungen an. Eine aktive Sterbehilfe schließt Zöller übrigens, genau wie die beiden anderen Gesetzentwürfe, ausdrücklich aus.

Gegen Verrechtlichung des Sterbens

Im Vorfeld der Anhörung dieser drei Gesetzentwürfe hatte die Ärzteschaft den Bundestag aufgefordert, von einem detaillierten Patientenverfügungsgesetz abzusehen. „Mit einer Verrechtlichung des Sterbens ist niemandem gedient. Der Gesetzgeber sollte sich deshalb darauf beschränken, eventuell notwendige verfahrensrechtliche Fragen, wie die Einschaltung des Vormundschaftsgerichts oder die Notwendigkeit der Schriftform einer Patientenverfügung, klarzustellen“, so der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe. Von den derzeit im Parlament diskutierten Entwürfen komme der Vorschlag der Unionsabgeordneten Zöller und Faust den Vorstellungen der Ärzteschaft am nächsten, so Hoppe in einer Pressemitteilung der Bundesärztekammer. Der in einer Patientenverfügung geäußerte Wille sei schon heute verbindlich, soweit nicht rechtlich Verbotenes, beispielsweise aktive Sterbehilfe, verlangt werde. „Um Zweifeln an der Bindungswirkung zu begegnen, empfehlen wir Patienten, vor Abfassung einer Patientenverfügung das Gespräch mit einem Arzt des Vertrauens zu suchen. Der Arzt kann über medizinisch mögliche und indizierte Behandlungsmaßnahmen informieren, auf die mit Prognosen verbundenen Unsicherheiten aufmerksam machen und allgemein über Erfahrungen mit Patienten berichten, die sich in vergleichbaren Situationen befunden haben. Wir raten auch dazu, eine Vertrauensperson zu benennen, mit der die Patientenverfügung und der darin erklärte Wille besprochen wurden. Besondere Bedeutung ist hier der Vorsorgevollmacht beizumessen, mit der ein Patient eine Person des Vertrauens zum Bevollmächtigten in Gesundheitsangelegenheiten erklärt. Damit hat der Arzt einen Ansprechpartner, der den Willen des Verfügenden zu vertreten hat und der bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens mitwirkt“, sagte Hoppe.

Anders als die Bundesärztekammer, sahen die Experten in der Anhörung vor dem Rechtsausschuss des Bundestages durchaus eine Notwendigkeit für eine gesetzliche Regelung. Dabei beurteilten die verschiedenen Sachverständigen die jeweiligen Entwürfe sehr unterschiedlich. Der Gesetzentwurf des SPD-Abgeordneten Joachim Stünker und des FDP-Parlamentariers Michael Kauch berücksichtige am besten das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, urteilte etwa Professor Friedhelm Hufen von der Universität Mainz. Das Sterben in Würde und die Beachtung eines in freier Selbstbestimmung geäußerten Patientenwillens gehörten zur Menschenwürde. Ärzte, Betreuer und Gerichte seien folglich unmittelbar an den verfassungsrechtlich geschützten Patientenwillen gebunden.

Entmündigung kritisiert

Michael de Ridder, Chefarzt der Rettungsstelle des Vivantes Klinikums Am Urban in Berlin, kritisierte insbesondere den Bosbach-Gesetzentwurf: Die Vorlage enthalte im Kern eine Entmündigung der Person, die eine Patientenverfügung erstellt habe. Professor Gian Domenico Borasio vom Münchner Interdisziplinären Zentrum für Palliativmedizin kam beim Bosbach-Entwurf zu einem ähnlichen Urteil, lobte hingegen den unter der Federführung Zöller/Faust entstanden Gesetzentwurf, da dieser die Bedeutung der Umsetzung der Patientenverfügung zwischen Arzt und Betreuer umfassend sichere. Er regte an, diesen Entwurf um zwei Elemente der beiden anderen Gesetzentwürfe zu bereichern. Übernommen werden solle die qualifizierte ärztliche Beratung als „Soll-Vorschrift“ aus dem Gesetzentwurf des Abgeordneten Bosbach und die Formulierungen zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens aus dem Stünker/Kauch-Entwurf.

Der Vizepräsident des Oberlandesgerichts München, Hans-Joachim Heßler, hob das in der Patientenverfügung enthaltene Freiheitsrecht hervor. Schwerstkranke hätten einen Anspruch darauf, in Würde sterben zu dürfen. Die Ärzte dürften den Patienten nicht als Objekt, sondern müssten ihn als Subjekt wahrnehmen, mahnte Professor Volker Lipp von der Universität Göttingen. Der Wille des Patienten sei stets uneingeschränkt anzuerkennen. Er sei unabhängig von der Form und der Art seines Nachweises zu beachten. Professor Wolfram Höfling von der Universität Köln warf die Frage auf, ob jede Patientenverfügung eine strikte Verbindlichkeit genieße. Der nicht selten erhobene Vorwurf der „Überbürokratisierung“ des Sterbens gehe fehl. Der Beratungsbedarf für eine kompetent ausgefüllte Patientenverfügung sei „unendlich hoch“, stellte der Chefarzt des Ketteler-Krankenhauses in Offenbach, Stephan Sahm, fest. Daher sollte nur die Patientenverfügung verbindlich sein, die die formalen und inhaltlichen Anforderungen erfüllen. Es gelte, Patienten vor womöglich unreflektiert abgefassten Willensbekundungen zu schützen, sagte Salm.

Otmar MüllerNürburgstr. 650937 Köln

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